Justizburg und Knast

Berlin hat elf Amts­ge­richte, die zwar nach Bezir­ken benannt sind, aber deren Zustän­dig­keits­be­rei­che nicht mit denen iden­tisch sind. So ist das Amts­ge­richt Char­lot­ten­burg zentra­les Regis­ter­ge­richt für das Land Berlin, in dem Handels‑, Partnerschafts‑, Vereins- und Genos­sen­schafts­re­gis­ter für die ganze Stadt geführt werden.
1897 bezog es das Gebäude am neu ange­leg­ten Amts­ge­richts­platz. Geplant von den Archi­tek­ten Poetsch und Clasen im Stil des Märki­schen Barock bestand es damals nur auf der zur Platz hin zeigen­den Stirn­seite sowie zwei Seiten­flü­geln an der Holt­zen­dorff- und der Suarez­straße. Erst 1921, also mehr als zwan­zig Jahre später, kam der Neubau hinzu, der im glei­chem Stil errich­tet wurde und nun den gesam­ten Block einnahm. Mit dem Neubau wurde die Kapa­zi­tät des Gebäu­des auf das Drei­fa­che erhöht. Durch zwei Quer­ge­bäude im Inne­ren des Komple­xes entstan­den drei Höfe.
In den vielen Jahren seit seinem Bau hat sich das Gerichts­ge­bäude kaum verän­dert. Es erin­nert in seiner Monu­men­ta­li­tät bis heute an eine Trutz­burg.

Schräg gegen­über findet sich in der Kant­straße 79 das alte Straf­ge­richt Char­lot­ten­burg. Es entstand zeit­gleich zum großen Amts­ge­richt. 1897 mit einer Fassade im Stil des Augs­bur­ger Barock errich­tet beher­bergte es die Straf­ab­tei­lun­gen des Gerichts. In den Nach­kriegs­jah­ren diente es als Landes­an­stalt für Lebensmittel‑, Arznei­mit­tel- und gericht­li­che Chemie, später als Dienst­ge­bäude des Amts­ge­richts. Hier war lange Jahre die Nach­lass­ver­wal­tung unter­ge­bracht. Seit 2015 nutzt es die kana­di­sche Desi­gner­firma Bocci als Show­room für ihre Produkte.

Von der Straße aus nicht zu sehen entstand zusam­men mit dem Gericht im Block­in­ne­ren auch ein Gefäng­nis. Mit rotem Klin­ker verblen­det wurde es als Voll­zugs­an­stalt für weib­li­che Jugend­li­che und Straf­ab­tei­lung des Amts­ge­rich­tes konzi­piert. Ab 1939 war der Komplex ein reines Frau­en­ge­fäng­nis.
Während der Zeit des Faschis­mus wurden hier rund 20 Menschen inhaf­tiert, die vermeind­lich oder tatsäch­lich im Wider­stand gegen die Nazi­herr­schaft stan­den. Die Gestapo hatte sie als Wider­stands­gruppe “Rote Kapelle” bezeich­net. Unter ande­rem wurden hier ab 1942 Mild­red Harnack und Liber­tas Schulze-Boysen nach den Verhö­ren in der Gesta­po­zen­trale einge­sperrt. Schulze-Boysen hatte zusam­men mit ihrem Ehemann Harro Film- und Bild­ma­te­rial über NS-Verbre­chen gesam­melt. Nach dem miss­glück­ten Atten­tat auf Hitler inhaf­tier­ten die Nazis im Zuge der “Sippen­haft” auch Verwandte der beei­lig­ten Offi­ziere. Darun­ter die Pilo­tin Melitta Gräfin von Stauf­fen­berg (Schwä­ge­rin des Atten­tä­ters Claus von Stauf­fen­berg), Rein­hild von Harden­berg und die Frauen der Fami­lien von Bredow und von Hammer­stein.

Zur glei­chen Zeit, 1942 bis 1945, leitete die zwangs­ver­pflich­tete Oberin Anna Wieder das Frau­en­ge­fäng­nis. Über sie wurde später berich­tet, dass sie die Insas­sin­nen mensch­lich behan­delte. Die Verpfle­gung der Gefan­ge­nen war besser als in ande­ren Knäs­ten, die Besuchs­zei­ten länger und nicht über­wacht. Doch auch sie konnte nicht verhin­dern, dass mindes­tens neun der in der Kant­straße inhaf­tier­ten Frauen durch die Nazis wegen “Hoch­ver­rats” im Gefäng­nis Plöt­zen­see hinge­rich­tet wurden.

Nach der Befrei­ung vom Faschis­mus diente das Gefäng­nis noch lange als Jugend­ar­rest­an­stalt. 1985 wurde es geschlos­sen und beher­bergte bis zum Jahr 2010 das Archiv des Kammer­ge­richts. Seit­dem steht es leer und muss höchs­tens mal als Kulisse für Filme oder Musik­vi­deos herhal­ten.
Das Gebäude steht mitt­ler­weile unter Denk­mal­schutz. Es sehr frag­lich ist, wie eine künf­tige Nutzung ausse­hen kann. Die Zellen sind nur sechs Quadrat­me­ter groß und ein Betrieb z.B. als Hostel ist kaum möglich. Aber eines wird es sicher nicht mehr: Ein Gefäng­nis.

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