Fischen im Trüben

idea.de und wört­lich fast gleich kath.net schrei­ben:

Stutt­gart (idea) – Die „Gender-Ideo­lo­gie“ bekommt poli­ti­schen Gegen­wind.

Über den Sinn und Unsinn solcher Anfüh­rungs­zei­chen habe ich schon früher berich­tet. Also dies­mal nur zum Inhalt! Aber was ist der Inhalt?

Ich kannte bis heute den Begriff Gender-Ideo­lo­gie nicht, habe aber neulich gelernt, dass die zwang­hafte Verwen­dung von „Studen­tin­nen und Studen­ten“ oder „Studie­rende“ statt der einfa­chen Mehr­zahl „Studen­ten“ „gendern“ genannt wird. Ein Student ist männ­lich, eine Studen­tin weib­lich, und seit Frauen über­haupt studie­ren dürfen, bezeich­nete die Mehr­zahl „Studen­ten“ Studie­rende beider­lei Geschlechts. Inzwi­schen herrscht jedoch eine Ideo­lo­gie, nach der diese beide Geschlech­ter umfas­sende Seman­tik des Wortes „Studen­ten“ verwerf­lich wäre. Die Welt soll dadurch besser werden, dass Poli­ti­ker und Jour­na­lis­ten bei jeder sich bieten­den Gele­gen­heit die redun­dan­ten Silben „Studen­tin­nen und Studen­ten“ ausspre­chen, und wehe, man macht dabei einen Fehler. Wenn man in den Nieder­lan­den lebt und dieses Spiel von außen betrach­tet, wirkt es tragi­ko­misch. Aber, ja, wenn diese geist­tö­tende Pflicht­übung „gendern“ heißt, könnte man wirk­lich von einer „Gender-Ideo­lo­gie“ spre­chen, und poli­ti­scher Gegen­wind wäre erfri­schend.

Aber idea.de meint anschei­nend etwas ande­res und fährt fort mit der Erklä­rung:

Sie besagt, dass jeder Mensch unab­hän­gig von seinem biolo­gi­schen Geschlecht wählen kann, als Mann oder Frau zu leben.

Dunkel ist der Rede Sinn. So ein Satz ist geeig­net, Menschen, die nicht klar denken, Angst zu machen; aber als Defi­ni­tion ist er viel zu trübe. Es fängt damit an, dass „können“ mindes­tens drei verschie­dene Bedeu­tun­gen haben kann. Raben können weiß sein, weil bei ihnen Albi­nis­mus vorkommt; aber der einzelne Rabe hat keine Wahl. Ich kann gehen, aber nicht flie­gen, weil letz­te­res Menschen physi­ka­lisch unmög­lich ist. Ich kann ins Konzert gehen, kann es aber auch lassen. In einer Defi­ni­tion einer Ideo­lo­gie würde man einen Begriff wie „muss das Recht haben, zu…“ erwar­ten. Sollte das gemeint sein? Dann müsste man lesen: „Die Gender-Ideo­lo­gie besagt, dass jede Frau das Recht hat oder haben sollte, als Mann zu leben und jeder Mann das Recht, als Frau zu leben.“ In einem Land wie Saudi-Arabien würde das Sinn erge­ben. Da unter­liegt das Leben von Frauen bis in kleinste Einzel­hei­ten stren­gen Vorschrif­ten, und es ist verbo­ten, dass eine Frau sich klei­det und frei bewegt wie ein Mann. Hier in West­eu­ropa jedoch klei­den und rasie­ren sich viele Männer andro­gyn, Frauen tragen regel­mä­ßig Hosen, bewe­gen sich völlig frei und ergrei­fen immer mehr Männer­be­rufe. Nicht aus Ideo­lo­gie, sondern weil sie es furcht­bar gern wollen. Eine winzige Minder­heit von Männern trägt gern Frau­en­klei­der, und das ist schon lange nicht mehr verbo­ten.

Wenn es so eine Gender-Ideo­lo­gie gäbe, was würde die denn hier bei uns eigent­lich wollen? Dass Männer auch zu Gynä­ko­lo­gen gehen und ins Klimak­te­rium kommen? Oder dass Frauen stehend ihr Wasser lassen?

Keine respek­ta­ble Zeit­schrift sollte ihren Lesern solch eine schwam­mige Defi­ni­tion zumu­ten.

Wir lesen weiter:

Die Fixie­rung auf soziale Rollen, etwa als Mutter und Haus­frau, sei auf die Erzie­hung zurück­zu­füh­ren und müsse über­wun­den werden.

Mutter sein ist doch wohl mehr eine biolo­gi­sche Funk­tion als eine soziale Rolle. Ansons­ten ist dies der erste verständ­li­che Satz des Arti­kels. Das wich­tigste Wort ist „Fixie­rung“.

