“Bolle bietet Bestes”

Am Anfang stand der Pionier Carl Bolle, der sein Leben lang mit viel Fleiß eine mehr oder weni­ger groß­ar­tige Idee in die Tat umsetzt. Ihm gingen dabei so manche Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen hilf­reich zur Hand. Am Ende der Geschichte starb Carl Bolle als Millio­när. Seine Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen, mit denen er “durch die Bande (…) der persön­li­chen Liebe verbun­den war”, star­ben hinge­gen in ungleich beschei­de­ne­ren Verhält­nis­sen. Es ist die Geschichte eines der großen Moabi­ter Betriebe der Grün­der­zeit.

Bolle-Emblem

Um das Jahr 1860 begann Carl August Bolle seine unter­neh­me­ri­sche Lauf­bahn. Mit ererb­tem Vermö­gen und gelie­he­nem Geld kaufte er Grund­stü­cke, auf denen er Miets­häu­ser bauen ließ. Er hatte erkannt, dass Arbei­ter­woh­nun­gen in der sich entwi­ckeln­den Indus­trie­stadt Berlin Mangel­ware waren. Im Bauge­schäft kam es zu einer Krise, so dass Carl Bolle auf seinem Grund­stück am Lützow­ufer auf Fisch­han­del umstieg. Er grün­dete eine Seefisch­hand­lung, doch geschah ein Unglück, das ihn wiederum an den Rand des Ruins brachte: Einige Wagen­la­dun­gen Fisch waren mit Verzö­ge­rung einge­trof­fen, der Fisch war nicht mehr ganz frisch. Dennoch wurde er zum Kauf ange­bo­ten. Die Poli­zei griff ein. Carl Bolle gab den Fisch­han­del auf und ließ 1879 eine Molke­rei mit Milch­gar­ten auf seinem Grund­stück errich­ten. Zwei Jahre später setzte er die ersten drei Bolle-Milch­wa­gen ein. Im Umkreis von 200 Kilo­me­tern konnte er Zug um Zug die Bauern durch die Vergabe von Kredi­ten in Abhän­gig­keit von ihm brin­gen. War dies gesche­hen, diktierte er die Preise. Als die Bauern schließ­lich die Erhö­hung der Erzeu­ger­preise forder­ten, versuchte Bolle auf Bauern in Böhmen auszu­wei­chen. Es gelang ihm dennoch nicht, den Wider­stand der Bauern zu brechen. Ein Jahr nach Grün­dung der Molke­rei konnte Bolle täglich bereits 24.000 l Milch verkau­fen. 1887 zog der Betrieb zu seinem späte­ren Stand­ort nach Alt-Moabit um.

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Carl Bolle war ein streng gläu­bi­ger Christ. Er ließ für seine Unter­ge­be­nen eine Kirche bauen und sorgte mit Nach­druck dafür, dass jeden Sams­tag alle Beleg­schafts­mit­glie­der zum Kirchen­gang erschie­nen. “Für seine Mitar­bei­ter traf Bolle umfang­rei­che soziale Maßnah­men, wozu auch die Errich­tung von Kinder­er­ho­lungs­hei­men gehörte”, ist in einer vom Bezirks­amt Tier­gar­ten heraus­ge­ge­be­nen Chro­nik zu lesen. Ande­rer­seits ließ Bolle halbe Kinder als Bolle­jun­gen täglich bis zu 10 Std. sechs Tage die Woche für sich arbei­ten. Um 1910 sah das so aus:

Der Dienst begann um 3 Uhr morgens und endete erst in den Abend­stun­den, wenn Pferde und Abrech­nung besorgt waren. Wie die Jugend­li­chen bei “Bimmel-Bolle” stramm preu­ßisch behan­delt wurden, schil­dert ein ehema­li­ger Bolle­junge, der als 13-Jähri­ger mit Milch­aus­tra­gen begann:

“Jeden Morgen, auch sonn­tags, musste ich zusam­men mit weite­ren 250 Jungen mit blauen Kittel, mit der Bolle-Uniform­mütze auf dem Kopf, in blank­ge­putz­ten Stie­feln, auf dem Hof in Alt-Moabit mili­tä­risch antre­ten. Dann ging es bis in die frühen Nach­mit­tags­stun­den mit der Klin­gel auf die Höfe und mit den Milch­kan­nen trepp­auf und treppab. Dafür erhielt ich ganze 3,90 Mark in der Woche, die sich nach einem Jahr um eine Mark erhöh­ten. Für die geringste Klei­nig­keit, wie Zuspät­kom­men, unor­dent­li­cher Anzug, Fehler bei der Arbeit, wurden Geld­stra­fen erho­ben. Auch wer sonn­abends nach Arbeits­schluss nicht zum Instruk­ti­ons­ap­pell mit anschlie­ßen­dem Kirchen­gang erschien, dem wurden 0,50 bis 1 Mark abge­zo­gen, oder er musste Straf­ar­beit leis­ten”.

