Verkehrsbehindert

Bis auf Weite­res werden meine geschätz­ten Leser*/_Innen sonn­täg­lich wieder darüber infor­miert, was sie in der voran­ge­gan­ge­nen Woche an Wich­ti­gem versäumt haben. Nicht immer ganz ernst gemeint, aber auch kein Slap­stick, schließ­lich ist Berlin Street ein seriö­ses Maga­zin, das nun wieder seiner Chro­nis­ten­pflicht nach­kommt.


Viele Berli­ner und Berli­ne­rin­nen hatten in der letz­ten Woche keinen Verkehr. Dies lag unter ande­rem daran, dass am Donners­tag der Orkan Xavier durch die Stadt fegte und einen Groß­teil der S‑Bahn-Stre­cken lahm­legte. Auch die ober­ir­disch fahren­den U‑Bahnen blie­ben stehen, ebenso die Busse und die meis­ten Stra­ßen­bah­nen. Geschätzte 1.000 Bäume verneig­ten sich vor der Gewalt des Sturms und rich­te­ten Millio­nen­schä­den an. In Tegel wurde eine Frau erschla­gen, als sie ihr Auto verlas­sen hatte, um einen Ast von der Straße zu räumen. Minu­ten vorher war sie noch bei einem Tref­fen mit Außen­mi­nis­ter Gabriel in der Borsig-Villa.

Selbst heute, drei Tage nach dem Orkan, sind noch nicht alle Nahver­kehrs­stre­cken wieder­her­ge­stellt. Betrof­fen waren auch die Regio­nal- und Fern­züge. In diesen braucht man sich übri­gens bald nicht mehr kontrol­lie­ren lassen, voraus­ge­setzt, man gibt der Deut­schen Bahn noch mehr Daten von sich preis und hat einen reser­vier­ten Sitz­platz. Dann muss man sich nur noch einlog­gen und bestä­ti­gen, dass man den Platz erreicht hat. Und schon wird man bei der Fahr­kar­ten­kon­trolle nicht mehr beläs­tigt. Wie das mit dem Aufent­halt auf dem Klo oder im Restau­rant funk­tio­nie­ren soll, ist noch unklar. Aber trotz­dem: Schöne, neue Welt.

Auch sämt­li­che Flüge wurden am Donners­tag gecan­celt. Nichts ging mehr. Dies ist für Air Berlin künf­tig der Dauer­zu­stand, denn die Airline ist pleite und wird aufge­löst. Mehr als 1.000 Mitar­bei­ter verlie­ren schon zum Monats­ende ihre Jobs, auch 100.000 bereits gekaufte Flug­ti­ckets sind nicht mehr gültig und werden nicht ersetzt.

Einen ande­ren Grund für das Nicht­flie­gen hatte am Diens­tag eine Maschine, die eigent­lich in Schö­ne­feld landen sollte. Hier randa­lierte ein Flug­gast, so dass der Pilot wieder durch­star­ten und eine Ehren­runde drehen musste. Der Passa­gier wurde wegen gefähr­li­chen Eingriffs in den Flug­ver­kehr fest­ge­nom­men.

Dafür legt in Tegel nun die Luft­hansa nach: Durch die Stre­cken­stil­le­gung ihrer Berli­ner Konkur­renz muss die Tour nach Frank­furt am Main verstärkt bedient werden. Deshalb fliegt künf­tig drei­mal in der Woche eine Boing 747–400 auf dieser Stre­cke. Das als Jumbo bekannte Flug­zeug ist lauter als die bisher einge­setz­ten, was die Anwoh­ner in Reini­cken­dorf und Pankow ärgern wird. Aller­dings ist der Flug­ha­fen Tegel für solch große Flug­zeuge gar nicht ausge­legt, daher sollen sie bald durch klei­nere ersetzt werden. Viel­leicht, wenn die bishe­ri­gen Air-Berlin-Maschi­nen verkauft wurden.