Seit Jahr­tau­sen­den ist die Macht ja ungleich verteilt zwischen Männern und Frauen, seit Jahr­tau­sen­den gibt es immer wieder Frauen, die mehr wollen als nur Mutter und Haus­frau sein. Frauen haben dafür gekämpft, wählen und studie­ren zu dürfen. Sie wollen auch auf andere, früher nur den Männern vorbe­hal­tene Weise zu einer besse­ren Gesell­schaft beitra­gen. Das hat uns Frauen gebracht wie Köni­gin Elisa­beth I., Annette von Droste-Hüls­hoff, Marie Curie, Wanda Landowska, Golda Meir, Made­leine Albright und viele andere mehr. Inzwi­schen sind immer mehr Männer davon über­zeugt, dass ein paar Frauen in Regie­run­gen und wissen­schaft­li­chen Gremien dort die Diskus­si­ons­kul­tur verbes­sern, weil nicht mehr jeder auf seinem Mist­hau­fen krähende Hahn ernst genom­men wird. Und die meis­ten dieser Frauen sind gerne Mutter und kümmern sich neben dem Beruf auch noch mehr als ihre Männer um unan­ge­nehme Haus­ar­bei­ten.

Kein vernünf­ti­ger Mensch bestrei­tet, dass es etwas Wunder­ba­res und Wert­vol­les ist, Kinder zu bekom­men und zu guten Menschen zu erzie­hen; aber nicht alle Frauen wollen sich darauf fixie­ren, also redu­zie­ren lassen. Und viele wollen das gern mit ihrem Mann zusam­men tun. Nur einige wenige fühlen, dass sie keine Kinder haben können oder wollen. Früher gingen die ins Klos­ter und wurden respek­tiert.

Es gibt zwar durch­aus bei uns ein gesell­schaft­li­ches Problem; aber das hat nun wirk­lich nichts damit zu tun, dass Männer „als Frauen leben wollen“ oder umge­kehrt: Leider entschei­den sich viele Frauen und ihre Männer unter gesell­schaft­li­chen Druck gegen Kinder oder verschie­ben ihren Kinder­wunsch auf später. Das ist schlimm, und darum soll­ten wir uns kümmern. Man kann es gemein­sam lösen, wenn man gut hinschaut und die Ursa­chen versteht. Wer aber mit diesem Schreck­bild der soge­nann­ten Gender-Ideo­lo­gie argu­men­tiert, macht sich unglaub­wür­dig und lächer­lich.

Schon lange ist deut­lich, dass die Fixie­rung von Frauen auf nur die Aufga­ben von Mutter und Haus­frau, also das Vorent­hal­ten von Bildung und Bürger­rech­ten, das Unmög­lich machen von ganzen Lebens­läu­fen eine Frage der Erzie­hung, früher auch des Rechts­sys­tems ist. Ja, diese ausschließ­li­che Fixie­rung muss natür­lich über­wun­den werden, und dabei sind wir seit Jahr­hun­der­ten auf dem guten Weg. Es geht um Glück, Frei­heit, Entfal­tung der Persön­lich­keit und Beitrag zur Gesell­schaft. Wenn das Ideo­lo­gie sein soll, ist die ganze Renais­sance und Aufklä­rung Ideo­lo­gie. Das heißt aber doch nicht, dass verbo­ten werden soll, dass Frauen Mütter und Haus­frau sind. Viel­leicht gibt es am äußers­ten Rand eines reichen Spek­trums von Meinun­gen verein­zelte durch­ge­knallte Spin­ner, die so ein Verbot fordern; aber die braucht die Poli­tik doch nicht ernst zu nehmen. Wer die zu einer mensch­heits­be­dro­hen­den Ideo­lo­gie aufbaut, macht sich verdäch­tig, am ande­ren äußers­ten Ende des Spek­trums ange­sie­delt zu sein und nach Saudi-Arabi­scher Welt­ord­nung zu verlan­gen. Auch den oder die sollte man nicht ernst nehmen.

Warum regt sich ratio­na­li­tas denn dann so über den Arti­kel aus idea.de bzw. kath.net auf? Weil hier mehrere Verstöße gegen ordent­li­ches, klares Denken vorlie­gen.

Neulich sagte Kardi­nal Marx auf die Frage, ob der Wunsch nach sexu­el­ler Befrei­ung in der Katho­li­schen Kirche nicht als eine west­li­che Schnaps­idee gese­hen würde, nein, seine Ansich­ten hätten durch­aus auch „Zustim­mung in Afrika, Asien und, eh, in der Kurie.“ Eine rührende Aufzäh­lung von drei Rück­stands­ge­bie­ten. Ähnlich nied­lich glie­dert idea.de die feind­li­che Welt in drei Teile:

Die Ideo­lo­gie hat bei Femi­nis­tin­nen sowie in Poli­tik und Kirche viele Anhän­ger.

