Stadtschloss

Hier ballt sich das alte Berlin

Im Kaiser­reich hätte man wohl das Stadt­schloss als Mittel­punkt Berlins bezeich­net. Viel­leicht war es mit seinen zwei Innen­hö­fen und 1400 Zimmern ein wenig groß für einen Punkt im mathe­ma­ti­schen Sinne; aber Berlin ist ja auch groß.
Die Innen­höfe waren übri­gens immer zugäng­lich für die Bevöl­ke­rung. Hier hat sich niemand einge­mau­ert. Übri­gens, das sei bei dieser Gele­gen­heit betont, haben sich die preu­ßi­schen Könige nie einge­mau­ert. Selbst als Kaiser Fried­rich III. und später sein Sohn Wilhelm II. im neuen Palais im Park Sans­souci wohn­ten, war der Park offen zugäng­lich. Wenn die Fami­lie dort war, sorg­ten Garden dafür, dass keiner seine Nase an Fens­ter­schei­ben platt drückte; aber eine Mauer wie in Schön­hau­sen gab es nicht. Auch nicht in Char­lot­ten­burg und schon gar nicht beim Stadt­schloss.
Mit zu diesem Mittel­punkt gehörte alles, was darum herum stand: Der Berli­ner Dom mit seiner Hohen­zol­lern­gruft und der ehemals größ­ten Orgel Deutsch­lands, einer Sauer-Orgel. Ein Reiter­stand­bild des Großen Kurfürs­ten. Das Kaiser-Wilhelm-Denk­mal mit seinen 157 Tieren. Ein Neptun-Brun­nen. Das Zeug­haus mit Köpfen von ster­ben­den Krie­gern, nun Deut­sches Histo­ri­sches Museum. Zahl­rei­che andere Museen. Das Haus, wo Angela Merkel wohnt. „Prof. Sauer“ steht an der Türklin­gel, aber das hat nichts mit der Orgel gegen­über zu tun. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg kam noch das Staats­rats­ge­bäude der DDR hinzu. Außer­dem beginnt hier eine schnur­ge­rade Straße, die zwölf Kilo­me­ter gera­de­aus und dann nach einem ganz leich­ten Knick noch einmal acht Kilo­me­ter ebenso gerade nach Staa­ken führt. Sie heißt zuerst Unter den Linden wegen Kleve und Moritz von Nassau, führt dann durch den Tier­gar­ten mit seinem Großen Stern, auch wegen Kleve und Moritz, aber wegen Stalin heißt sie hier Straße des 17. Juni, danach Bismarck­straße, Kaiser­damm und Heer­straße.
Aller­dings hat dieser Ort eine Reihe von Schön­heits­feh­lern.
Erstens steht das Schloss nicht mehr, und der Palast der Repu­blik, der es ersetzte, steht auch nicht mehr. Das ist eigent­lich schade, denn er war ein Gebäude, das viele Ost-Berli­ner lieb­ten. Es war ja kein Regie­rungs­ge­bäude, sondern das Parla­ment, also zumin­dest theo­re­tisch ein demo­kra­ti­sches Gebäude. Aber weil das Schloss, das man durch­aus nach dem Krieg hätte restau­rie­ren können, aus schein­hei­li­gen Grün­den unbe­dingt weg musste, musste der Palast der Repu­blik nach der Wende auch weg. Das geschah genauso schein­hei­lig. Man entdeckte Asbest, beschloss, den Bau zu restau­rie­ren, montierte die schöne goldene Glas­fas­sade ab und ließ das innere Gerüst ein paar Jahre lang verros­ten, bis jeder fand, dass es wirk­lich scheuß­lich aussähe und weg müsse.
Nun bauen sie da ein riesi­ges Mehr­zweck­ge­bäude aus Beton. An drei Außen­sei­ten soll es demnächst ausse­hen wie das alte Schloss; aber an Stelle der vier­ten, archi­tek­tur­his­to­risch inter­es­san­tes­ten Außen­seite soll eine mono­tone Beton­fas­sade kommen. Da braucht man nicht einmal drauf zu schrei­ben, dass es kein Schloss ist. Ein Innen­hof verschwin­det; statt seiner wird es nur eine schmale „Passage“ durch den Bau geben. Der andere Innen­hof wird an drei Seiten ausse­hen wie früher, und auch hier wird die vierte Seite eine mono­tone Beton­fas­sade. Er soll für Veran­stal­tun­gen genutzt werden.
Das histo­ri­sche Schloss­por­tal, von dem aus angeb­lich Karl Lieb­knecht 1918 die Repu­blik ausge­ru­fen hatte, klebt an der Fassade des Staats­rats­ge­bäu­des gegen­über und soll da aus Grün­den des Denk­mals­schut­zes auch blei­ben. Also wird es kopiert.
Zwei­tens sind die Denk­mä­ler des Großen Kurfürs­ten und Wilhelms des soge­nann­ten Großen wie auch der Neptun­brun­nen weg, aber viel­leicht steht dort in ein paar Jahren diese unsäg­li­che Wippe.
Drit­tens fehlt dem Dom die Begräb­nis­kir­che, und selbst wenn es sie noch oder wieder gäbe, würden die wich­tigs­ten Könige hier nicht liegen, sondern in Char­lot­ten­burg und Pots­dam. Und, solange Deutsch­land keine Monar­chie ist, in Doorn.
Vier­tens haben die Museen dane­ben dauernd ihre Namen geän­dert. Das Neue Museum wurde das Alte Museum – oder waren das die Natio­nal­ga­le­rien? – das Kaiser-Fried­rich-Museum wurde Bode-Museum und so weiter. Kein Mensch kann das behal­ten, darum sollen sie jetzt alle mitein­an­der verbun­den werden; aber in den Neubau sollen weitere Museen kommen, damit es verwir­rend bleibt.
Fünf­tens liegt diese ganze Ange­le­gen­heit im alten Cölln, nicht im alten Berlin.
Sechs­tens gibt es in der Umge­bung nur drei Objekte, die nicht ausschließ­lich auf die Vergan­gen­heit gerich­tet sind: das etwas versteckte Gorki-Thea­ter, einen neuen U‑Bahnhof und einen „Neubau Wohn- und Geschäfts­haus“ auf dem Schin­kel­platz. Letz­te­res wird derzeit aus roten Back­stei­nen hoch­ge­zo­gen, soll dann aber wohl weiß­lich verputzt werden und danach laut Abbil­dung genau so mono­ton beton­haft ausse­hen, wie das Schloss aus Beton aussah, als man die Fassade noch nicht davor­ge­klebt hatte.
Manch­mal muss man dem Volk aufs Maul schauen. Hinter dem Dom, am ande­ren Ufer der Spree, also wirk­lich im alten Berlin, liegt der S‑Bahnhof Hacke­scher Markt, kaum zwei­hun­dert Meter entfernt vom Schloss­platz. Dort war ich einmal mit Uwe verab­re­det. Auf dem Bahn­steig sprach mich eine junge, nicht bekiffte und nicht alko­ho­li­sierte Frau an: „Entschul­di­gung, darf ich etwas fragen? – Fährt dieser Zug nach Berlin?“ Ich war perplex. Inzwi­schen denke ich, dass aus dieser Frage viel Weis­heit sprach.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

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