Der andere 11. September

Der brennende Präsidentenpalast La Moneda

Der 11. Septem­ber ist eng mit der Geschichte der USA verbun­den. Nicht erst seit 2001. Im Jahr 1973 waren die Amis nicht Opfer, sondern Täter.
Drei Jahre zuvor war der Sozia­list Salva­dor Allende in Chile zum Staats­prä­si­den­ten gewählt worden. Der promo­vierte Arzt war zu diesem Zeit­punkt bereits seit über 40 Jahren poli­tisch aktiv. Als junger Mann kämpfte er gegen die Dikta­tur von Oberst del Campo. Als in den 30er Jahren die Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Bewe­gung Chiles für einen Rechts­ruck in der Poli­tik sorgte, grün­dete Allende zusam­men mit seinen Freun­den die Frente Popu­lar (Volks­front), es kam zu harten Ausein­an­der­set­zun­gen mit Dutzen­den von Toten.

In der Nach­kriegs­zeit gewan­nen die Christ­de­mo­kra­ten die Mehr­heit, unter Eduardo Frei Montalva gab es tief­grei­fende Umge­stal­tun­gen im Land, wie die Teil­ver­staat­li­chung des Kupfer­berg­baus, die Grün­dung von Gewerk­schaf­ten, einem massi­ven Ausbau des Bildungs­sys­tems und einer Land­re­form.
In dieser Zeit poli­ti­sierte sich die Bevöl­ke­rung massiv. Den rela­tiv star­ken Linken gingen die Refor­men nicht weit genug, die Rech­ten sahen schon den Kommu­nis­mus am Hori­zont herauf ziehen. Die Gesell­schaft spal­tete sich.

Mitt­ler­weile waren die USA auf ihren “Hinter­hof” in Mittel- und Südame­rika aufmerk­sam gewor­den. Kuba wurde ihrem Einfluss­be­reich durch die Revo­lu­tion entzo­gen, in mehre­ren ande­ren Staa­ten erstark­ten linke oder ganz einfach demo­kra­ti­sche Bewe­gun­gen, was den USA eben­falls nicht gefiel. Zudem gab es mehrere große US-Konzerne, die in Chile aktiv waren, allen voran die ITT (Inter­na­tio­nal Tele­phone and Tele­graph Company), die den Kuper­berg­bau domi­nierte.

1969 wurde die Unidad Popu­lar (UP) gegrün­det, der nicht nur die meis­ten linken Parteien ange­hör­ten, sondern auch christ­li­che. Am 4. Septem­ber 1970 gewann er UP-Kandi­dat Salva­dor Allende die Präsi­den­ten­wahl. Zuvor hatte er ange­kün­digt, grund­le­gende Einschnitte vorzu­neh­men: Entschä­di­gungs­lose Verstaat­li­chung der Boden­schätze, Enteig­nung von auslän­di­schen Groß­un­ter­neh­men, Banken und Groß­grund­be­sit­zern. Die Löhne wurden um teil­weise 40 Prozent erhöht, Preise für die Miete und für wich­tige Grund­be­darfs­mit­tel wurden einge­fro­ren. Schul­bil­dung und Gesund­heits­ver­sor­gung wurden kosten­los. Gleich­zei­tig konnte der Aufbau eines Cyber­syn-Netzes  gestar­tet werden, eine Art chile­ni­sches Inter­net, das die Wirt­schaft weiter voran­trei­ben sollte. Tatsäch­lich wuchs sie im ersten Jahr um 11 Prozent.

Doch die Poli­tik der Unidad Popu­lar gefiel der US-Regie­rung sowie den us-ameri­ka­ni­schen  Konzer­nen über­haupt nicht. Direkt nach der Wahl hatte US-Präsi­dent Richard Nixon der CIA die Anwei­sung gege­ben, den Amts­an­tritt Allen­des zu verhin­dern. Als das nicht klappte, begann ein massi­ver Propa­gan­da­krieg gegen die linke Einheits­re­gie­rung. Die CIA grün­dete und finan­zierte in Chile eigene Medi­en­un­ter­neh­men und rechte Orga­ni­sa­tio­nen, die diese Atta­cken umsetz­ten. Die USA setz­ten einen Kupfer­boy­kott durch und hinderte Unter­neh­men aus dem eige­nen und ande­ren Ländern daran, Handel mit Chile zu trei­ben. Nixon wollte die “Kommu­nis­ten” in Chile “ausquet­schen”. In der nächs­ten Stufe begann die Orga­ni­sie­rung von Streiks und Stra­ßen­schlach­ten, rechts­ra­di­kale Grup­pen began­nen mit Terror und Sabo­ta­ge­ak­tio­nen.
Trotz allem konnte die Unidad Popu­lar bei der 1973 statt­fin­den­den Parla­ments­wahl ihre Stim­men­zahl um 44 Prozent stei­gern. Das machte deut­lich, dass sie in der Bevöl­ke­rung weiter­hin die Mehr­heit hatten und ihren Kurs fort­set­zen sollte. Die USA erkann­ten, dass sie mit den bishe­ri­gen Mitteln nicht weiter­kom­men würden.

