Gut und Schloss Kossenblatt

65 km. Ein Schloss im Osten geht mit der Zeit

Uwe hatte bei einer Ruder-Wander­fahrt Kossen­blatt entdeckt und wollte mit mir da hin. So einen abge­le­ge­nen, verges­se­nen Ort entdeckt man nur von der Spree aus. Über die Straße kommt hier niemand zufäl­lig vorbei.

Im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert wollte Theo­dor Fontane dort auch hin, und schon seine Beschrei­bung der Anreise strahlt die Trost­lo­sig­keit aus, die Rainald Grebe in seinem bösen Bran­den­burg-Lied besingt. Immer­hin stand damals ein miss­traui­scher Bauern­junge an Fonta­nes Weg. Wir aber sahen kilo­me­ter­weit nicht einen einzi­gen Menschen. „In Bran­den­burg soll es wieder Wölfe geben.“

Wir hatten uns einge­le­sen und waren neugie­rig. Fontane soll hier ausführ­lich selbst zu Wort kommen, denn ich könnte es nicht besser formu­lie­ren. Seinen Text findet man in den Wande­run­gen durch die Mark Bran­den­burg, II. Das Oder­land, Auf dem Hohen-Barnim.

Im Jahre 1699 kaufte Hans Albrecht von Barfus, wie bereits in dem Kapi­tel Prädi­kow erzählt, die Herr­schaft Kossen­blatt und zahlte dafür die für die dama­lige Zeit ziem­lich beträcht­li­che Summe von 32000 Talern und hundert Duka­ten Schlüs­sel­geld. Das Oppen­sche Herren­haus, das er vorfand, genügte ihm nicht und er ging das Jahr darauf (1700) an die Auffüh­rung eines Schlos­ses. Er starb aber drüber hin und hat die Räume dessel­ben nie bewohnt.

Erst seine Witwe, Eleo­nore gebo­rene Gräfin von Dönhoff, führte den Schloß­bau glück­lich hinaus. Sie war eine stolze Frau und es geht die Sage, daß sie bemüht gewe­sen sei, ihrem einzi­gen über­le­ben­den Sohne sein Erbe nach Möglich­keit zu schä­di­gen und zu schmä­lern. Sie ließ zu diesem Behuf einen hollän­di­schen Baumeis­ter kommen, befahl ihm, unter­halb der Keller des Schlos­ses einen zwei­ten Keller zu graben und zu wölben, und tat dann alles hinein, was sie an Gold und Kost­bar­kei­ten besaß. Dann gab sie Befehl, die Gruft in ihrer Gegen­wart zu schlie­ßen, und nahm dem Baumeis­ter einen Eid ab, die Stelle nieman­dem zu verra­ten. Voll Zwei­fel aber, ob er den Eid auch halten werde, zog sie das Sichere vor und ließ ihn auf der Rück­reise nach Holland aus dem Wege räumen. Der »Schatz«, so heißt es weiter, war nun glück­lich beiseite gebracht, indes­sen die Bilder und Möbel waren noch da, die ganze Einrich­tung eines reichen Schlos­ses. Auch das mußte fort. Als sie fühlte, daß es mit ihr zum letz­ten gehe, befahl sie den gesam­ten Haus­rat auf den Schloß­hof zu tragen, und vergol­dete Stühle und Tische, Spie­gel und Konso­len, Divans und Kommo­den wurden nun zu einer Pyra­mide aufge­türmt. In einem Roll­stuhle ließ sie sich dann an die Tür des Garten­saa­les fahren, gab Order, zwei Fackeln anzu­le­gen, und starrte lang und befrie­digt in die hoch aufstei­gende Flamme. Sie fühlte das Feuer mehr, als daß sie es sah, denn die helle Mittags­sonne stand über dem Schau­spiel. Als alles nieder­ge­brannt war, saß sie tot in ihrem Roll­stuhl.

Das war 1728 und ihr einzi­ger Sohn über­nahm Kossen­blatt. Aber nur acht Jahre blieb es in seinen Händen. 1737 erstand es König Fried­rich Wilhelm I. und schlug es zu seiner Herr­schaft Königs-Wuster­hau­sen. Über die Umstände, die diese Veräu­ße­rung beglei­te­ten, spre­che ich weiter­hin.

In Kossen­blatt laufen also wie in Moyland die verschie­dens­ten Fäden zusam­men. Ohne den Fimmel des Sohnes des Großen Kurfürs­ten, sich unbe­dingt in Königs­berg, nun in Russ­land gele­gen, zum König Fried­rich I. krönen zu wollen, und ohne die Türken vor Wien gäbe es das Schloss nämlich nicht. Dieser Fried­rich I. in spe musste ja den Kaiser in Wien für seinen Plan gewin­nen, und weil dessen Feld­herr Prinz Eugen die Türken nicht alleine vertrei­ben konnte, schickte ihm Fried­rich viel Geld und ein Bran­den­bur­gi­sches Regi­ment unter Leitung von Gene­ral Barfus zu Hilfe. Barfus führte unter Prinz Eugen die entschei­dende Schlacht. So kamen die Türken erst Jahr­hun­derte später massen­haft nach Europa, nun mit ordent­li­chen Papie­ren und nicht, um alles auszu­plün­dern.

