Sprachlos

Manch­mal fehlen einem die Worte. Nicht aus Empö­rung, sondern aus Ratlo­sig­keit. Wenn man erfährt, dass ein Mensch, den man zu kennen glaubte, etwas getan hat. Etwas, das man nicht von ihm erwar­tet hätte.
So war es damals, als zwei Bekannte von mir plötz­lich verhaf­tet wurden, wegen “Mitglied­schaft in einer terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung”. Auf einmal waren sie weg, einer im Knast, der andere im Ausland. In einer solchen Situa­tion denkt man viel über dieje­ni­gen nach. Warum sind sie diesen Weg gegan­gen? Natür­lich ist man auch über­rascht, dass man nichts gemerkt hat, aber das ist ja noch erklär­bar. Man sieht die Sachen dann auch mit ande­ren Augen, die ihnen vorge­wor­fen werden. Können so liebe Menschen etwas Böses tun? Ist es viel­leicht doch gar nicht so böse, wie in der Öffent­lich­keit behaup­tet?

Ich habe öfters erlebt, dass jemand etwas Unüber­leg­tes getan hat, das ihm später leid tat. Das ist normal, so was passiert den meis­ten, mich nicht ausge­nom­men. Aus Verzweif­lung heraus, aus Ratlo­sig­keit. Viele sind auch einige Jahre ihres Lebens beson­ders radi­kal — auch das ist nicht unge­wöhn­lich. Wenn man in dieser Zeit etwas Dummes tut, kann einem das sein Leben lang beglei­ten, sogar das Leben zerstö­ren.
Welchen Maßstab legt man an?

In der extre­mis­ti­schen Polit­szene wird die Unzu­frie­den­heit junger Menschen ausge­nutzt. Sie werden aufge­hetzt, gegen Linke, Rechte, Auslän­der, den Staat, völlig egal. “Hier ist der Feind, du musst jetzt was gegen ihn tun!” Ich kenne das gut, habe dieses Rad jahre­lang mitge­dreht. Und sehr oft Glück gehabt, anders als andere.

Was tut ein junger Mensch, der nicht klar­kommt? Sei es mit der gesell­schaft­li­chen Situa­tion oder mit seiner eige­nen. Nur wenige rebel­lie­ren, werden aktiv. Es ist ja auch schwie­rig, wen kann man schon verant­wort­lich machen?
Viele haben auch nicht die Kraft oder die Persön­lich­keit, ziel­ge­rich­tet und über­legt eine Stra­te­gie zu entwi­ckeln und diese über Monate und Jahre zu verfol­gen. Sie gehö­ren zu einer Mehr­heit, zu denen, die aufge­ben. Alko­hol und andere Drogen, stumpf­sin­ni­ges Gehirn­ab­schal­ten vor den TV-Verblö­dungs­se­rien oder TikTok, bloß nicht nach­den­ken.

Aber dann sind da noch die ande­ren. Wenige nur. Aber sie wollen nicht alles nur in sich rein­fres­sen, sie wollen sich wehren, aber haben kein Ziel. Und so schla­gen sie um sich, zerstö­ren Buswar­te­häus­chen oder Autos, verprü­geln Leute, die gar nichts dafür können, nur um ihren Frust und ihre Hilf­lo­sig­keit abzu­re­agie­ren. Dabei sind es manch­mal liebe und hilfs­be­reite Menschen, ruhig, mit gutem Charak­ter. Niemand traut ihnen etwas Schlech­tes zu, auch nicht sie selber. Tat und Täter passen nicht über­ein. Ihre hilf­lo­sen Taten sind nicht Ausdruck krimi­nel­len Denkens oder von Gleich­gül­tig­keit, sondern ein Schrei gegen ihre Situa­tion.

Natür­lich ist es nicht rich­tig, wenn jemand loszieht und Dutzende Autos anzün­det, weil er selbst mit seinem Leben nicht klar­kommt. Vor allem, wenn er damit auch andere Menschen gefähr­det. Alles rich­tig, man kann das vom heimi­schen Schreib­tisch aus super beur­tei­len. Und verur­tei­len. Das hab ich auch gemacht. Und wenn die Law-and-Order-Schreier ihre Chance wittern, ist auch der Ruf nicht weit nach Wegsper­ren für immer, am besten gleich nach dem Schei­ter­hau­fen. Warum ein Mensch etwas tut, vor allem, wenn es seiner Persön­lich­keit eigent­lich völlig wider­spricht, das wird egal.

Wie geht es nun weiter für ihn? Das Leben ist jetzt völlig verpfuscht, keine Chance mehr für Jahre. Im Gefäng­nis kann man darüber nicht mehr selbst entschei­den. Die Freunde und Verwand­ten können kaum noch helfen. Sie sitzen da, verzwei­felt und sprach­los.

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