Heute ist das Hallesche Tor in Kreuzberg mit seiner Brücke über den Landwehrkanal vom Straßenverkehr bestimmt. Autos auf beiden Seiten des Kanals, auf der Brücke die BVG-Busse, herum wuselnde Passanten überall, auf dem Wasser die Ausflugsdampfer, oben und unten die U‑Bahn. Eine ganz andere Art von Verkehr gab es hier um die vorletzte Jahrhundertwende.
Damals befand sich direkt am Blücherplatz in einem typischen Berliner Wohnhaus die Eckkneipe “Zur Katzenmutter”. Zwei Räume nur, aber stets gut gefüllt mit Soldaten und Zivilisten, fast alle männlich. Die Enge zwang die Gäste, etwas näher zusammen zu rücken. Es war beabsichtigt, sich näher zu kommen, denn hier trafen sich Soldaten aus der Dragonerkaserne (heute Finanzamt am Mehringdamm) sowie von den militärischen Anlagen auf dem Tempelhofer Feld mit speziellen Berlinern Herren. Vor allem für die vom Lande stammenden Handwerker und Bauern, die ihren Militärdienst in der Reichshauptstadt verrichteten, waren dieses Lokal und ähnliche in der Gegend die Gelegenheit, mal etwas anderes auszuprobieren. Die meisten von ihnen kamen aus ärmlichen Verhältnissen und erhofften sich finanziellen und vielleicht auch geistigen Gewinn, wenn sie mit großstädtischen Homosexuellen anbändelten.
Tatsächlich ging es dabei nicht nur um Sex, sondern auch um kulturelle Aktivitäten, Diskussionen, Museumsbesuche. Man ging zusammen essen und ins Varieté, wobei nicht wenige der Soldaten in ihren Heimatorten verheiratet waren. Trotzdem führte der Weg von der Katzenmutter über den Besuch im Salon meist auch ins Bett. Der Soldat freute sich über die Befriedigung, gutes Essen und Zigarren, der Berliner Herr über sexuelle Zuneigung.
Das alles blieb natürlich auch dem preußischen Militär nicht verborgen, bald verbot es seinen Soldaten den Besuch in diesen Lokalen. Die Katzenmutter wurde 1903 sogar polizeilich geschlossen, doch schon ein Jahr später ging das Treiben dort munter weiter, bis das Lokal 1910 endgültig dicht gemacht wurde.
Mehr als dreißig Jahre lang diente die Gegend um das Hallesche Tor der Anbahnung homosexueller Kontakte. Sobald es dämmerte, spazierten die Interessierten am Kanal entlang, man schaute sich unauffällig an, blieb am Geländer nebeneinander stehen, kam ins Gespräch. Und wenn es passte, nahm der Zivilist den Uniformierten mit zu sich nach Hause. Während der Weimarer Republik wurde den Soldaten deshalb sogar der abendliche Aufenthalt am gesamten Waterloo-Ufer vom Militär untersagt. Aber solche Verbote sind natürlich sinnlos, die Treffpunkte verlagerten sich einfach westwärts zum Tempelhofer und Schöneberger Ufer. All das war mit der Machtübergabe an die Nazis vorbei. Die öffentlichen Toiletten am Blücherplatz, an der Möckern- und der Flottwellstraße standen unter besonderer Beobachtung und bald war es für die Männer zu gefährlich, sich hier noch zu treffen.
In den 1960er bis 80er Jahren war dann das neu errichtete Toilettenhäuschen am Waterloo-Ufer nochmal Treffpunkt schwuler Männer. Da ging es aber nur noch um Sex, ein gemeinsamer Museumsbesuch nahm dort vermutlich eher selten seinen Ausgang.
“…ein gemeinsamer Museumsbesuch nahm dort vermutlich eher selten seinen Ausgang.”
Wegen solcher Sätze liebe ich deine Seite!