Ernst-Reuter-Platz

Der Ernst-Reuter-Platz in Char­lot­ten­burg gehört sicher nicht zu den schö­nen Orten der Stadt. Trotz seiner extrem brei­ten Gehwege ist er sehr fußgän­ger­feind­lich, was vor allem an seiner Größe liegt und daran, dass er vor allem für den Auto­ver­kehr geschaf­fen ist. Man braucht etwa acht Minu­ten, wenn man ihn unter Beach­tung aller Ampeln zu Fuß umrun­den möchte. Und die Ampeln und Autos zu beach­ten ist hier schwer empfeh­lens­wert, falls man auf seine Gesund­heit Wert legt. Die gerade am Stra­ßen­ron­dell oft desori­en­tier­ten Auto­fah­rer nehmen auch mal aus Verse­hen eine rote Ampel nicht wahr und brem­sen dann in letz­ter Sekunde, um kurz vor (und manch­mal auch hinter) dem Fußgän­ger­über­weg zum Stehen zu kommen.
Die groß­zü­gige Weite des Ernst-Reuter-Plat­zes hat eher was von sowje­ti­scher Stadt­pla­nung, nicht aber von urba­ner Weit­läu­fig­keit. Der Blick, dem in alle Himmels­rich­tun­gen keine Gren­zen gezo­gen werden, schaut in unin­ter­es­sante Stra­ßen­züge, nur in Rich­tung Zoo bleibt er am Gebäude des Renais­sance-Thea­ters hängen, und am Stein­platz, am alten Kino. Ansons­ten ist der Platz nur ein Knoten­punkt der längs­ten Ost-West-Magis­trale Berlins, die vom weiten Westen in den fernen Osten führt.
Anders sieht es aus, wenn man den Ernst-Reuter-Platz an einem späten Sommer­abend aus eini­ger Entfer­nung betrach­tet: Die von Schein­wer­fern beleuch­te­ten Fontäne gibt ihm plötz­lich etwas Welt­städ­ti­sches, fast möchte man sich im Inne­ren des Plat­zes auf eine Bank setzen und etwas ausru­hen. Das wäre aber nicht wirk­lich empfeh­lens­wert, denn der Lärm, der einem von allen Seiten entge­gen­schlägt, macht jede Rast zur Qual. Um das Platz­in­nere zu errei­chen, gibt es nur den Weg durch den Tunnel und den nutzt man am besten auch, wenn man auf die andere Seite des Areals möchte.

Ursprüng­lich war der Platz eine Station auf der Verbin­dung zwischen dem Berli­ner Stadt­schloss und dem außer­halb gele­ge­nen Schloss Char­lot­ten­burg. Die spätere Char­lot­ten­bur­ger Chaus­see (heute Straße des 17. Juni) war damals im 18. Jahr­hun­dert ein Sand­weg. Dort wo sich heute der Platz befin­det, macht der Weg einen Knick, daher nannte man die Stelle auch “Umschweif”. Etwa ab 1830 wurde der Ort offi­zi­ell “Am Knie” genannt, dann nur noch “Knie”.
Während der Grün­der­jahre, als sich Berlin und die umlie­gen­den Gemein­den wie Char­lot­ten­burg zur Millio­nen­stadt entwi­ckelte, nahm der Verkehr auf dieser wich­ti­gen Verbin­dungs­straße drama­tisch zu. Mitt­ler­weile führ­ten sechs Stra­ßen unmit­tel­bar auf den Platz. Mit dem Bau des unter­ir­di­schen U‑Bahnhofes gab es eine Umge­stal­tung, es wurde eine Mittel­in­sel ange­legt. Hier stan­den fortan Verkehrs­po­li­zis­ten, die vor allem mit dem Aufkom­men der Kraft­fahr­zeuge nach dem Ersten Welt­krieg immer mehr zu tun hatten.

