Es geht auch ohne

Wie weit ist man käuflich? Wie weit macht man etwas mit, obwohl man es ablehnt? Wo liegen die eigenen Grenzen, die man nicht mehr überschreiten will? Diese Fragen stellen sich uns im Alltag fast jeden Tag. Manche Leute werden dafür totgeschlagen, weil sie in München bedrohten Kindern helfen. Andere verlieren ihren Job, werden angezeigt und verurteilt, weil sie bei Siemens, Krauss-Maffei oder HDW Sabotage gegen die Rüstungsindustrie begangen haben. Und wieder andere kaufen im Laden einfach bewusster ein.
Wir haben eine riesige Bandbreite von Möglichkeiten, uns gegen den Wahnsinn der Gewalt in all ihren Formen zu wehren. Ob es die Kriege sind, die uns unter fadenscheinigen Vorwänden als gerecht verkauft werden sollen, ob die Ausbeutung von Kindern und Armen in Asien, um uns billige T-Shirts anbieten zu können. Oder ob es die weltweite Umweltzerstörung ist.
Aber wir wehren uns nicht. Und wenn, dann nur ein bisschen, um unser eigenes Gewissen zu beruhigen, um sagen zu können „Ich mache ja was“. Wir profitieren von all dem Scheiß direkt oder indirekt, unser relativer Wohlstand hat mit dieser Ausbeutung in fremden Ländern zu tun. Und selbst diejenigen von uns, die ihr ganzes Leben so umstellen, dass sie möglichst wenig andere Menschen damit ausbeuten, erreichen in Wirklichkeit fast nichts.

Nur die Allerwenigsten ziehen wirklich Konsequenzen. Leider aber manchmal die falschen. Ein Freund von mir, 20 Jahre alt, schmächtig, ruhig, zurückhaltend, ein lieber Kerl. Er quälte sich an der Erkenntnis, dass er für das Leid der halben Weltbevölkerung mitverantwortlich ist. Er wollte gegen die Verantwortlichen kämpfen, nicht symbolisch sondern direkt. Also schloss er sich einer Gruppe „Anti-Imperialisten“ an und wollte zur RAF. Aber die gab es wohl schon gar nicht mehr, und so landete er in der Selbstzerstörung. Er wurde nur 25 Jahre alt.
Einen anderen Weg ging Bärbel Bohley. Sie gründete die Hilfsorganisation Seestern, die Kinder aus bosnischen Flüchtlingsfamilien Sommerferien ermöglicht, um ihnen ein wenig vom Schrecken des erlebten Krieges zu nehmen. Bis kurz vor ihrem Tod im vergangenen Herbst arbeitete sie nahe Mostar, half beim Wiederaufbau und der Anlegung von 70 Brunnen mit, wodurch die Ansiedlung der im Krieg Vertriebenen gefördert werden sollte.

Es gibt mehr als genug Gründe etwas zu tun und sich zu engagieren. Und Möglichkeiten gibt es auch genug. Und seien es nur die kleinen, im Alltag. Zum Beispiel, nicht wegzuschauen oder die Klappe zu halten, wenn jemand rassistisch oder sexistisch belästigt wird. Man kann einer seriösen Organisation etwas spenden, projektgebunden, um sie beispielsweise in der Betreuung von Aids-Kranken in Uganda zu unterstützen. Gruppen, die praktische Arbeit machen, gibt es viele und fast alle von ihnen benötigen Hilfe. Wo also bleibt unsere Unterstützung?

Wir müssen aber auch selber aktiv werden, dort, wo uns Rechte beschnitten werden. Die Reaktion auf die Wikileaks-Veröffentlichungen haben gezeigt, dass Werte wie Pressefreiheit in dem Moment mit Füßen getreten werden, sowie es z.B. der US-Regierung nicht passt, dass manche Informationen ans Licht kommen. Dann werden die Aktivisten bedroht, sogar von hohen Politikern ihre Ermordung gefordert, Konten werden gelöscht, Server gekündigt, um so die Arbeit der Gruppe möglichst zu sabotieren. Große Firmen wie Amazon, PayPal, Mastercard und Visa betätigen sich als Erfüllungsgehilfen der Regierung, ohne jede Rechtsgrundlage. Das darf nicht hingenomen werden, denn es geht hier um Rechte, die zu dieser Form der Demokratie gehören. Diese Rechte dürften nicht eingeschränkt werden, nur weil sie einigen Politikern oder Konzernchefs gerade nicht passen.
Natürlich ist es schwierig, Firmen zu boykottieren, die quasi eine Monopolstellung haben, wie es bei den oben genannten der Fall ist. Aber jede dort bestellte Ware stärkt ihre Macht, und nur wenn die Kunden und Geschäftspartner deutlich protestieren, kann man sie zu einem anderen Handeln bewegen.

Ich habe das getan, aber ohne jede Reaktion. Amazon betreibt eigene Rechenzentren, in denen bis Kurzem auch Server mit Dokumenten von Wikileaks gehostet wurden. Nach der Veröffentlichung der Diplomatenmails wurde Wikileaks ohne Vorwarnung rausgeschmissen, Amazon hat sich damit zum verlängerten Arm der US-Regierung gemacht.
Der Buch-Shop von Berlin Street war im „Partnerprogramm“ mit Amazon verbunden, mehr als 200 der vorgestellten Berlin-Bücher konnten direkt über meine Website bei denen bestellt werden. Unter Berufung auf das unsägliche Vorgehen gegen Wikileaks habe ich die Zusammenarbeit gekündigt, aber Amazon hat es nicht für nötig gehalten, auch nur einen einzige Satz dazu zu antworten. Nur die kurze Bestätigung – fertig.

Die Arroganz der Regierungen und Konzerne ist widerlich. Aber sie beschreibt genau das Verhältnis, das zwischen ihnen und den Bürgern bzw. den Kunden besteht. Dabei vergessen sie, dass arrogante Mächte noch nie überlebt haben. Vom Römischen Reich bis zur DDR sind all jene zusammengebrochen, die gedacht haben, nichts und niemand könnte ihnen etwas anhaben. Warum sollte es bestimmten Regierungen und Konzernen anders ergehen?

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2 Kommentare

  1. Gut gemacht! Ich habe selber vor ca. 2 Jahren mein Konto bei Amazon aus ähnlichen Gründen gekündigt. Die eigene Moralvorstellung hat am Ende gewonnen. Daumen hoch!

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