Ein neuer Ort

Wieder mal ging das Leben einen ande­ren Weg, als gewünscht. In den vergan­ge­nen fünf Jahren habe ich mit meinem besten Freund zusam­men­ge­lebt, einige Monate war auch noch mit seine Freun­din dabei. In der Nach­bar­woh­nung wohn­ten auch Freunde, es war wie eine große 5‑Zim­mer-Wohn­ge­mein­schaft. Bis er vor einem Jahr sagte, dass er gerne fest mit seiner Dame zusam­men wohnen möchte. Aber wenigs­tens hatten wir noch ein paar gemein­same Monate.

Vor Kurzem begann ich dann mit der Wohnungs­su­che. Ganz so güns­tig sind die Mieten heute auch nicht mehr, bei den Besich­ti­gun­gen ist man schon längst nicht mehr allein, die Konkur­renz ist wieder da. Letzt­lich hatte ich dann Glück, zwei Monate sollte ich noch warten, dafür ist die Wohnung dann aber auch frisch saniert, ganz toll und modern, mit Einbau­kü­che, Geschirr­spü­ler und Zentral­hei­zung. Und vor allem: Sie hat einen Balkon, das war für mich das wich­tigste. Einen Balkon hatte ich noch nie, den würde ich ausnut­zen.

Je näher der Umzug rückte, umso größer wurde die Bekom­men­heit. Noch drei Nächte zuhause, noch zwei, dann die letzte. 14 Leute halfen dann mit, Fami­lie, Freunde, Bekannte. Keine drei Stun­den später waren die Möbel verstaut und ich stand in meinem alten leeren Zimmer. Es war plötz­lich wieder so groß und hallte. Dann kamen die Tränen, jetzt war wirk­lich Schluss hier.

Dann die erste Nacht. Neue Geräu­sche. Man hört hier viel mehr, das Duschen der Nach­barn, den Fern­se­her von oben. Statt Katzen­ge­jaule, Vogel­ge­sang und Müll­ton­nen­ge­klap­per im Hinter­hof nun die Autos von der Straße, gröh­lende Jugend­li­che, Poli­zei­si­re­nen und schon früh das Glocken­ge­läut der nahen Kirche. Sicher, ich werde mich daran gewöh­nen.
Das Problem ist ja nicht die neue Wohnung, mein schi­cker, moder­ner, golde­ner Käfig. Schlimm ist das plötz­li­che Allein­sein. Niemand mehr im Neben­zim­mer, mit dem man einfach mal reden kann. Nicht die tief­schür­fen­den Gesprä­che, sondern die des Alltags. Keiner, mit dem man spon­tan spazie­ren geht oder zusam­men fern­sieht, niemand, der einem von der Arbeit erzählt oder fragt: “Wie war’s?” Jetzt muss man sich erst verab­re­den, erst tele­fo­nie­ren, jedes Tref­fen will orga­ni­siert sein, auch wenn nur ein paar Häuser­blö­cke zwischen uns liegen. Wir werden uns frem­der werden. Das gemein­same Alltags­le­ben ist vorbei, ich fühle mich heraus­ge­ris­sen aus einem klei­nen Orga­nis­mus und blute nun hier vor mich hin. Und pflege mein Selbst­mit­leid. Jetzt habe ich eine neue Wohnung, aber kein Zuhause mehr. Dafür Balkon und Einbau­kü­che, wozu brau­che ich also noch einen Menschen um mich herum.

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Podcast 90: Please hold the line

Podcast Nr. 90 vom 19.7.2010 Wie schnell flie­gen Trabis? Laut­spre­cher auf den Stra­ßen, Kame­ras in London, Mormo­nen und andere wich­ti­gen Themen der Menschen­heit. Außer­dem klärt Aro darüber auf, was die geheim­nis­vol­len Durch­sa­gen in Kauf­häu­sern bedeu­ten.

Weblog

WM 2006: Wir haben gewonnen!

