Brandenburger Tor

Hier ballt sich das Geden­ken

Das Bran­den­bur­ger Tor war die welt­weit berühm­teste Markie­rung der Mauer. Es liegt mitten im Stadt­ge­biet an der Stelle, wo die lange, schnur­ge­rade beim Schloss begin­nende Straße die Mauer kreuzte: am Über­gang von den Linden nach Klevi­schem Modell zum Tier­gar­ten nach Klevi­schem Modell. Um den Nieder­rhein-Faktor zu kompen­sie­ren, gibt es in unmit­tel­ba­rer Nähe ein Sowje­ti­sches Ehren­mal. Und die Botschaf­ten der Sieger­mächte stehen darum herum.
Streng genom­men, beschrieb die Mauer einen klei­nen Halb­kreis um das Tor, sodass es zu Ost-Berlin gehörte. In allen Köpfen aber war es Zeichen der Teilung und damit der Verbun­den­heit und stand genau auf der Grenze.
Merk­wür­di­ger­weise war das halb­kreis­för­mige Stück­chen Mauer nied­ri­ger als der Rest. Auf der West­seite gab es davor hölzerne Aussichts­platt­for­men, auf denen sich Poli­ti­ker mit Staats­gäs­ten beim nach­denk­li­chen Betrach­ten des Bran­den­bur­ger Tores foto­gra­fie­ren ließen. Oben drauf wehte die Flagge der DDR, Schwarz-Rot-Gold mit Zirkel und Hammer, Tag und Nacht gelb ange­strahlt von Neon­lam­pen.
Direkt dane­ben, auf dem damals nur spora­disch benut­zen Reichs­tags­ge­bäude, wehte die Flagge der Bundes­re­pu­blik, auch Schwarz-Rot-Gold, aber ohne Werk­zeuge, queck­silb­rig weiß ange­strahlt, damit man vom Mond aus den Grenz­ver­lauf ganz genau erken­nen konnte. Der Reichs­tag hatte damals keine Kuppel, also musste die Flagge auf einen seiner vier Ecktürme. Sie wehte genau auf dem, der der DDR-Flagge am nächs­ten stand. Ätsch!
An der Sekto­ren­grenze stand ordent­lich ein Schild aus der Zeit vor dem Mauer­bau: „Achtung! Sie verlas­sen den Briti­schen Sektor von Berlin.“ Jemand hatte darun­ter gesprüht: „Wie denn?“
Das im Briti­schen Sektor gele­gene Sowje­ti­sche Ehren­mal war einge­zäunt, damit niemand die sowje­ti­schen Solda­ten ärgern konnte, die dort Tag und Nacht Ehren­wa­che hiel­ten. Innen patrouil­lierte briti­sche Mili­tär­po­li­zei am Zaun entlang, außen West-Berli­ner Stadt­po­li­zei, damit man die einge­zäun­ten Briten nicht ärgern konnte.
Inzwi­schen wurde der Reichs­tag von Christo trotz großen Wider­stan­des wunder­schön einge­packt, nach vier­zehn Tagen wieder ausge­packt, dann jahre­lang einge­rüs­tet und dazu mit Baupla­nen einge­packt, woge­gen niemand etwas hatte, und nun ist der Reichs­tag Bundes­tag. Vorne drauf steht nach wie vor: „Dem deut­schen Volke“. Hier­für wurden zwar nicht Schwer­ter zu Pflug­scha­ren umge­schmie­det, aber tatsäch­lich Kano­nen zu Lettern umge­schmol­zen. Der Berli­ner Lokal-Anzei­ger fand schon 1894 diese Widmung „naiv, beinahe komisch“. Die Diskus­sion, wer hier eigent­lich dem Deut­schen Volke was warum tut, ist seit­dem nicht abge­ris­sen, verzet­telte sich aber nach der Wende in die Frage, ob man statt des angeb­lich belas­te­ten und in diesem Kontext unpas­sen­den Wortes „Volk“ lieber „Bevöl­ke­rung“ schrei­ben sollte. Ich finde das naiv, beinahe komisch, weil bei einem Dativ­ob­jekt ohne Subjekt und Prädi­kat der Kontext ja gar nicht deut­lich ist.
Der quadra­ti­sche Platz am Bran­den­bur­ger Tor wurde bei der zwei­ten baro­cken Stadt­er­wei­te­rung unter Fried­rich Wilhelm I. zusam­men mit einem acht­ecki­gen Platz am Pots­da­mer Tor und einem runden Platz am Halle­schen Tor ange­legt. Nach den Befrei­ungs­krie­gen erhiel­ten sie die Namen Pari­ser Platz zur Erin­ne­rung an den Sieg der preu­ßi­schen Trup­pen über Napo­leon in Paris, Leip­zi­ger Platz zur Erin­ne­rung an die Völker­schlacht und Belle-Alli­ance-Platz zur Erin­ne­rung an Water­loo. 1946 wurde der runde Platz umge­nannt in Mehring­platz, weil die fran­zö­si­sche Besat­zungs­macht die Erin­ne­rung an die Belle Alli­ance nicht ertra­gen konnte. Was es mit den Namen Pari­ser und Leip­zi­ger Platz auf sich hat, haben die Fran­zo­sen nie rich­tig begrif­fen. Jeden­falls liegt der Pari­ser Platz direkt am Bran­den­bur­ger Tor, und an ihm steht heute die fran­zö­si­sche Botschaft.
An der ande­ren Seite des Tors beginnt die Straße des 17. Juni, die an den 1953 von der Sowjet-Armee nieder­ge­schla­ge­nen Aufstand erin­nert. Hier fand die Love Parade statt, bevor sie nach Duis­burg umzog.
Im rech­ten Winkel dazu sollte hier die unter Hitler geplante Pracht­straße der neuen Reichs­haupt­stadt Germa­nia verlau­fen, vom Nord­bahn­hof bis zum Südbahn­hof. Daran erin­nert das Band des Bundes direkt hinter dem Reichs­tag: keine Straße, sondern im Gegen­teil ein Riegel von Gebäu­den, und nicht von Norden nach Süden, sondern von Osten nach Westen. Ätsch!
In unmit­tel­ba­rer Nähe findet man drei Gedenk­stät­ten sehr unter­schied­li­cher Größe. Das Denk­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas, wie es offi­zi­ell heißt, fällt lang­sam ausein­an­der, weil es nicht für die Ewig­keit gebaut wurde. Viel klei­ner sind das Denk­mal für die im Natio­nal­so­zia­lis­mus ermor­de­ten Sinti und Roma Euro­pas und das Denk­mal für die im Natio­nal­so­zia­lis­mus verfolg­ten Homo­se­xu­el­len – man achte auf die subti­len Unter­schiede! Sie liegen beide etwas versteckt im Tier­gar­ten. Beide verlan­gen regel­mä­ßige Zuwen­dung und werden viel­leicht auch nicht lange halten.
Von der Mauer selbst ist hier jedoch nichts mehr zu sehen. Ihrer gedenkt man woan­ders. Dennoch sind am Bran­den­bur­ger Tor immer unwahr­schein­lich viele Touris­ten. Sie foto­gra­fie­ren sich gegen­sei­tig und haben den glei­chen Blick wie die Besu­cher der Love Parade: Hier müssen wir sein; hier sind wir; hier gehö­ren wir hin – aber warum eigent­lich? Berli­ner sieht man hier nur, wenn es etwas zu feiern gibt.
Wer ein viel schö­ne­res Bran­den­bur­ger Tor sehen will, barock und butter­far­ben, findet das in Pots­dam.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

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