Im August 1973 machte Allende jedoch einen folgen­schwe­ren Fehler: Er ernannte den Gene­ral Augusto Pino­chet zum Ober­kom­man­die­ren­den des Heeres. Pino­chet aber hatte sich längst auf die Seite der Allende-Gegner geschla­gen. Nach­dem alle vorhe­ri­gen Maßnah­men zum Sturz der Regie­rung erfolg­los gewe­sen waren, entschied sich Pino­chet für einen Mili­tär­putsch. Mit Kampf­flug­zeu­gen ließ er am 11. Septem­ber 1973 den Präsi­den­ten­pa­last “La Moneda” bombar­die­ren. Dann stürmte die Armee das Gebäude. Präsi­dent Salva­dor Allende konnte eine letzte Rede über den Rund­funk halten, danach erschoss er sich in seinem Büro.

“Mit Sicher­heit ist dies die letzte Gele­gen­heit, mich an Sie zu wenden. … Mir bleibt nichts ande­res, als den Arbei­tern zu sagen: Ich werde nicht aufge­ben! In diesem histo­ri­schen Moment werde ich die Treue zum Volk mit meinem Leben bezah­len. … Sie haben die Macht, sie können uns über­wäl­ti­gen, aber sie können die gesell­schaft­li­chen Prozesse nicht durch Verbre­chen und nicht durch Gewalt aufhal­ten. Die Geschichte gehört uns und sie wird durch die Völker geschrie­ben. Arbei­ter meiner Heimat: Ich möchte Ihnen für Ihre Treue danken. … Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Arbei­ter! Dies sind meine letz­ten Worte und ich bin sicher, dass mein Opfer nicht umsonst sein wird, ich bin sicher, dass es wenigs­tens ein symbo­li­sches Zeichen ist gegen den Betrug, die Feig­heit und den Verrat.“

Origi­nal-Rede, gesen­det auf Radio Magel­lan:


Die Rede auf Deutsch:


Nach­dem Pino­chet die Macht ergrif­fen hatte, wurden tausende UP-Anhän­ger verhaf­tet, gefol­tert und ermor­det. Berüch­tigt wurde das Natio­nal­sta­dion der Haupt­stadt Sant­iago, in dem die Putschis­ten ihre poli­ti­schen Gegner einsperr­ten und folter­ten. In den dünn besie­del­ten Wüsten­ge­bie­ten im Norden Chiles und in Pata­go­nien errich­tete das Mili­tär Konzen­tra­ti­ons­la­ger, wo Oppo­si­tio­nelle und deren Sympa­thi­san­ten nicht selten zu Tode gefol­tert oder unter ande­rem mit Flug­zeu­gen hinaus aufs Meer geflo­gen und dort hinaus­ge­wor­fen wurden. Es kam unter eini­gen Offi­zie­ren zu maka­bren Wett­strei­ten um die größ­ten Grau­sam­kei­ten.

Der Staats­ter­ror zog sich noch jahre­lang hin, erst nach 15 Jahren begann lang­sam wieder eine Demo­kra­ti­sie­rung des Landes. In der Zwischen­zeit hatten rund eine Million Chile­nen ihr Land verlas­sen. Für sie und etli­che andere Südame­ri­ka­ner ist der 11. Septem­ber ein Tag der Trauer — weil an diesem Datum 1973 die Volks­front­re­gie­rung in Chile brutal ermor­det wurde. Die Anzahl der Opfer liegt über der des Anschla­ges von 2001 in den USA.

Foto: Biblio­teca del Congreso Nacio­nal, CC BY 3.0 cl

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3 Kommentare

  1. Ein paar Tage nach dem Putsch fand in der Neuen Welt in der Neuköll­ner Hasen­heide | https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Welt_(Berlin) | eine große Soli­da­ri­täts­ver­an­stal­tung statt, bei der eine Gruppe von Rauch-Haus-Bewoh­nern vor einer riesi­gen Menschen­an­samm­lung (darun­ter viele Chile­nen) zwei Lieder zum Zeichen ihrer Verbun­den­heit sangen.

    Das eine Lied war “Avanti popolo, bandiera rossa”, an das andere kann ich mich nicht mehr erin­nern.

    Der Beifall war gran­dios!

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