Kein Verkehr gab es auch am Diens­tag in Schö­ne­berg. Hier hatte man bei Bauar­bei­ten nahe des Inns­bru­cker Plat­zes eine beson­ders fiese Welt­kriegs­bombe entdeckt. Diese war ursprüng­lich von der Wehr­macht in Russ­land abge­wor­fen worden, wo sie aber nicht explo­dierte. Also baute der Russe einen eige­nen Zünder ein, nahm sie mit nach Deutsch­land und warf sie über Schö­ne­berg ab, wo sie jedoch erneut nicht explo­dierte. Sie war wohl eine Montags­pro­duk­tion.
Jeden­falls wurde im Ergeb­nis ein Radius von 500 Metern gesperrt, in dem zwölf Stun­den lang keine S‑Bahnen und Autos fahren durf­ten. Mehrere große Stra­ßen waren dicht, bald auch die Auto­bahn, 10.000 Menschen musste ihre Wohnun­gen verlas­sen, bis morgens um 1 Uhr die Entwar­nung kam. Die Staus reich­ten kilo­me­ter­weit in die Innen­stadt zurück.

Aber noch mehr wurde einge­stellt. Vor 50 Jahren nämlich, am 2. Okto­ber 1967, fuhr die letzte Stra­ßen­bahn in West-Berlin. Zehn­tau­sende Menschen stan­den an der Otto-Suhr-Allee, um „der 55“ auf ihrer letz­ten regu­lä­ren Fahrt zuzu­schauen. Damit hatte das Konzept der „auto­ge­rech­ten Stadt“ ihren Höhe­punkt erreicht. Dass die Zurück­drän­gung der Stra­ßen­bahn, des Fahr­rad- und Fußgän­ger­ver­kehrs lang­fris­tig in ein Desas­ter führen würde, hatte man sich damals nicht vorstel­len können. Erst seit ein paar Jahren werden wieder neue Stra­ßen­bahn­stre­cken im ehema­li­gen West­teil Berlins neu gebaut.

Weni­ger Verkehr gibt es künf­tig auch mit Carsha­ring-Autos. Der Anbie­ter Multi­city stellt sein Ange­bot zum Monats­ende ein: „Wir bitten Dich höflichst darum, Deine Fahrt am 29. Okto­ber bis eine Minute vor Mitter­nacht zu been­den“, schrieb er seinen Kunden. Die 330 Autos sind zu zwei Drit­teln Elek­tro­fahr­zeuge, die jedoch nicht zuver­läs­sig aufge­tankt werden können. Es gäbe zu wenig Elek­tro­tank­stel­len und die seien oft auch zuge­parkt, begrün­det das Unter­neh­men seinen Rück­zug aus dem Berli­ner Markt.

Neu gestar­tet ist dage­gen am 3. Okto­ber die Staats­oper Unter den Linden. Mit riesi­gem Tamtam, viel Promi­nenz, Stra­ßen­sper­run­gen und Sonder­sen­dun­gen im Fern­se­hen wurde gefei­ert, dass der Bau einige Jahre später und 140 Millio­nen Euro teurer als geplant für fünf Tage neu eröff­net wurde. Mitt­ler­weile ist er wieder dicht, da die Sanie­rung noch gar nicht fertig ist. Erst im Dezem­ber wird sie dann endgül­tig öffnen und ihre Ersatz­spiel­stätte im Schil­ler­thea­ter verlas­sen. In diese ziehen dann die Kudamm-Bühnen Komö­die und Kurfürs­ten­damm-Thea­ter ein, während sie einen Neubau erhal­ten, dann leider nur noch mit einem, statt mit zwei Thea­tern. Wenn die wieder raus sind, nimmt das Schil­ler-Thea­ter das Ensem­ble der Komi­schen Oper auf, weil dann deren Haus saniert wird. Aber bis das soweit ist, wird es bestimmt noch viele Plan­än­de­run­gen geben.

