Mein Christian Klar

Ich bin kein Sympa­thi­sant der Roten Armee Frak­tion, war es auch nie, und ich bin auch Chris­tian Klar nie persön­lich begeg­net. Trotz­dem verbin­det mich mit ihm etwas. Etwas auch im Sinne von “wenig”, aber nicht von “nichts”. Als ich heute von seiner vorzei­ti­gen Entlas­sung aus dem Gefäng­nis hörte, nach etwas über 26 Jahren, berührte es mich schon. Unbe­stimmt.
Klar saß wegen der Morde von 1977. “Buback, Ponto, Schleyer — der nächste ist ein Bayer”, sang ich als Jugend­li­cher, dem dama­li­gen Minis­ter­prä­si­den­ten Franz-Josef Strauß in herz­li­cher Ableh­nung verbun­den, aber ansons­ten noch ohne poli­ti­schen Hinter­grund. Die Anschläge der RAF faszi­nier­ten mich und einige meiner Freunde, nicht wegen der poli­ti­schen Absicht, sondern einfach nur aufgrund der perfek­ten Drama­tur­gie. Der Staat war plötz­lich hilf­los, die auf allen Stra­ßen präsente Poli­zei machte sich immer lächer­li­cher, weil sie nichts auf die Reihe bekam. Nur die paar verwe­ge­nen Gestal­ten, die “Baader-Mein­hof-Bande”, führte die Regie­rung an der Nase herum. Sie waren für mich wie Robin Hoods, unfass­bar für den Verstand und die Poli­zei. Trotz des riesi­gen Aufge­bots an Sicher­heits­kräf­ten morde­ten sie weiter. Faszi­nie­rend waren auch die vorge­führ­ten Fern­seh­auf­nah­men nach den Selbst­mor­den von Stamm­heim: Selbst hier, im sichers­ten Gefäng­nis Deutsch­lands, konn­ten die Terro­ris­ten Waffen rein­schmug­geln, sie konn­ten sich mit selbst­ge­bau­ten elek­tro­ni­schen Gerä­ten mitein­an­der verstän­di­gen. Für uns Jungs war das einfach span­nend, den Ernst der ganzen Sache erkann­ten wir gar nicht. Auch ich war diffus gegen den Staat, er stand für mich für viel Nega­ti­ves. Kontrolle, Vorschrif­ten, Gefäng­nisse, ich war ja gerade in der Phase flügge zu werden, mein Leben selber zu orga­ni­sie­ren, mit erster eige­ner Wohnung, eige­ner erblü­hen­der Sexua­li­tät, mit eige­ner Selbst­herr­lich­keit. Da passte es gut, dass es irgendwo eine Gruppe gab, die “das System” bekämpfte. Ulrike Mein­hofs Bild, das trau­rig nach unten blickende Gesicht und ihr Tod ein Jahr zuvor, hatten mich gerührt. Für mich war sie damals die, die das Buch “Bambule” geschrie­ben hatte, in dem es um das Aufbe­geh­ren von Mädchen in einem Erzie­hungs­heim ging. Die Revolte aus dem Buch gab es wirk­lich, und in meinem Bezirk, in Kreuz­berg, hatten Leute schon vor länge­rer Zeit das Rauch­haus besetzt und das Tommi­haus, um jugend­li­chen Ausrei­ßern ein Zuhause zu geben. Auch ich begehrte auf, wollte meine Gren­zen durch­bre­chen, über­all spürte ich Spie­ßig­keit. Und wer sich dage­gen wandte, hatte auto­ma­tisch meine Sympa­thie.
In mein Zimmer hängte ich das berühmte Foto von Che Guevara auf, ich besuchte Ulrike Mein­hofs Grab in Mari­en­dorf, und ich tauchte in die Schwu­len­szene ein, weil ich dachte, dass das ja alles zusam­men­ge­hört. Und während ich tags­über meine Lehre in einem Kauf­haus absol­vierte, klaute ich zum Feier­abend im selben Gebäude kisten­weise Lang­spiel­plat­ten, um sie in unse­rem Jugend­club zu verscher­beln. Einbrü­che in Autos und Super­märkte folg­ten, es ging nicht nur um das Geld, sondern auch um das Ausbre­chen aus dem gere­gel­ten, vorge­schrie­be­nen Leben. Bei unse­ren Aktio­nen fühl­ten wir uns wie ein Teil der RAF, handel­ten in ihrem Geiste. So kam es uns vor. Und so fanden wir das klasse und uns gefähr­lich. Es war eine kind­lich-jugend­li­che Spie­le­rei, bis Anfang der 80er Jahre.

