Freiwild Frei.Wild

Es kommt vor, dass man seine Meinung zu bestimm­ten Dingen ändert. Im Klei­nen wie auch im Großen. Auch im sehr Großen, im Grund­sätz­li­chen. Dieses Recht muss man jedem Menschen zuge­ste­hen, schließ­lich ist das ein Ausdruck der eige­nen Weiter­ent­wick­lung und Lern­fä­hig­keit. Merk­wür­dig ist es schon, wenn eine Kehrt­wende in grund­sätz­li­chen Fragen nicht nur bei einem einzel­nen Menschen eintritt, sondern gleich­zei­tig bei einer ganzen Gruppe, in diesem Fall vier Perso­nen.
Die südti­ro­ler Rock­band Frei.Wild galt seit ihrer Grün­dung als rechts und natio­na­lis­tisch. Wobei das Natio­na­lis­ti­sche auf Südti­rol bezo­gen ist, das zu Italien gehört und deren Einwoh­ner­schaft größ­ten­teils deutsch­spra­chig ist.

Der sehr zur Schau getra­gene Natio­na­lis­mus der Band und auch die Kontakte zu Rechts­rock­bands oder zur öster­rei­chi­schen Partei FPÖ wider­spra­chen den eige­nen Beteue­run­gen, keine poli­ti­sche Musik­gruppe zu sein. Nun ist Natio­na­lis­mus sicher nicht per se rechts­ra­di­kal und Frei.Wild haben es immer verstan­den, sich nicht zu offen­sicht­lich poli­tisch rechts zu äußern. Auf der einen Seite distan­zie­ren sie sich seit Jahren von Natio­nal­so­zia­lis­mus und Neona­zis, ande­rer­seits schei­nen immer wieder Andeu­tun­gen  durch, die man als völkisch oder anti­se­mi­tisch inter­pe­tie­ren könnte.

Anders als die Böhsen Onkelz, die sich nach einer sehr frühen Phase im rechts­extre­men Milieu in vielen Songs und Ansa­gen mehr als eindeu­tig von den Neona­zis distan­zier­ten, waren die Aussa­gen von Frei.Wild bis vor Kurzem eher zurück­hal­tend.
Aller­dings bleibt es auch jedem selbst über­las­sen, sich von den Rechts­extre­men abzu­gren­zen. Keine Distan­zie­rung abzu­ge­ben ist nicht gleich­be­deu­tend mit einer Sympa­thie­be­kun­dung. Und wenn stän­dig von einem eine Distan­zie­rung gefor­dert wird ist verständ­lich, wenn man irgend­wann keinen Bock mehr darauf hat. Die Onkelz versi­chern seit über 25 Jahren, dass sie mit Neona­zis nicht zu tun haben wollen und werden trotz­dem von vielen noch als Rechts­rock­band betrach­tet. Und dies, obwohl weder die Texte, die Ansa­gen oder die Fans dafür einen Hinweis gäben. Da ist es nach­voll­zieh­bar, wenn eine Band sich dem stän­dig gefor­der­ten Ablass irgend­wann verwei­gert.

Schon mehr­mals wurden Frei.Wild deshalb von Veran­stal­tun­gen ausge­schlos­sen, aktu­ell vom Reeper­bahn-Festi­val in Hamburg. Die Orga­ni­sa­to­ren unter­stel­len der Band in einer Erklä­rung rassis­ti­sches und faschis­ti­sches Gedan­ken­gut. Offen­bar stört es sie in ihrer Pauschal­ver­ur­tei­lung auch nicht, dass Frei.Wild mitt­ler­weile ganz eindeu­tig Posi­tion bezieht. Aber ein schö­nes Feind­bild ist ja auch immer gut für den eige­nen Zusam­men­halt — da kann die Reali­tät schon mal stören.

