Pauken und Trompeten

Die Älte­ren unter uns kennen sie noch, die meist betag­ten Herr­schaf­ten, die manch­mal auf die Höfe kamen und dort mit einem Akkor­deon oder einer Dreh­or­gel Musik mach­ten. Meine Oma wickelte dann immer einen Groschen in ein Stück Papier und ich durfte das dann aus dem Fens­ter werfen, nah an den Musi­kan­ten, aber möglichst ohne ihn zu tref­fen. Zwar gefiel mir die Musik nicht, aber eine kleine Attrak­tion war das trotz­dem. Einmal kam sogar jemand mit einer Trom­pete und die Leute waren recht genervt, weil sie so laut war. Manche haben aber trotz­dem Geld runter gewor­fen, viel­leicht auch nur, damit er schnell weiter zieht. Wenn ein Musi­kant kam und es waren Kinder unten, dann halfen sie beim Einsam­meln der Spen­den. Manch­mal waren sie aber auch zu zweit, dann spielte einer und der andere sammelte das herun­ter gewor­fene Geld ein. Dann wurden wir Kinder weg gescheucht.
Das ist alles Vergan­gen­heit und war längst verges­sen — bis vor etwa einer Woche. Da hörte ich in der Birken­straße laute Musik, Trom­pe­ten, Trom­meln, es klang wie ein Karne­vals­um­zug. Ein paar Stun­den später, als ich gerade in der Turm­straße war, sah ich sie: Etwa zehn Mann gingen lang­sam durch die Olden­bur­ger Straße, jetzt sah ich auch noch ein Akkor­deon. Sechs oder sieben von ihnen spiel­ten, die ande­ren schau­ten nach oben, ob jemand etwas herun­ter wirft. Leider musste ich schnell weiter.
Dann aber gestern Nach­mit­tag, dies­mal im Stephan­s­kiez. Wieder zehn Leute, wieder unüber­hör­bar. Wie sie da lang­sam durch die Straße zogen, die “Auffän­ger” hin und her laufend, einige andere auch tänzelnd, verbrei­te­ten sie eine fröh­li­che Stim­mung. Mehrere Kinder tanz­ten neben ihnen, wurden dann aber von ihren Eltern zurück­ge­ru­fen. Ich ging auf sie zu und gab einem Mann einen Euro (tja, die Infla­tion…) und fragte ihn, wo sie her kämen, weil sie sehr südlän­disch aussa­hen. Seine Antwort lautete “Bosovo”, was also Kosovo oder Bosnien heißen könnte, sicher also vom Balkan.
Ein Poli­zei­auto, das in diesem Moment vorbei­fuhr, musste brem­sen, da die Musi­ker mitten auf der Straße spiel­ten. Doch die Beam­ten zeig­ten sich fried­lich, lach­ten, aber gaben keine Spende. Wenigs­tens mach­ten sie jetzt nicht noch eine Perso­na­li­en­kon­trolle oder über­prüf­ten die Geneh­mi­gung fürs öffent­li­che Musi­zie­ren. Auf meinem Nach­hau­se­weg hörte ich sie noch eine Weile und viel später noch­mal aus der Wilhelms­ha­ve­ner Straße. Für die Musi­ker ist das sicher rich­tige Arbeit, stun­den­lang durch die Stra­ßen zu laufen, um sich so ein paar Euro zu verdie­nen. Ich freute mich darüber, dass unser Kiez solch ein klei­nes Déjà vu erle­ben darf.

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Das alte Hotel Adlon

Am 24. Okto­ber 1907 berich­tete die Vossi­sche Zeitung in Berlin: “Während des gest­ri­gen Tages hatten Kaiser, Kaise­rin, Prin­zes­sin­nen und Prin­zen den präch­ti­gen Hotel­bau besich­tigt und Herrn Adlon ihre Aner­ken­nung des hier Geschaf­fe­nen in ehrends­ter Weise […]

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