Im Früh­som­mer 1980 fand wie jedes Jahr die Mili­tär­pa­rade der West-Alli­ier­ten auf der Straße des 17. Juni statt. Meine Mam, die damals Abtei­lungs­lei­te­rin in einer Bank war, kopierte mir in der Firma Flug­blät­ter, die ich vorher gezeich­net hatte. “Anar­chis­ti­sche Revo­lu­tion des Volkes” stand da, mit großer schwar­zer Fahne (sehr prak­tisch, weil es ja nur Schwarz-weiß-Kopien gab). Dazu ein Text, der von einer Ermor­dung Ulrike Mein­hofs und den Stamm­heim-Gefan­ge­nen sprach. Mit einem Stapel dieser Flug­blät­ter stand ich am S‑Bahnhof, ich kam nicht mal dazu, ein einzi­ges zu vertei­len. Schon saß ich in der Wanne, die Poli­zis­ten um mich herum mach­ten sich über den Text lustig und frag­ten, ob ich das wirk­lich glaubte. Es war mir pein­lich, gleich­zei­tig aber hatte ich einen riesi­gen Hass. Kurz über­legte ich sogar, ob ich einen Ausbruchs­ver­such star­ten sollte, so hero­isch kam ich mir vor.
Mein dama­li­ger Hass war nicht ganz unbe­grün­det: Eine Woche zuvor war ich im Wend­land geräumt worden. Im Wider­stands­dorf, das zur Verhin­de­rung des Atom­end­la­gers Gorle­ben errich­tet worden war, hatte ich schon einige Tage gelebt. Eines Morgens dann ging es los. Erst kamen die Hubschrau­ber, fünf, zehn, sie flogen direkt über die Hütten, mancher nur wenige Meter darüber. Und dann sahen wir die Fußtrup­pen. Tausende weiße Helme bilde­ten in der Ferne einen riesi­gen Kessel, während sie über die Felder auf uns zu kamen. Wir waren zwei­tau­send Menschen, fried­lich, sehr viele Kinder, sehr viele alte Menschen, Bauern und Haus­frauen aus der Umge­bung. Das erste Mal in meinem Leben habe ich damals diese Mischung aus Angst und Hass erlebt. Der 4. Juni 1980 war für mich der Punkt, an dem ich zum Staats­feind wurde. Was vorher war, war unbe­wusst nur Spie­le­rei. Aber als die Poli­zei am Dorf ange­kom­men war, roll­ten sie mit ihren Baggern und Panzern all unsere Hütten und Zelte nieder. Wären noch Menschen drin gewe­sen, sie hätten das nicht über­lebt. Einen unse­rer beiden Türme, ca. 15 Meter hoch, konn­ten sie nicht erstür­men. Also stie­ßen sie ihn einfach um, mit den Leuten, die oben waren. So viel Geschrei, Hass­ge­brüll aus tiefs­ter Über­zeu­gung, so viel verzwei­felte Menschen habe ich vorher nie gese­hen.
Mit dieser Erfah­rung soli­da­ri­sierte ich mich nun in Berlin mit einer Toten, die es sich wohl verbo­ten hätte, als Anar­chis­tin bezeich­net zu werden. Spätes­tens an diesem Tag wurde ich wohl auch beim poli­zei­li­chen Staats­schutz erfasst.