Frei.Wild jeden­falls hat sich klar zu den Themen Flücht­linge und Rechts­extre­mis­ten geäu­ßert:

Es gibt Menschen, die wir heute mehr und mehr und stol­zer als bisher als unsere Fans und groß­ar­tige Menschen bezeich­nen: Es sind dieje­ni­gen, die für Mensch­lich­keit und Zivil­cou­rage einste­hen und sich verdammt noch­mal vehe­ment und entschlos­sen gegen die Brand­stif­ter und Frem­den­has­ser stel­len. Sie tun das völlig unei­gen­nütz. Sie tun das, weil sie es für rich­tig halten und es abso­lut notwen­dig ist, diesen geschei­ter­ten Exis­ten­zen aufzu­zei­gen, dass ihr Hass und ihre Aktio­nen nicht tole­rier­bar und inak­zep­ta­bel sind. Es ist Wurscht, wie sich solche Idio­ten nennen, egal ob “Pegida”, “AfD”, “Keine Asylan­ten in…” usw.
Ihr seid Scheiße und diese Scheiße werden wir nicht zulas­sen. Nicht bei uns und nicht mit dieser Band!
Wer Menschen, die gerade mit knap­per Not einem grau­sa­men Krieg oder einer Verfol­gung aus reli­giö­sen oder ande­ren Grün­den entkom­men sind entflie­hen muss­ten oder auf der Flucht ihre Liebs­ten verlo­ren haben, wer solche Menschen hier wieder bedroht und terro­ri­siert, der ist schlicht­weg ein asozia­les Arsch­loch ohne Verstand und, viel schlim­mer, ohne Herz und hass­ge­steu­ert.

Die Reak­tio­nen aus dem rech­ten Spek­trum auf diese Erklä­rung waren natür­lich vorher­seh­bar. Gift und Galle wird über der Band ausge­schüt­tet, sie werden als Verrä­ter titu­liert, als vom Kapi­tal gekauft, und natür­lich darf die beliebte Verur­tei­lung als “Gutmensch” nicht fehlen. Sie werden tatsäch­lich zum Frei­wild, so wie vorher schon aus der linken Ecke. Ich selber sehe die Erklä­rung als eindeu­tig und kann keinen Grund erken­nen, weshalb sie nur verbal abge­ge­ben würde, ohne dass die Musi­ker inhalt­lich dain­ter stehen. Man mag die Atti­tüde der Band nicht mögen, aber sie auf immer und ewig als Bäh zu bezeich­nen und ihr keine posi­tive Entwick­lung zuzu­ge­ste­hen, ist einfach nur dumm.

Song­text auf der neuen CD über die Sicht eines Flücht­lings:

Ich bin neu, ich fange an

Sehe nur leere Gesich­ter, unsäg­li­che Angst
Aufbruch zur Flucht, aus dem eige­nen Land
Scher­ben hinter­las­sen und Scher­ben erwar­ten
Geis­ter auf Auswe­gen, auf unsi­che­ren Pfaden

Wohin mit mir, wohin und mit wem?
Werde ich zurück­kom­men?
Oder immer dort leben?
Das Urteil des Schick­sals
Hätte es anders gewählt
Doch mein Wille zum Leben
Wählt meinen Weg

Endlich ange­kom­men
Alles neu und fremd
Nichts hier wird einfach
Weil mich keiner hier kennt
Neues Land, neue Wege
Werde mich neu defi­nie­ren
Will mein Leben hier leben
Will das alles kapie­ren

Ich will Teil dieser Welt sein
will nicht am Rande stehen
Werd es bewei­sen, ich bin dank­bar
Für den Beitrag an meinem Leben
Schlage Brücken durch Spra­che
Will sie lernen, will sie verste­hen
Euer Land kennen­ler­nen
Und will euch von meinem erzäh­len
Ich weiß, dass das alles
Für keinen hier einfach wird
Doch halte dran fest
Weil es nur ein Zusam­men gibt
Ein Zusam­men, das ich ohne euch so nicht leben kann
Also fange ich an, ich fange an, ich fange an
Und es fühlt sich rich­tig an

Was habe ich zu erwar­ten?
Wem soll ich vertrauen?
Wer hilft, wer miss­traut mir?
An wen kann ich glau­ben?
Liegt mein Anker für immer?
Endet hier meine Flucht?
Tausende Fragen
Auf die ich Antwor­ten suche

Doch will ich ein Leben
In eurer Mitte und frei
Begeg­nung verbin­det, sie hilft mir dabei
Neues Land, neue Regeln
Heißt auch Neues probie­ren
Ich will mit euch leben
Und das kann funk­tio­nie­ren

Egal woher, egal wohin
Neues soll kommen, Altes muss blei­ben
Will mein Leben hier leben
Will das Land hier verste­hen

Egal wo, egal woher
Egal wo, egal wohin
Egal wo
Für ein Zusam­men
Nicht ein Ausein­an­der
Für das Leben und Dinge
Die für ein solches stehen

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