Cell phone in Fonzell

Das mit der Spra­che ist schon komisch. Zwar gibt es Regeln, darun­ter aber auch sehr viele Ausnah­men und “Kann-Bestim­mun­gen” — vor allem nach der letz­ten Recht­schreib­re­form. Ein biss­chen ist es wie die Flos­kel bei der Part­ner­su­che: “Alles kann, nichts muss.” Dazu bietet die deut­sche Spra­che viele soge­nannte Fälle, die so schöne Reali­tä­ten schaf­fen wie “voll­endete Vorge­gen­wart” und echt lustige Wörter wie Plus­quam­per­fekt.
Beson­ders schön finde ich die Spra­che, wenn auslän­di­sche Begriffe inte­griert werden und dabei Kaprio­len schla­gen. Immer wieder nett ist der berühmte “Back Shop” (Zurück­la­den oder Rücken­ge­schäft). Noch immer glau­ben ja manche, “Handy” wäre ein engli­scher Begriff, dabei kennt man dieses Wort haupt­säch­lich im Deut­schen. Englisch­spra­chige Menschen sagen Mobile phone, Cellu­lar oder Cell phone. Würde man Cell phone rein phone­tisch ins Deut­sche zurück­über­set­zen, käme man schnell auf Tele­fon­zelle.

Diese Tele­fon­zel­len sind eh ein inter­es­san­tes Thema, zumal es sie prak­tisch nicht mehr gibt. Vor allem nicht von den alten Häus­chen, deren Türen bei rund einem Quadrat­me­ter Grund­flä­che auch noch nach innen geöff­net wurden. Junge Leute denken heute ja, da konnte man sich früher rein stel­len, wenn man bei Regen mit dem Handy tele­fo­nie­ren wollte — sozu­sa­gen Cell phone in Fonzell.
Ganz falsch! Diese Zellen dien­ten vieler­lei Zwecken. Sicher — man konnte darin auch tele­fo­nie­ren, voraus­ge­setzt, der Hörer war nicht abge­ris­sen und der Münz­schlitz nicht verklebt. Manch­mal musste man lange warten, bis man endlich dran war. Denn viele Jahre über wurden für ein Orts­ge­spräch nur einmal 10 oder 20 Pfen­nige verlangt, da nahmen sich viele ausrei­chend Zeit für ihre Gesprä­che. Manch einer wartete darin bei Regen­wet­ter genau so lange, bis der Bus kam.

Andere nutz­ten das Häus­chen aber auch als Klo, was umso rätsel­haf­ter war, weil sie außer­halb im Gebüsch ihr Geschäft wenigs­tens nicht so gut sicht­bar unter einer Lampe verrich­tet hätten. Ande­rer­seits gab es in den Zellen durch die Tele­fon­bü­cher massen­haft Papier.
Die Gerü­che in einer Tele­fon­zelle waren oft schreck­lich. Ob von Exkre­men­ten oder Erbro­che­nem (wer geht eigent­lich zum Kotzen in eine Tele­fon­zelle?), ob von Ziga­ret­ten­qualm oder im Sommer vom körper­li­chen Ausdüns­tun­gen, oft konnte man nur bei aufge­hal­te­ner Tür tele­fo­nie­ren.

Die gelben Zellen waren aber aufgrund ihrer Enge gerade auch bei puber­tie­ren­den Jugend­li­chen recht beliebt. Wenn man mit der oder dem Ange­be­te­ten zu zweit irgendwo anru­fen wollte, kam man sich zwangs­läu­fig körper­lich näher. Gut war’s, wenn noch ein Drit­ter dabei war, dann war Körper­kon­takt unver­meid­lich. Man über­legte sich dann schon einige Argu­mente Ausre­den, wieso man unbe­dingt gemein­sam in eine Zelle musste.

Schließ­lich dien­ten viele Exem­plare auch zur nicht-persön­li­chen Kommu­ni­ka­tion — wenn auch nicht immer im Sinne der Ange­ru­fe­nen. Ich erin­nere mich an bestimmte öffent­li­che Tele­fon­häus­chen, in denen zahl­rei­che Nummern an die Wand geschrie­ben waren, zusam­men mit eindeu­tig sexu­el­len Ange­bo­ten (“Heiße Braut sucht geilen Hengst”). Aller­dings waren die dabei stehen­den Nummern in Wirk­lich­keit die von Lehrern oder ande­ren unbe­lieb­ten Leuten.
Glaub­wür­di­ger waren da noch die Sprü­che, in denen nur mit Orts- und Zeit­an­gabe nach schwu­len Sexpart­nern gesucht wurde. Genau diese wurden aber am Schnells­ten auch wieder entfernt.
Es gab sogar eine Kommu­ni­ka­tion per Tele­fon­buch: Als ich etwa zehn Jahre alt war, haben wir uns mit unse­rer “Bande“auf einer bestimm­ten Seite mit Filz­stif­ten ausge­tauscht. Man konnte sich da z.B. verab­re­den, und wenn alles erle­digt war, wurde die Seite raus­ge­ris­sen. Vor-Handy-Zeiten…

Heute findet man diese alten Tele­fon­zel­len nicht mehr. Wenn über­haupt, sind die meis­ten Münz­te­le­fone nur über­dacht und haben viel­leicht kleine Seiten­schei­ben. Unge­stört ist man darin aber nicht, nicht vor dem Stra­ßen­lärm und auch nicht vor unge­woll­ten Zuhö­rern. Aber die meis­ten haben ja heute eh ihr eige­nes Cell phone.

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