Naht­los ging es weiter, die Haus­be­set­zer­be­we­gung hatte schon begon­nen und hier lernte ich lang­sam, dass es viele verschie­dene Frak­tio­nen gab im Kampf gegen den Staat, das System, das Kapi­tal. Und auch, dass viele der Grup­pen regel­recht verfein­det waren, weil die ande­ren die falsche Ideo­lo­gie hatten, oder zu viel oder zu wenig gewalt­be­reit waren. “Konse­quenz” war der Begriff, auf den ich immer wieder stieß und er hatte etwas Nega­ti­ves. Konse­quent waren z.B. die “Genos­sen”, die im Mai das Ameri­ka­haus in Berlin besetzt und mit Molo­tow­cock­tails vertei­digt hatten. 13 von ihnen kamen aus einem besetz­ten Haus in Kreuz­berg, Luckauer Straße. Ich wohnte nur 100 Meter weiter, sah die Poli­zei, die die rest­li­chen Bewoh­ner abführte, zusam­men­schlug und über die Dächer jagte. Die Ameri­ka­haus-Beset­zer waren RAF-Sympa­thi­san­ten, Unter­stüt­zer, aber sie hatten in der Beset­zer­szene ihren Platz. Zwar war die Mehr­heit gegen sie, doch Soli­da­ri­tät war selbst­ver­ständ­lich und es gab ja viele Frak­tio­nen, warum also nicht auch sie. Ich hatte mich gerade in einen jungen Mann aus diesem Haus verliebt, der jedoch nicht zu den RAF-Sympies gehörte und so lernte ich dort einige Leute kennen, die immer “konspi, konspi” waren. Es durfte ja nicht mit Leuten von “außen” (also wie mich) über poli­ti­sche Dinge gespro­chen werden, alles war konspi­ra­tiv, geheim. Bei manchen konnte ich mir vorstel­len, dass sie nicht mal sagten, wenn sie aufs Klo gingen. Einer ihrer wich­tigs­ten Leute wurde nach der Wende als Stasi­spit­zel bekannt, mehrere andere als welche vom Verfas­sungs­schutz. Aber haupt­sa­che konspi.
Mein wich­tigs­ter Eindruck dieser Szene war, dass sie extrem arro­gant waren. Wer nicht dazu gehörte war schon allein deshalb “verdäch­tig”. Als mir mal jemand sympa­thisch war und er plötz­lich nicht mehr auftauchte, machte ich den Fehler, nach­zu­fra­gen. Sofort wurde ich ange­schrien, wieso ich hier herum­spit­zele, ob ich vom Verfas­sungs­schutz wäre. Das halbe Haus lief zusam­men und umringte mich, man warf mir die absur­des­tens Dinge vor. Allein meine Art wäre ja schon immer verdäch­tig gewe­sen, meine Fragen, meine regel­mä­ßi­gen Besu­che usw. Schließ­lich durfte ich dann gehen, wurde also nicht gekreu­zigt, Glück gehabt. Dieses Erleb­nis, aber auch zahl­rei­che andere in der selben Rich­tung, mach­ten mir diese Leute sehr unsym­pa­thisch. Von außen wurden sie “Anti-Imps” genannt, weil sie den “anti-impe­ria­lis­ti­schen Kampf” führ­ten, wie in all ihren Pamphle­ten stand. Genauso wie von ihren Vorbil­dern, der RAF, kamen auch von den Anti-Imps öfter mehr­sei­tige Flug­blät­ter, soge­nannte Erklä­run­gen, die in völlig unver­ständ­li­chem Deutsch geschrie­ben waren. Die Texte entspra­chen ihrem über­heb­li­chen Auftre­ten bei persön­li­chen Begeg­nun­gen, mir und wohl den meis­ten ande­ren waren sie zutiefst unan­ge­nehm. Trotz­dem ging von ihnen gleich­zei­tig eine Faszi­na­tion aus, weil sie eben zum Umfeld der RAF gehör­ten. Die Mili­tanz der Terro­ris­ten war weiter­hin inter­es­sant, zumal auch wir uns auf der Straße und bei Räumun­gen mit der Poli­zei prügel­ten. Die RAF war aber weiter gegan­gen, in den Unter­grund, das war eine Entschei­dung, die mir Respekt abver­langte. Wer für seine poli­ti­sche Über­zeu­gung einen solchen Schritt ging, musste ein beson­de­rer Mensch sein. Dass diese Leute großes Leid bei den Hinter­blie­be­nen ihrer Opfer geschaf­fen haben, wollte ich damals nicht sehen. Für mich waren sie offen­sive Kämp­fer. Und die Anti-Imps waren Idio­ten, die sich der RAF anbie­der­ten.