Danach wird der Arti­kel perfide:

Beispiels­weise rich­tete die EKD in Hanno­ver ein Zentrum für Gender­fra­gen ein. Gegen diese Gleich­ma­che­rei wendet sich jetzt eine wich­tige Stimme in der CDU. Der Partei­tag des Bezirks­ver­ban­des Nord­würt­tem­berg beschloss am 25. Okto­ber in Stutt­gart, die „Gender-Forschung” und ihre Schluss­fol­ge­run­gen abzu­leh­nen. Er wendet sich unter ande­rem gegen die Grün­dung weite­rer univer­si­tä­rer Lehr­stühle zum Thema Gender in Baden-Würt­tem­berg und gegen Mittel­zu­wei­sun­gen des Bundes für derar­tige Einrich­tun­gen.

Hier wird bewusst trübes Denken zur Methode. Hier werden redlich denkende Menschen diffa­miert.

Der Begriff „Gleich­ma­che­rei“ schwebte ja schon länger über dem Arti­kel. Jetzt fällt er nieder, um die EKD schlecht zu machen. Das Leser­pu­bli­kum von idea.de versteht wahr­schein­lich den Unter­schied zwischen „gleich sein“ und „glei­che Rechte haben“ nicht. Was für einen Auftrag das Zentrum für Gender­fra­gen eigent­lich hat, wird nicht berich­tet. Statt­des­sen wird sugge­riert, dass es eine verwerf­li­che „Gender-Ideo­lo­gie“ verbrei­tet. Und im nächs­ten Satz wird sugge­riert das univer­si­täre „Gender-Forschung“ und die hier ange­pran­gerte „Gender-Ideo­lo­gie“ das Glei­che wären. Dieses wissen­schaft­li­che Forschungs­ge­biet unter­sucht aber gerade die Frage, welche Verhal­tens­wei­sen und Wünsche geschlechts­spe­zi­fisch ange­bo­ren und welche durch Erzie­hung einge­ge­ben sind. Das Stel­len von Fragen soll also schon verbo­ten werden, und ganz sicher die daraus resul­tie­ren­den Ergeb­nisse. Es erin­nert an Goeb­bels‘ Feld­zug gegen die „jüdi­sche Physik“.

Eine höchst verquast defi­nierte, angeb­lich bestehende Ideo­lo­gie wird iden­ti­fi­ziert mit einem wissen­schaft­li­chen Forschungs­ge­biet. Ein höchst rele­van­ter Unter­schied zwischen „gleich gemacht werden“ und „glei­che Rechte haben dürfen“ wird über­gan­gen. Die Forde­rung, gewisse Verhal­tens­wei­sen zu erlaub­gen, wird verwech­selt mit der Forde­rung, sie für alle zur Pflicht zu machen, ein Denk­mus­ter, dass unter Logi­kern „Porno­lo­gik“ genannt wird. (Mehr dazu hier um Abschnitt Die Regeln rein­li­chen Denkens.) Das ist das Gegen­teil von klarem Denken und gemein­sa­men Lösen wirk­li­cher Probleme. Das ist das Schü­ren von dump­fer Angst bei Leuten, die man dumm hält.

Plötz­lich aber wech­selt der Arti­kel das Thema und kommt doch noch auf das hier eingangs erwähnte „gendern“:

Umbe­nen­nun­gen wie „Studen­ten­werk” in „Studie­ren­den­werk” sollen „mangels Mehr­wert für irgend­je­man­den“ unter­blei­ben. Außer­dem fordert der Partei­tag seine Mitglie­der auf, im Schrift­ver­kehr und in Publi­ka­tio­nen den männ­li­chen Ober­be­griff beizu­be­hal­ten, also etwa „Studen­ten” statt „Studie­rende” zu schrei­ben.

Das wäre ein vernünf­ti­ger Vorschlag, wenn sich da nicht einge­schli­chen hätte, dass der Plural „Studen­ten“ männ­lich wäre. Viel­leicht ist dieser Bezirks­ver­band ja auch gegen Aufklä­rung und Gleich­be­rech­ti­gung und spielt ein ähnlich trübes Spiel.

Vorsit­zen­der des Bezirks­ver­ban­des ist der Bundes­tags­ab­ge­ord­nete Stef­fen Bilger (Ludwigs­burg), der der pietis­ti­schen Bewe­gung nahe steht. Er ist auch Vorsit­zen­der des Kura­to­ri­ums der Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung mit Sitz in Bonn. In Bayern rumort es eben­falls. Mitte Okto­ber verließ der Bezirks­vor­sit­zende des Evan­ge­li­schen Arbeits­krei­ses der CSU (EAK) München, Jürgen Stef­fan, die Evan­ge­lisch-Luthe­ri­sche Kirche in Bayern. Als Begrün­dung nannte er unter ande­rem den wach­sen­den Einfluss der „Gender-Ideo­lo­gie“.

Die Frage an den Schrift­füh­rer des Bezirks­ver­ban­des, was da wirk­lich beschlos­sen wurde, wurde nicht beant­wor­tet.

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