1910 traten 200 Bolle­jun­gen für einen Tag in den Streik, sie blie­ben jedoch erfolg­los. 1925 kommt es zwei­mal zu Arbeits­un­ru­hen. Einmal können die Bolle­jun­gen durch einen kurzen Streik vor Arbeits­be­ginn errei­chen, dass ein Kutscher, der einen Bolle­jun­gen miss­han­delt hat, entlas­sen wird, ein ande­res Mal geht es um Lohn­er­hö­hun­gen. Der Ausgang des letz­ten Konflikts ist nicht bekannt.
Inzwi­schen wird Carl Bolle 1909 “für seine großen Verdienste” zum Gehei­men Kommer­zi­en­rat erho­ben. Ein Jahr später stirbt er. Nach seinem Tod wird das Unter­neh­men in eine Akti­en­ge­sell­schaft umge­wan­delt. Der Direk­tor der Deut­schen Bank über­nimmt den Vorsitz des Aufsichts­rats. Im Jahr Hitlers Macht­er­grei­fung über­nimmt schließ­lich die Fami­lie Werhahn einen Groß­teil der Bolle AG. Diese mit zahlen­rei­chen großen Unter­neh­men (Hoesch, Stra­bag, Schult­heiss, Wickü­ler Bier usw.) verflech­tete, uner­mess­lich reiche Fami­lie Werhahn war 1968 bei der Schaf­fung eines ille­ga­len Baustei­ne­kar­tells betei­ligt.

Nach 1945 verlor die Meie­rei C. Bolle zuneh­mend ihre Bedeu­tung. In den 50er Jahren wurde die Verkaufs­struk­tur wesent­lich gewan­delt, der Trend ging zu Selbst­be­die­nung, Milch­fla­sche bzw. ‑tüte. Die Rohmilch kam aus den west­li­chen Bundes­län­dern, der Eigen­pro­duk­ti­ons­an­teil ging immer weiter zurück und 1969 wurde sie ganz einge­stellt. Paral­lel dazu wurde als zwei­tes Stand­bein ein Netz von Einzel­han­dels­ge­schäf­ten aufge­baut, das jedoch trotz des Slogans “Bolle bietet Bestes” in den 80er Jahren nicht mehr den erhoff­ten Gewinn machte.
Die Bolle Meie­rei-Zentrale verkaufte ihre Produkte noch einige Jahre unter dem Namen Emzett, 1999 ging Bolle in der Firma Campina auf, die heute u.a. unter ihrer Marke “Mark Bran­den­burg” ihre Milch­pro­dukte vertreibt.
Bereits 1983 wurde ein Teil der alten Meie­rei in Moabit abge­ris­sen, das Gelände wurde für Lager­zwe­cke genutzt. Bis zum Ende der acht­zi­ger Jahre war es eine Stadt­bra­che gewor­den. Mit dem Regie­rungs­um­zug lebte das Grund­stück wieder auf: Die noch vorhan­de­nen Gebäude wurden saniert, hier befin­den sich heute Gast­stät­ten, Büros und ein Hotel, mitten­drin steht ein hufei­sen-förmi­ges, gläserne Hoch­haus. Der Name Bolle ist jedoch aus dem Bewusst­sein der Berli­ner verschwun­den, auch wenn ein Unter­neh­mer Anfang 2004 wieder einen Lebens­mit­tel­markt unter diesem Namen eröff­nete. Doch mit der Meie­rei von Carl Bolle hat das nichts mehr zu tun.

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1 Kommentar

  1. Ergän­zend, möchte ich hinzu­fü­gen, dass 1987 die Fami­lie Werhahn die Fa. Bolle an die coop veräu­ßerte. Die Mauer fiel 1989 und Bolle firmierte mehr­mals mit um. Der Weg führte ua. über die Fa. Konsum Inter­buy oder die DSBK Kauf bis zur Metro AG. Unter Führung der Metro wurde ein großer Teil der Bolle Märkte an die Spar abge­ge­ben. Meist waren es die klei­nen Märkte mit Verkaufs­flä­chen unter 1000 qm, meist 600 qm und wenig bzw. keine Park­plätze. Sie pass­ten nicht mehr in das Konzept eines moder­nen Super­mark­tes. Der Rest der Märkte wurde in die Vertriebs­li­nie extra der Metro AG umge­wan­delt. Der Name Bolle ging mit an die Metro über und wurde später wieder akti­viert, indem man klei­nere Märkte unter dem Namen Bolle priva­ti­sierte. Die Belie­fe­rung erfolgte nunmehr aus einen eigens geschaf­fe­nen Lager in Altlands­berg bei Berlin. Übri­gens stan­den dort noch über Jahre hinweg eine origi­nal Liefer­kut­sche der Meie­rei c. Bolle und die Bron­ze­büste von Herrn Bolle.
    Mit dem Verkauf der Fa. extra an die Rewe ging auch der Name Bolle mit.

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