Unter der Brücke

Es geht uns gut. Auch wenn man von Hartz IV lebt, sich kein Kino leis­ten kann und nur einmal im Jahr eine neue Hose oder ein Paar Schuhe. So habe ich es empfun­den, als ich nach einem halben Jahr in Indien wieder nach Berlin zurück kam. Die sozia­len Unter­schiede dort sind krass, in den Slums der Groß­städte sieht man die Menschen verhun­gern oder an Krank­hei­ten ster­ben, die in Deutsch­land nieman­dem das Leben kosten würden.
Natür­lich kann man das Leben in Berlin nicht mit dem in einem indi­schen Slum verglei­chen. Auch wenn in Deutsch­land die soziale Kluft riesig ist, muss hier niemand verhun­gern.

Moabit, ein Abend im Sommer 2013. Unter der Brücke an der Spree liegen zwei Männer auf einer alten Matratze im Schlaf­sack, neben ihnen ein unde­fi­nier­ba­rer Haufen aus Tüten und Kartons. An einer provi­so­risch aufge­häng­ten Leine trocken ein paar kaputte Socken.
Ein skep­ti­scher Blick in meine Rich­tung, aber ich gehe auf sie zu und reiche ihnen die Tüte mit den gerade gekauf­ten Äpfeln. Der Ältere lächelt und setzt sich auf, er freut sich über das Geschenk, während der andere ihm etwas zuflüs­tert. “Sei vorsich­tig”, heißt das, obwohl ich es gar nicht verstehe. Dann aber hockt auch er sich hin und klet­tert aus seinem Schlaf­sack. Er ist nur mit Shorts und T‑Shirt beklei­det, beides sehr schmut­zig, wie auch seine Haut. Kein Wunder, bei diesen Lebens­ver­hält­nis­sen.

Wir kommen ins Gespräch. Er ist aus Polen, schon seit ein paar Jahren in Berlin, und spricht ganz gut Deutsch. Damals hatte er Arbeit, auf dem Bau, konnte eine Wohnung mieten, “da hinten” sagt er und zeigt Rich­tung Turm­straße. Aber sein Chef zahlte den Lohn nicht, die Schul­den häuf­ten sich und nun liegt er hier unter der Brücke. Zuhause in Polen wollen sie von ihm nichts mehr wissen.
Manch­mal geht er betteln, bekommt aber kaum etwas. Ich frage ihn, warum er nicht in die Notun­ter­kunft geht, in der Lehr­ter oder der Fran­k­lin­straße. “Alles Verbre­cher da”, antwor­tet er, er wurde dort mal bestoh­len.

Dann holt er seine Hose aus dem Schlaf­sack, zeigt mir ein paar Münzen, es sind nicht mehr als 4 Euro. Der Ältere stupst ihn an, dies­mal ist er es, der warnt. Ich habe einen 5‑Euro-Schein dabei und gebe ihn dem Jünge­ren, sage aber, dass er für beide ist. Der Ältere lacht, “Jakob, Jakob, ha ha ha.”
“Du heißt Jakob, ja?”
“Nein. Er auch nicht. Weiß nicht, wer Jakob ist. Ich heiße Adam.”
Jetzt lachen wir alle Drei.
Adam reicht mir seine Flasche, die er aus dem Wust seiner Klamot­ten zieht. Sie ist ziem­lich dreckig, ich lehne ab und hoffe, dass er es mir nicht übel nimmt. Aber er ist ein lusti­ger Kerl, lacht wieder und nimmt selbst einen Schluck.
Dann will er wissen, wo ich wohne, ob es eine gute Wohnung ist und wie teuer. “Moabit ist gut”, sagt er, “Wedding auch.” “Aber Mitte ist scheiße. Poli­zei schickt uns weg, Touris­ten sagen, wir sind Penner. Aber wir sind nicht krimi­nell, nur arm. Keine schlech­ten Menschen, wirk­lich.”

In der Zwischen­zeit kommen mehrere Passan­ten vorbei. Alle gehen sie auf der ande­ren Seite des Wegs lang, mit möglichst viel Abstand, als wenn wir eine Bedro­hung darstel­len. Ich gehöre in diesem Moment zu Adam und seinem Kumpel und merke, wie sie abge­lehnt werden. Ein Mann mit Hund schaut demons­tra­tiv verächt­lich zu uns, in seinen Augen sind wir offen­bar minder­wer­ti­ges Leben.

Wir reden noch ein paar Minu­ten, dann ziehe ich wieder meiner Wege. Und mir wird mal wieder klar, welchen Reich­tum doch meine kleine Wohnung, der wenige Besitz und mein recht siche­res Leben darstellt.

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1 Kommentar

  1. Zu deinem Fazit: .
    ..manch­mal brauchst du einen Frem­den, der dir den Spie­gel vorhält und zeigt, du hast alles was du woll­test, und wie viel unwich­ti­ges Zeug dir oft den Blick darauf verstellt. n.R.M.

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