Mitt­ler­weile gab es Fotos von Chris­tian Klar, als er mit zwei weite­ren Mitglie­dern einen Hubschrau­ber mietete. Darauf sah man einen jungen, gutaus­se­hen­den Mann, der Selbst­be­wusst­sein ausstrahlte. Bilder können einem etwas vorgau­keln, man kann so viel hinein inter­pre­tie­ren, dass es schon pein­lich ist. Man denke an das Foto von Che Guevara, mit seinem “wilden” Blick, das heute sogar schon in Kudamm-Läden verkauft wird. Oder das von Ulrike Mein­hof, das in den 80er Jahren in vielen Wohn­ge­mein­schaf­ten hing. Für mich waren diese Bilder von Chris­tian Klar wich­tig. Auf ihnen sah ich einen Revo­lu­tio­när, der für die gute Sache kämpfte, ohne Gnade, auch ohne Rück­sicht auf die eigene Frei­heit oder das eigene Leben. Zu diesem Zeit­punkt waren ja schon mehrere RAF-Mitglie­der getö­tet worden, meist beim Versuch, sich der Verhaf­tung zu entzie­hen. Klar war ein Vorbild, aber seine RAF und vor allem deren Unter­stüt­zer nicht.
Trotz­dem lernte ich in den folgen­den Jahren immer wieder einige von ihnen näher kennen. Bei Chris­tian Klars Verhaf­tung Ende 1982 war ich gerade in Karls­ruhe. Mit zwei Freun­den, die auch um die 20 Jahre alt waren, wohnte ich in einer Wohnung gegen­über des Bundes­ge­richts­hofs, in der vorher angeb­lich Terro­ris­ten gelebt haben. Beide Freunde waren damals RAF-Sympa­thi­san­ten, was später auch zum Bruch zwischen uns führte. In dieser Zeit aber lebten wir als Kommune im Dach­ge­schoss, mit bestem Blick auf den BGH. Das hatte auch die Poli­zei mitge­kriegt und am Tage von Chris­tian Klars Verhaf­tung wurde unsere Wohnung gestürmt. Vorn die Tür aufge­bro­chen, von oben durch das Dach­fens­ter, bevor wir irgend­was kapier­ten schau­ten wir alle in die Mündun­gen von Maschi­nen­pis­to­len. Dann die Durch­su­chung, eher Razzia, also Zerstö­rung, übelste Beschimp­fun­gen, Drohun­gen, Schläge. Aber sie fanden nichts, was einen Haft­be­fehl gerecht­fer­tigt hätte. Danach fanden wir nichts, was nicht zerstört worden wäre. Selbst die Kacheln waren aus den Wänden heraus­ge­schla­gen. Und noch am glei­chen Tag kam die Kündi­gung durch den Vermie­ter.