Endlich vorbei. Die deut­sche Mann­schaft hat den Sprung ins Finale der Fußball-WM nicht geschafft, und plötz­lich ist alles anders. Letzte Woche noch ein lauter schwarz-rot-golde­­ner Auto­korso auf dem Kudamm, Riesen­party vom Bran­den­bur­ger Tor bis Halen­see. […]

8 Kommentare

  1. Hi Aro,
    Du brauchst zum Beispiel andere Menschen um Dich rum um deine Einbau­kü­che und vor allem den Balkon in geteil­ter und ausgi(e)biger Freude zu nutzen und zu genie­ßen. So eine neue, fremde Wohnung muss auch erst mal von einem selbst wieder belebt werden und mit der eige­nen Ausstrah­lung durch­drun­gen werden, das braucht ein bischen Zeit, das ist klar. Das Verhält­nis zu den alten Freun­den wird sich zwangs­läu­fig etwas verän­dern aber das heißt ja nicht zwangs­läu­fig das es schlech­ter wird. Und mal sehen was die neuen Nach­barn mit der Zeit so herge­ben.
    Für alle weite­ren psycho­lo­gi­schen Abhand­lun­gen ist es jetzt noch zu früh, Dein Umzug (Auszug, Raus­schmiss, usw.) ist noch zu frisch. Ich kann in großen Teilen nach­voll­zie­hen wie Du dich viel­leicht fühlst, auch wenn es bei mir inzwi­schen einige Jahre her ist. Las Deine Trau­rig­keit (gefühlte Macht­lo­sig­keit, gefühlte Hilflosigkeit,Wut, Zorn usw.) eine Weile zu und pflege Deine Wunden, das ist wohl notwen­dig. Aber dann komm wieder raus aus Deinem Mause­loch! Nicht zu letzt entschei­det das eigene Verhal­ten die Reak­tio­nen unse­rer Umwelt auf uns.
    Ach so, noch eins:
    “… es wird schon irgend­wie. …”
    Also, wenn eines sicher ist, dann ist es das, dass es wird. WIE es wird daran kannst Du dich maßge­bend betei­li­gen.
    lieben Gruß,
    Ela

  2. Einbau­kü­che und Balkon…ok…dann muss ich mal schaun dass ich noch zur warmen Jahres­zeit vorbei kommen kann, um die Einbau­kü­che einzu­wei­hen, und das Ergeb­nis dann zusam­men mit Dir auf dem schi­cken Balkon zu genie­ßen :-)
    Kopf hoch!
    Phips

  3. Eine Woche später. Noch finde ich den Weg vom Bett zum Klo im Dunkeln nicht, aber so in etwa. Die Möbel stehen alle an ihrem Platz, die Bilder hängen noch nicht, ich weiß jetzt, hinter welcher Tür die Kaffee­tas­sen stehen. Drei Früh­stü­cke auf dem Balkon haben mich ein biss­chen mit dem neuen Ort versöhnt. Es ist sehr hell hier. Ein paar Freunde und Mam waren schon zu Besuch, lang­sam komme ich an. Aber J. fehlt mir hier, das wird wohl blei­ben.
    Danke an alle!

  4. Das wird schon “Großer”. :-)

    Posi­tiv geht die Welt zu Grunde. *zwin­ker*

    Wenn’s nich so weit wär, würd ich ja mal zum Balkon­früh­stück vorbei kommen.
    Na mal schaun, was nicht is, kann ja noch werden.

  5. Zwischen­be­richt, fast zehn Jahre später: Ich wohne immer noch hier, so lange war ich noch nie in der glei­chen Wohnung. Die Freund­schaft ist tatsäch­lich anders gewor­den, aber nicht schlech­ter. Vor fünf Jahren ist jemand für kurz hier mit einge­zo­gen, er lebt immer noch hier auf einer Matratze im Wohn­zim­mer. Die Einbau­kü­che hat ihre ersten und zwei­ten Macken. Passt alles.

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