Zu Beginn des Zwei­ten Welt­kriegs war das “Knie” zuge­baut, markant war vor allem das 8‑stöckige Rund­haus an der Harden­berg­straße Ecke Kurfürs­ten­al­lee (heute auf dem Gelände der TU). Aller­dings bot der Platz kaum zum Verwei­len ein, es gab nur wenige Restau­rants, Knei­pen oder Läden. Schon damals war hier vor allem Büro­kra­tie und Gewerbe ange­sie­delt. Das Ende des histo­ri­schen Plat­zes kam am 1. Mai 1945, als sich die Wehr­macht eine Artil­le­rie­du­ell mit der 219. sowje­ti­schen Panzer­bri­gade lieferte. Fast alle Gebäude waren danach abriss­reif, die Gegend rund um den Platz ein Trüm­mer­feld.

Das änderte sich erst 1953, als der West-Berli­ner Senat den Wieder­auf­bau forcierte und damit gepaart eine Neuge­stal­tung der Stadt. Hohe Häuser mit freien Flächen dazwi­schen, sowie helles und lufti­ges Wohnen, das war nun der neue Geist. Unter dem Titel “Haupt­stadt Berlin” wurde ein inter­na­tio­na­ler Wett­be­werb ausge­schrie­ben, er umfasste das Gebiet vom Knie bis zum Alex­an­der­platz — unge­ach­tet der Tatsa­che, dass der östli­che Teil davon mitt­ler­weile in einem ande­ren und zudem feind­li­chen Staat lag. Ergeb­nis dieses Wett­be­werbs war unter ande­ren das heutige Hansa­vier­tel, sowie auch der neue Ernst-Reuter-Platz mit seinen nun 180 Metern Durch­mes­ser. Wären die Pläne von Le Corbu­sier verwirk­licht worden, wäre der Platz heute nach New Yorker Vorbild mit teils 65-stöcki­gen Hoch­häu­sern zuge­baut. Das Ergeb­nis war dann etwas mode­ra­ter und damals durch­aus modern: Das Tele­fun­ken-Hoch­haus, das Eter­nit-Haus oder das Insti­tut für Berg­bau am Rand des TU-Gelän­des vermit­tel­ten zu ihrer Zeit den Über­gang in eine neue Epoche. Das Wirt­schafts­wun­der schlug sich hier archi­tek­to­nisch nieder, man baute jetzt modern, hoch, offen, hell. Und natür­lich immer in Konkur­renz zum östli­chen Nach­barn, der gerade die Stalin­al­lee hoch­ge­zo­gen hatte. Und so wurde das Knie am 1. Okto­ber 1953 in Ernst-Reuter-Platz umbe­nannt, nach dem zwei Tage zuvor gestor­be­nen Bürger­meis­ter von West-Berlin. Ernst Reuter stand wie kaum ein ande­rer Poli­ti­ker für den Willen der West-Berli­ner Bevöl­ke­rung, sich nicht von der DDR einneh­men zu lassen. Nur wenige Monate nach dem Aufstand am 17. Juni war die Benen­nung dieses Plat­zes ein poli­ti­sches Signal.

Das Unweg­same des Plat­zes und die opti­sche Kälte sollte ab 1960 durch das Anle­gen des Wasser­be­ckens mit dem Brun­nen beho­ben werden. Aber wirk­lich geklappt hat es nicht. Als der Spring­brun­nen 1993 aus finan­zi­el­len Grün­den abge­stellt wurde, protes­tierte Edzard Reuter, der Sohn des ersten Regie­ren­den Bürger­meis­ters, und drohte an, dem Platz den Namen seines Vaters entzie­hen zu lassen. Er kriti­sierte den gedan­ken­lo­sen Umgang mit dem Platz und dem damit verbun­de­nen Namen und erreichte schließ­lich, dass eine Diskus­sion darüber in Gang kam. Zeit­weise war dann tatsäch­lich die Umbe­nen­nung in “Euro­pa­platz” im Gespräch, doch schließ­lich raffte sich der Senat auf und sanierte den Platz, das Wasser­be­cken und die Fontä­nen, die dann 1998 wieder in Betrieb gingen. Auch wenn sie heute zeit­weise wieder ausge­schal­tet sind. Das Gesamt­bild des Areals wurde jedoch nicht wesent­lich verän­dert. Und so ist der Platz auch heute noch, was er schon vor über hundert Jahren war: Eine Verbin­dung mehre­rer großer Stra­ßen. Aber kein Ort, den man gerne besucht.

Foto: Ludger Heide / CC BY-SA 2.0

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