Damals sah ich mich als jemand, der im Wider­stand steht. Haus­be­set­zun­gen waren nur eine Sache. Ich kämpfte mit gegen die Start­bahn West am Frank­fur­ter Flug­ha­fen, gegen Atom­la­ger, sprühte Paro­len an Bundes­wehr­ka­ser­nen, schmiss Steine gegen Poli­zis­ten, Stra­ßen­schlach­ten kamen immer wieder vor. Berlin, Hamburg, Frei­burg, Zürich, Kopen­ha­gen, gegen Nazis, Speku­lan­ten, Solda­ten, Atom­ener­gie, Bullen, unsere Feind­bil­der waren viel­fäl­tig und sie waren über­all. Aber es gab immer eine Grenze: Niemals wollte ich einen Menschen töten. Und auch in den Unter­grund würde ich nicht gehen, jeden­falls nicht frei­wil­lig. Auch mit der Kommu­nis­mus-Propa­ganda der RAF wollte ich nichts zu tun haben, ich sah mich eher als Anar­chist, der Parteien und Führer­prin­zip ablehnt. Für Kader­grup­pen war ich sowieso viel zu chao­tisch und undis­zi­pli­niert. Trotz­dem gab es eine Verbin­dung im Geiste. Die Texte der RAF erzähl­ten von Soli­da­ri­tät mit den Unter­drück­ten in der Drit­ten Welt. Vom Hunger und der rassis­ti­schen Ausbeu­tung. Von Kämp­fen, die wir unter­stüt­zen müss­ten. Sie appel­lier­ten an meinen Gerech­tig­keits­sinn, mit Erfolg, denn natür­lich wollte ich gegen all das etwas tun. Aber eben nicht in dieser Art und in einer solchen Orga­ni­sa­tion.

Durch einen anar­chis­ti­schen Freund landete ich Mitte der Acht­zi­ger in Frank­furt am Main. Sein Bruder war mit einer Friseu­rin zusam­men, die in Kontakt stand mit Gefan­ge­nen aus der RAF. Sie hatte einen eige­nen Salon in Mainz, früher waren Helmut Kohl und Heiner Geiß­ler regel­mä­ßige Kunden gewe­sen, doch die Poli­zei hatte beide gedrängt, sich einen ande­ren Friseur­sa­lon zu suchen. Aus Sicher­heits­grün­den. Sie war befreun­det mit der Mutter von Gudrun Ensslin, einer derje­ni­gen, die sich 1977 in Stamm­heim umge­bracht hatten oder umge­bracht wurden. Die Mutter lud uns zu Tee und Gebäck ein, es war sehr persön­lich und dann erzählte sie, was sie so macht. Dass sie ja immer Huma­nis­tin war und ihre Toch­ter in diesem Sinne erzo­gen hatte. Dass Gudrun ein guter Mensch gewe­sen und geblie­ben war, auch als sie schon in der RAF kämpfte. Sie sprach mit großer Zärt­lich­keit über die RAF-Leute, auch über dieje­ni­gen, die zu diesem Zeit­punkt im Unter­grund waren. Beide unter­hiel­ten sich über einzelne Gefan­gene und es war so, als hätten sie auch zu eini­gen der akti­ven Leute Kontakt. Als die Friseu­rin meine Meinung über Chris­tian Klar hörte, musste sie lachen. Aber sie sagte, dass ich gar nicht so falsch läge, das wäre alles Ausle­gungs­sa­che. Mit den Anti-Imps hätte ich solche Gesprä­che niemals führen können, sie aber zeigte mir, dass es dort auch mensch­li­chere Wesen gab, als nur die kalten Krie­ger, die ich aus Berlin kannte.

Eine Zeit­lang hatte ich über­legt, selber mit Chris­tian Klar in Verbin­dung zu treten, ihm einen Brief ins Gefäng­nis zu schrei­ben, um heraus­zu­fin­den, wie er so ist. Doch dann kam 1985 ein Anschlag der RAF, der mein Verhält­nis zu ihr endgül­tig klärte. In Wies­ba­den hatten die Terro­ris­ten einen 20-jähri­gen US-Solda­ten ermor­det, nur um an seinen Ausweis zu kommen. Nicht nur mich widerte diese Aktion an, die an Menschen­ver­ach­tung kaum zu über­tref­fen war. Alle Beteue­run­gen, für eine soli­da­ri­sche Gesell­schaft zu kämp­fen, die Phra­sen von Mensch­lich­keit und Kollek­ti­vi­tät, sie klan­gen nur noch zynisch. Wenn man bis dahin die Verlo­gen­heit dieser Leute nicht begrif­fen hatte, jetzt war sie nicht mehr zu über­se­hen. In diesen Wochen klärte sich vieles, die RAF-Sympa­thi­san­ten waren in der auto­no­men Szene unten durch, der Bruch ging auch durch viele Bezie­hun­gen. Und zahl­rei­che Unter­stüt­zer wand­ten sich danach von den Anti-Imps ab.

