Tragödie im Paradies

Viele Jahre war Sri Lanka das Para­dies für Urlau­ber aus Europa. Der Dschun­gel, die weißen Strände, das bunte Leben und die freund­li­chen Menschen, all das machte das eins­tige Ceylon attrak­tiv. Dass es aber hinter der Fassade nicht so para­die­sisch zuging, weiß man spätes­tens seit Ende der 70er Jahre, als es die ersten Pogrome an der Minder­heit der Tami­lien gab. In den 80ern kamen viele von ihnen als Flücht­linge nach Deutsch­land und hier leben sie bis heute, denn in ihrer Heimat hat sich die Lage nicht verbes­sert. Noch immer werden Tami­len von der Minder­heit der Singha­le­sen diskri­mi­niert und unter­drückt, ein Zusam­men­le­ben beider Völker ist im Moment kaum vorstell­bar. Einst war die Insel auch geteilt, beide König­rei­che wurden erst mit der Beset­zung durch Holland und später durch Groß­bri­tan­nien zu einem Staat vereint. Dabei haben Tami­len und Singha­le­sen kaum etwas gemein­sam, weder Spra­che, noch Reli­gion oder Kultur. Nach dem Abzug der Briten 1948 entwi­ckelte sich ein geteil­ter Staat, die Tami­len leben vor allem im Norden und Osten der Insel. Das Kern­land mit den riesi­gen Teeplan­ta­gen, die west­li­chen Urlaubs­strände sowie die Haupt­stadt Colombo sind in Hand der Singha­le­sen. Der Natio­na­lis­mus wuchs und wie meist erwuchs daraus nichts Gutes, sondern Diskri­mi­nie­rung, Anschläge, Pogrome. In den 70er und 80er Jahren entstan­den bei den Tami­len Wider­stands­grup­pen. Die meis­ten von ihnen bean­spruch­ten das Gebiet des ehema­li­gen König­reichs, das war aber schon die einzige Gemein­sam­keit. Schon über den Weg zum eige­nen Land “Eelam” war man sich uneins, die Orga­ni­sa­tio­nen konkur­rier­ten mitein­an­der. Während die EPRLF (Eelam People’s Revo­lu­tio­nary Libe­ra­tion Front) trotz des martia­li­schen Namens eher aus gemä­ßig­ten und intel­lek­tu­ell-bürger­li­chen Mitglie­dern bestand, die auf fried­li­chem Weg zum eige­nen Staat kommen woll­ten, kämpf­ten die Jungen von EROS (Eelam Revo­lu­tio­nary Orga­ni­sa­tion of Students) bereits bewaff­net gegen die Armee. Aber egal of EPRLF, EROS, TELO, TULF usw., sie alle wurden zerschla­gen, ihre Mitglie­der umge­bracht. Die Mörder kamen jedoch nicht aus Colombo, sondern von der Konkur­renz. Von Anfang an waren die “Tigers” der LTTE (Libe­ra­tion Tigers of Tamil Eelam) die gewalt­tä­tigste und rück­sichts­lo­seste Orga­ni­sa­tion. In ihrem Allmachts­an­spruch bekämpf­ten sie die ande­ren Tami­len genauso wie die Armee. Tausende tote Tami­len gegen auf das Konto der Tigers. Ihr Grün­der und bis zuletzt Anfüh­rer war Velu­pil­lai Prab­ha­ka­ran, in dessen Büro ich bei einem Inter­view ein Stalin-Portrait entdeckte. Tatsäch­lich sieht er sich in dessen Tradi­tion, so dass sein uner­bitt­li­ches Vorge­hen nicht verwun­dert. Nicht nur die singha­le­si­sche Regie­rung ist sein Feind­bild, sondern auch die Tami­len, die nicht zur LTTE gehö­ren, insbe­son­dere die demo­kra­tisch gesinn­ten. Von den eige­nen Kämp­fern verlangt Prab­ha­ka­ran abso­lu­ten Aufop­fe­rungs­wil­len bis in den Tod: Jeder hat eine Kapsel mit Zyan­kali um den Hals, um nicht lebend der Armee in die Hände zu fallen, etwa 250 “Tigers” muss­ten sich bei Selbst­mord-Atten­ta­ten schon selbst in die Luft spren­gen, “Abweich­ler” werden erbar­mungs­los ermor­det. Viele Mitglie­der sind schon als Jugend­li­che zu den Tigers gekom­men, ich selber habe mit 14-Jähri­gen gespro­chen, die bereits zu den bewaff­ne­ten Kämp­fern gehör­ten. Sie sind Opfer der gnaden­lo­sen Poli­tik Prab­ha­karans, genauso wie die singha­le­si­schen Zivi­lis­ten, die bei den Anschlä­gen in Colombo oder den Urlaubs­re­gio­nen ums Leben kamen.

Aller­dings ist die Gegen­seite nicht weni­ger zimper­lich. Der jetzige Präsi­dent Sri Lankas, Mahinda Raja­pakse, ist ein Ultra­na­tio­na­list, der die abso­lute Unter­drü­ckung der Tami­len zum Ziel hat. Er stellt sich inter­na­tio­nal zwar als Demo­krat dar, doch selbst bei natio­na­lis­ti­schen Singha­le­sen gilt er als Hard­li­ner. Mit ihm ist eine Demo­kra­ti­sie­rung Sri Lankas auch nach Zerschla­gung des tami­li­schen Wider­stands nicht vorstell­bar. Derzeit gehen seine Solda­ten gegen die verblie­be­nen Gebiete der Tigers vor, dabei gibt es dort kaum noch Wider­stand. Aber so wie der LTTE-Führer die Zehn­tau­sen­den von tami­li­schen Zivi­lis­ten als Geiseln nutzt und sie als Schutz­schild zwischen sich und die Armee stellt, genauso uner­bitt­lich lässt Raja­pakse die Solda­ten in ein Gebiet schie­ßen, das nur halb so groß ist wie Moabit und in dem sich schät­zungs­weise 50.000 Zivi­lis­ten aufhal­ten. Was dort an Dramen vor sich geht, lässt sich nur erah­nen. Der Präsi­dent kündigte gestern an, “nicht mehr” mit schwe­ren Waffen gegen die Tami­len vorzu­ge­hen. Das bedeu­tet, dass er sie bisher noch einge­setzt hat. Schwere Waffen sind Kriegs­ge­räte, z.B. Rake­ten, die natür­lich niemals gegen schutz­lose Menschen gerich­tet werden dürfen. Unab­hän­gige Beob­ach­ter werden schon seit Langem nicht mehr vorge­las­sen, nur Satel­li­ten­fo­tos konn­ten einen unge­fäh­ren Eindruck vermit­teln. Die Führer beider Seiten haben sich schul­dig gemacht, Kriegs­ver­bre­chen wurden auf tami­li­scher wie auf Regie­rungs­seite began­gen, das ist sicher.
Wie es nun weiter­ge­hen könnte, ist völlig unklar. Ein Neuan­fang geht sicher nur ohne die natio­na­lis­ti­schen Hard­li­ner. Denn ein Zusam­men­le­ben beider Volks­grup­pen kann nur funk­tio­nie­ren, wenn sie eine gemein­same Lösung finden, die auf Gleich­be­rech­ti­gung und Respekt beruht.

Foto: Salix Oculus / CC BY-SA 4.0

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