Mons Penck

Nachts auf dem Kreuz­berg

Schau, der Trep­tow-Tower.
Schau, die Charité.
Schau, ein Rest­stück Mauer.
Schau, das KaDeWe.

Schau, da hinten: Tegel.
Schau, da vorn: der Dom.
Schau, da, diese Kegel:
das Tempo­drom.

Schau, der Klotz da links ist,
wo Rudi wohnt.
Schau, das runde Dings ist
der Mond.

Martin Betz

370 000 km. Nachts auf dem Penck­berg

Viel­leicht ist dieses ganze Buch nicht nötig, denn in seinem Gedicht beschreibt Martin Betz Berlin und die Berli­ner, wie ich es nicht besser könnte. Keines­wegs könnte ich es so dicht wie dieser Dich­ter. Und viel­leicht ist der Kreuz­berg ja die Mitte, nach der wir suchen. Aber nun haben Sie einmal das Buch ange­schafft, und wir können die Sache brei­ter und tiefer behan­deln.

Es gibt zwei Sorten Berli­ner. Die der einen Sorte kommen nie aus ihrem Kiez heraus und haben bis ins hohe Alter keine Ahnung, was sich ein paar Kilo­me­ter weiter abspielt. Ein in 13582 Berlin-Span­dau wohn­haf­ter Onkel wurde zum Beispiel einmal von einem in 12051 Berlin-Neukölln logie­ren­den Freund dort­hin zum Früh­stück einge­la­den und sagte mit Befrem­den: „Nach Berlin fahren wir eigent­lich nie.“ Von denen kann man nicht viel Topo­gra­phi­sches über diese große Stadt lernen. Trotz­dem kennen sich manche erstaun­lich gut in der preu­ßi­schen Geschichte aus und verste­hen nicht, dass jemand von außer­halb nicht einmal weiß, was Preu­ßen war und warum man sich um Himmels willen heute dafür inter­es­sie­ren sollte. Um ehrlich zu sein: Als ich die ersten Male in Berlin war, wusste ich auch nicht, warum ich mich für Preu­ßen inter­es­sie­ren sollte.

Den Berli­nern der ande­ren Sorte darf man nicht alles blind glau­ben. Die stehen nachts auf dem Kreuz­berg, kennen und lieben ganz Berlin, wissen, dass der Gendar­men­markt „der schönste Platz Euro­pas“ ist und Hotel Estrel „das größte Hotel von Deutsch­land“ war, als es gebaut wurde, das KaDeWe das „beste Kauf­haus nach Harrod‘s in London, aber mit einer viel besse­ren Lebens­mit­tel­ab­tei­lung“, und dass Berlin die einzige Stadt auf der Welt ist, in deren „Zentrum“ man ein Feuer­werk abbren­nen kann, das fünf­hun­dert Meter breit, tief und hoch ist. Und dies fried­lich auf einem Niveau mit dem Klotz, wo Rudi wohnt, und ande­ren Gegen­stän­den, die weit weg sind, die man aber vom Kreuz­berg erken­nen kann.

Die Berli­ner beider Sorten hatten übri­gens schon vor 1920 ein Tele­fon mit Wähl­scheibe, und sie haben bis heute nicht verstan­den, wie man Fern­ge­sprä­che wählt und wann man eine Null weglas­sen muss. Die Wähl­scheibe war für Orts­ge­sprä­che, das mit den Nullen machte das Fräu­leins vom Amt, aber Fern­ge­sprä­che führte man sowieso nie. Wozu auch?

Nachts auf dem Kreuz­berg kann man mit einem guten Fern­rohr auch den Mons Penck erken­nen, benannt nach einem ehemals in Berlin wirken­den Geogra­phen. Der wurde tausend Jahre lang geschätzt wegen seiner wissen­schaft­lich unter­bau­ten Pläne, welche Teile der Sowjet­union Deutsch­land sich notwen­di­ger­weise als Lebens­raum einver­lei­ben müsse und welche als Satel­li­ten­staa­ten unter deut­schem Einfluss eine gewisse Frei­heit haben könn­ten. Kurz danach rück­ten Satel­li­ten­staa­ten unter sowje­ti­schem Einfluss auf knapp sech­zig Kilo­me­ter an Berlin heran. Das kommt davon. Derzeit ist in Berlin keine Straße nach Penck benannt, wohl aber auf dem Mond ein ganzer Berg.

Die Berli­ner der zwei­ten Sorte sind stolz darauf, viele Stra­ßen­na­men zu kennen, aber damit haben sie es schwer. Erst wurde alles nach preu­ßi­schen Gene­rä­len benannt, dann nach Kommu­nis­ten, dann, nach der Wende, wurden manche Stra­ßen zwei- oder drei­mal umbe­nannt, und nun müssen mindes­tens 50,00% nach Frauen benannt werden, jeden­falls in Kreuz­berg. Viele Stra­ßen haben jedoch, seit sie gebaut wurden, keinen Namen, sondern eine Nummer, zum Beispiel Straße 256, und niemand traut sich mehr, einen Namen vorzu­schla­gen, weil es unwei­ger­lich Streit gibt. So durfte unlängst der Platz vor dem jüdi­schen Museum wegen der Frau­en­quote nicht nach dem berühm­ten Philo­so­phen Moses Mendels­sohn benannt werden. Nach langem Ringen wurde er dann nach seiner Frau und ihm benannt, in dieser Reihen­folge. Aber wir schwei­fen ab – etwas, das in diesem Buch wohl noch öfter gesche­hen wird. Zurück zum Mond, auf dem das Umbe­nen­nen noch nicht um sich gegrif­fen hat!

Nachts auf dem Penck­berg kann man mit einem guten Fern­rohr auch heute noch das ehema­lige Ost-Berlin vom ehema­li­gen West-Berlin unter­schei­den. Der Osten strahlt gelb, weil da zu DDR-Zeiten über­all Natri­um­dampf­lam­pen aufge­stellt wurden. Im Westen gab es bis jetzt noch über­wie­gend gemüt­li­che Gasla­ter­nen, fahl­weiß. Hinzu kamen auf Haupt­stra­ßen Queck­sil­ber­dampf­lam­pen, grell­weiß. Derzeit werden all die schö­nen Gasla­ter­nen­pfähle ausge­gra­ben, wegge­bracht, gesand­strahlt, neu ange­stri­chen, ausge­stat­tet mit elek­tri­schem Licht, zurück­ge­bracht, wieder einge­gra­ben und verka­belt. Das ist billi­ger. An die Arbeits­plätze im Glüh­strümpf­chen­sek­tor denkt niemand.

Ob man vom Mons Penck aus erken­nen kann, wo Rudi wohnt, konnte ich nicht über­prü­fen.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

MARTIN BETZ
Dich­ter, ausge­bil­de­ter Cemba­list und eine der inter­es­san­tes­ten Neuköll­ner Persön­lich­kei­ten.
Im Jagd­schloss Stern trägt er Cemba­lo­mu­sik und eigene Gedichte vor.
Noch viel mehr finden Sie auf seiner Home­page martinbetz.de

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