Viele Jahre hörte ich nichts mehr von Chris­tian Klar, bis ich 2001 das Inter­view sah. Im Gespräch mit Günter Gaus schockte er mich mit seinen Äuße­run­gen zum Thema Schuld­be­wusst­sein und Reue­ge­fühle:
“In dem poli­ti­schen Raum, vor dem Hinter­grund von unse­rem Kampf sind das keine Begriffe.”
Frage: “Aber es könn­ten persön­lich doch Begriffe sein, die Bedeu­tung haben, wegen der Opfer?”
“Ich über­lasse der ande­ren Seite ihre Gefühle und respek­tiere die Gefühle, aber ich mache sie mir nicht zu eigen.”

Mein Bild von ihm war zerbro­chen. Mensch­lich­keit ohne Gefühle? Eine bessere Gesell­schaft durch massen­haf­ten Mord? Nicht mal Zwei­fel? Nach fast 20 Jahren Gefäng­nis war er offen­bar noch immer im selben Denken gefan­gen, dass ihn in den 70ern zum Mörder gemacht hat. Ich war froh, ihn damals nicht ange­schrie­ben zu  haben. Denn das, wofür ich stand und weswe­gen ich im Klei­nen Wider­stand geleis­tet hatte, wollte ich nun nicht mehr im Zusam­men­hang mit ihm oder der RAF sehen. Endgül­tig nicht.

ANDI 80

print

Zufallstreffer

Geschichte

Militärmissionen

Anwoh­ner der Berli­ner Straße in Pots­dam, die auf die Glie­ni­cker Brücke zuläuft, kann­ten sie. Genau wie die Touris­ten am Check­point Char­lie, mitten in Berlin: Fahr­zeuge der Sowje­ti­schen Armee fuhren unge­hin­dert über die Grenze nach West-Berlin. […]

3 Kommentare

  1. Hallo,

    bin durch Zufall auf deinen Bericht gesos­sen. Ich kam 1979 nach West­ber­lin. Bin vom Osten abge­hauen. Die Flucht habe ich mit ner schwan­ge­ren Bekann­ten durch­ge­zo­gen.
    Unsere Wege trenn­ten sich vor allen Dingen weil diese gute Bekannte auch mit den Anti-Imps zusam­men war. Ich mochte die auch nicht so.
    Diese Freun­din wuerde ich gerne mal wieder­se­hen. Sie hiess Ute Bisch­off. Sie wurde auch wegen dieser Amer­ka­haus-Beset­zung verur­teilt. Sagt dir das irgend­was?
    Ich lebe jetzt in den USA:

    Gruss,
    Peter

  2. Sorry Peter,

    Ich hatte diese Frau damals auf dem Dach des Ameri­ka­hau­ses fest­ge­nom­men. War dort als junger Poli­zist einer Einsatz­be­reit­schaft einge­setzt.

    Gruß LuHe

  3. Hallo LuHe,
    Habe aufgrund dieser Anfrage Ute wieder­ge­fun­den. Es war sehr schön Sie zu tref­fen. Sie ist eine gerad­li­nige Idea­lis­tin und Mutter von zwei Kindern.
    Ich lebe jetzt seit eini­gen Jahren wieder in Berlin und inter­es­siere mich für die Geschich­ten dieser Stadt.
    Falls du in Berlin lebst, würde ich gern mal mit dir in Kontakt treten.
    Gruß,
    Peter

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*