Gefangen im Hafen

Die Rock­band kommt aus der DDR. Im Sommer war ich manch­mal beim Bassis­ten, der wie fast alle von ihnen in der Nähe des Müggel­sees wohnte. Es waren schöne Tage, 100 Meter vom Wasser entfernt. Rela­xen auf dem Steg oder im Garten, zwischen­durch mal eine Radtour durch den Wald.
Da die Band auch im Westen erfolg­reich war, durfte sie auch im “nicht­so­zia­lis­ti­schen Ausland” auftre­ten. Vor allem Holland und die Bundes­re­pu­blik waren beliebt. Und natür­lich “WB”, wie der west­li­che Teil Berlins im DDR-Büro­kra­ten­deutsch hieß.
Ich beglei­tete die Musi­ker zu vielen Konzer­ten beider­seits der deutsch-deut­schen Grenze. Auch wenn es manch­mal sehr anstren­gend war, vor allem bei Tour­neen. Nach einer meist kurzen Nacht ging es los in die nächste Stadt, oft mehrere hundert Kilo­me­ter entfernt. Am Nach­mit­tag Bühnen­auf­bau und Sound­check, dann konnte man noch ein biss­chen den Ort besich­ti­gen. Nach dem Konzert wieder abbauen und dann wurde noch gefei­ert — damit auch die kommende Nacht wieder schön kurz blieb.

Dies­mal war ein Konzert in Hamburg ange­sagt. Kurz vorher gab es drei Tage Rock­mu­sik in der Deutsch­land­halle, wo wir den damals noch nassen Udo Linden­berg stüt­zen muss­ten, nach­dem er bei der Probe betrun­ken von der Bühne gefal­len war. Er dankte es uns bald danach.
Der erste Flug meines Lebens ging dann in die Hanse­stadt, dort trafen wir die Männer von der Crew. Und weil noch viel Zeit war, gab es eine Stadt­be­sich­ti­gung — mit drei LOs (“Ellos”), den Last­wa­gen aus DDR-Produk­tion. Ein High­light der Stadt ist natür­lich der Hafen. Mit unse­rem klei­nen Konvoi zuckel­ten wir an Lager­hal­len, Verla­de­kais und der großen Werft vorbei. Irgend­wann aber muss­ten wir los zur Halle. Doch bei der Hafen­aus­fahrt wurden wir gestoppt: Zoll­kon­trolle. Wir alle hatten Frage­zei­chen über den Köpfen. Wieso Zoll, mitten in der Stadt?
“Wenn Sie mit Last­wa­gen aus dem Zoll­ha­fen kommen, müssen Sie Ihre Waren natür­lich anmel­den und verzol­len”, belehrte uns der Mann in Grün­beige. Wir stan­den reich­lich beläm­mert da, mit sowas hatten wir nicht gerech­net. Es half auch nicht, dass wir unser Dilemma erklär­ten. Wir hatten noch den Bühnen­auf­bau vor uns, das brauchte Zeit. Und da die ganze Anlage nach dem Konzert ja wieder zurück in die DDR sollte, musste sie auch nicht verzollt werden.
Der Beamte sah das anders und wir in die Röhre. Vom Manage­ment war niemand zu errei­chen (Handys gab’s ja noch nicht), der Veran­stal­ter mühte sich redlich aber erfolg­los, wir beka­men die Wagen nicht frei. Mitten in der Verzweif­lung hatte einer der Musi­ker eine Idee: “Fragen wir doch den Linden­berg!” Man kannte sich ja und wie sich heraus­stellte, war dessen Equip­ment nicht weit von der Halle unter­ge­bracht. Wir riefen ihn an und sofort scheuchte er seine Leute auf, die den ganzen Kram zur Halle brach­ten und aufbau­ten. Und das war nicht wenig. Schwere Laut­spre­cher­bo­xen, Misch­pulte, Licht­büh­nen und zent­ner­weise Kabel. Wenigs­tens die Gitar­ren konn­ten wir am Zoll vorbei aus dem Hafen schmug­geln, nur das spezi­ell aufge­baute Schlag­zeug nicht und auch nicht den wich­ti­gen, selbst­ge­bau­ten Synthe­si­zer.

Die Bühne stand, die Leitun­gen waren ange­schlos­sen, kurz vor dem eigent­li­chen Konzert­be­ginn begann nun erst­mal der Sound­check. Der dauert schon unter norma­len Bedin­gun­gen mindes­tens eine Stunde, aber mit einer frem­den Anlage noch viel länger.
Und dann war plötz­lich Stille. Aber es war nicht der Strom, der ausge­fal­len war, sondern die Stimme des Sängers. Die zweite Kata­stro­phe an diesem Tag. Mit dem Taxi gings ins nächste Kran­ken­haus, um ihm viel­leicht irgend­was besor­gen zu können, das ihm wenigs­tens für ein, zwei Stun­den die Stimme zurück gibt. Aber vergeb­lich.
Mit einer Stunde Verspä­tung wurden die Tore geöff­net, obwohl der Sound­check noch lief. Während­des­sen gab es hinten Diskus­sio­nen, ob das Konzert so über­haupt zu machen sei. Schließ­lich einig­ten sich die Musi­ker darauf, dass jemand von den ande­ren singt, schließ­lich ist man ja Profi und auch nicht so oft in Hamburg. Sie woll­ten den Auftritt nicht ausfal­len lassen.
Erst nach einer weite­ren Stunde konnte das Konzert endlich anfan­gen, und es gehörte sicher nicht zu den besten, die die Band gege­ben hat. Aber die Besu­cher hatten Verständ­nis, obwohl sie erst lange nach Mitter­nacht wieder frei kamen.

Die Stim­mung danach war mise­ra­bel, trotz­dem setz­ten wir uns im Hotel noch einige Stun­den zusam­men. Mitten­drin kam dann die Nach­richt, dass die Ellos frei­ge­ge­ben waren und wir sie abho­len konn­ten. Noch in der Nacht zogen die drei Fahrer zum Hafen und fuhren dann gleich weiter nach Braun­schweig, wo das nächste Konzert statt­fin­den sollte. Das klappte auch super, fand pünkt­lich statt, der Sänger konnte wieder singen. Aber die Stadt hat ja auch keinen Hafen…

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6 Kommentare

  1. @Mike
    Danke für Deinen auf fundier­tes Wissen beru­hen­den Kommen­tar. Ich kann auch gerne den einen oder ande­ren Arzt empfeh­len.

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