Eben­falls am 3. Okto­ber sprach in Mainz unser Bundes­prä­si­dent, wenn auch vorher­seh­bar und wenig über­ra­schend. Hier die wich­tigs­ten Aussa­gen seiner Rede: „Besorg­nis, Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten, Zusam­men­halt, Verant­wor­tung, Gesell­schaft, Miss­trauen, Gleich­gül­tig­keit, Ehrlich­keit, Heimat, Sehn­sucht, Debat­ten, poli­ti­sche Kultur, Gleich­be­rech­ti­gung, Geschichte.“ Wer wollte da noch wider­spre­chen…

Höchs­tens viel­leicht Eva Högl, erfolg­rei­che Bundes­tags-Direkt­kan­di­da­tin der SPD für Mitte. Sie kriti­siert, dass sich in der Sache Einheits­denk­mal seit Mona­ten wieder nicht getan habe und deshalb eine neuer­li­che Debatte geführt werden müsse. Nicht nur BER oder Staats­oper sind in Berlin unend­li­che Geschich­ten.

Dazu gehört auch der etwas weiter abseits stehende Müggel­turm, der schon seit 20 Jahren vor sich hingam­melt und immer wieder mal reno­viert werden sollte. Der jetzige Eigen­tü­mer legte nun einen Plan vor, nach dem der Turm und vor allem der Unter­bau bis zum kommen­den Jahr saniert werden könnte. Geld ist angeb­lich vorhan­den, auch die meis­ten Geneh­mi­gun­gen des Bezirks. Bleibt also abzu­war­ten, woran es dies­mal schei­tert.

Eini­gen Stress hatte übri­gens der Inten­dant des Fried­rich­stadt-Palas­tes Berndt Schmidt, der künf­tig nur noch „Palast Berlin“ genannt werden möchte (das Thea­ter, nicht der Inten­dant): Er hatte nach der Bundes­tags­wahl gesagt, dass er keine AfD-Wähler in seinem Haus haben möchte. „Wer AfD wählte, wusste, dass er auch Nazis in den Bundes­tag wählt. Wer das aus Angst oder Sorge oder Protest in Kauf nimmt, ist ein Brand­stif­ter und Mittä­ter.“
Sprachs und bekam mäch­tig verbale Prügel in Form von Hass-Mails und öffent­li­chen Erklä­run­gen der rechts­extre­men „Alter­na­tive für DE“. Georg Pazder­ski, AfD-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der im Abge­ord­ne­ten­haus, beschei­nigte dem Inten­dan­ten ein „höchst gefähr­li­ches Demo­kra­tie­ver­ständ­nis“. Da sollte er sich mal an die eigene Nase und an die seiner Partei fassen.
Als ein Tag später auch noch sein Auto von Unbe­kann­ten beschä­digt wurde, schäumte er erst recht und machte sogar Andreas Geisel für den Anschlag verant­wort­lich. Wer hätte das aber auch gedacht, dass unser Innen­se­na­tor offen­bar nachts durch Rahns­dorf zieht, Auto­rei­fen zersticht und Farb­eier wirft.

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Zufallstreffer

Berlin

Braunes Übel

Die Ordnungs­äm­ter der Bezirke vertei­len Info­blät­ter an Passan­ten, in denen es gegen die Hunde­hau­fen in Berlin geht. Doch Empfän­ger der Broschü­ren sind nicht nicht etwa nur die Hunde­hal­ter, sondern auch deren Opfer, die tagtäg­lich Gefahr laufen, in einen der zahl­rei­chen Schei­ße­hau­fen zu treten. Wir Nicht-Hunde­be­sit­zer werden darin aufge­for­dert, die “Herr­chen” und “Frau­chen” der Köter anzu­spre­chen. […]

1 Kommentar

  1. “Viele Berli­ner und Berli­ne­rin­nen hatten in der letz­ten Woche keinen Verkehr”. Schon der erste Satz macht die Rich­tung klar. Ich freue mich auf das was da noch kommt.

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