Als Fried­rich dann endlich König in Preu­ßen und ein Jahr später auch noch Prinz von Oranien war, fühlte sich Gene­ral Barfus nicht mehr wohl am Berli­ner Hof mit seinem Zere­mo­ni­ell und seinen Intri­gen und kaufte sich von seinem im Türken­krieg verdien­ten Geld dieses Gut in Kossen­blatt und vergol­dete Möbel aus Frank­reich. Den hollän­di­schen Baumeis­ter für sein geplan­tes Schloss hatte er wohl am Berli­ner Hof kennen­ge­lernt. Seine Frau aber kam aus dersel­ben Fami­lie wie später Marion Gräfin Dönhoff, die in Ostpreu­ßen nach dem Zwei­ten Welt­krieg alles verlo­ren hatte und in sechs Wochen auf ihrem Pferd nach Hamburg ritt, um dort Die Zeit zu grün­den.

Das neue Schloss lag direkt an der Grenze zu Sach­sen, wovon noch heute der Stra­ßen­name An der Zoll­brü­cke zeugt.

Von all diesen inter­na­tio­na­len Verbin­dun­gen sieht man jedoch heute nichts, wenn man den menschen­lee­ren Ort besucht. Das liegt am Geschmack König Fried­rich Wilhelms I., des Sohnes König Fried­richs I., wie wir bei Fontane weiter gele­sen hatten. Aber Fontane gibt vorher einen eindring­li­che­ren Einblick in die deut­sche Roman­tik mit ihren efeu­über­wu­cher­ten Ruinen, als es die Gemälde von Caspar David Fried­rich je könn­ten:

Drei Gene­ra­tio­nen waren seit jenem Tage vergan­gen, da, während der fünf­zi­ger Jahre dieses Jahr­hun­derts, trat wieder ein Barfus in das alte Barfus­schloß ein. Aber frei­lich nur als Gast. War es roman­ti­scher Herzens­zug oder Pietät gegen die Stätte, wo sein Ahnherr gelebt und einen Denk­stein seines Ruhms und seines Reich­tums hinter­las­sen hatte, gleich­viel ein Enkel des Feld­mar­schalls hatte das Ansu­chen an König Fried­rich Wilhelm IV. gestellt, einen Sommer lang in Schloß Kossen­blatt resi­die­ren zu dürfen, und diesem Ansu­chen war nach­ge­ge­ben worden.

Ein Wagen hielt vor der Stein­treppe, die rosti­gen Angeln gaben halb wider­wil­lig nach und der nach­ge­bo­rene Barfus, selber ein Gene­ral, stand als Fremd­ling in dem wüsten und weit­schich­ti­gen Schloß seiner Ahnen. Niemand war mit ihm als seine Frau und deren Diene­rin. Er bezog ein paar Eckzim­mer und das Nötigste an Haus­rat wurde herbei­ge­schafft. Aber es war nicht möglich, den öden Ort in einen wohn­li­chen zu verwan­deln. Der Regen fuhr durch die morsch gewor­de­nen Fens­ter und selbst das heitere Sonnen­licht war eine Pein, denn unge­mil­dert fiel es durch die großen Fens­ter und sprang heiß und blen­dend von den kahlen weißen Wänden zurück. Zu dem Bedrü­cken­den der Öde gesellte sich der Mangel an allem, was das Leben an Unter­halt erfor­dert. Die Stadt war weit und das Dorf war arm. Die Frauen litten schwer. Nur das roman­ti­sche Herz des Gene­rals trug alles, was ihm Schloß Kossen­blatt an Entbeh­run­gen aufer­legte, mit Freu­dig­keit. Ja, es hob ihn mehr, als daß es ihn nieder­drückte. Er war nicht nach Schloß Kossen­blatt gekom­men, um zu banket­tie­ren; es lag ihm nicht an lusti­ger Gesell­schaft und an lautem Gespräch über den Tisch hin; es lag ihm an stil­ler Zwie­sprach mit denen, die nicht mehr waren. Ihm waren diese weiten Räume nicht öde, und wenn er nachts oder am hellen Mittage sie durch­schritt, vernahm er ein Flüs­tern und stand still, ob er’s erlau­schen könne. Vergeb­lich hingen die Blicke seiner Frau an ihm und baten um Rück­kehr zu den Menschen.

Endlich kam Hilfe.

Es war Hoch­som­mer und die Hitze des Tages hatte den Gene­ral in die Wald- und Wiesen­gründe geführt, die den Kossen­blat­ter See nach Süden hin umzie­hen. Es wurde drückend schwül und um die vierte Stunde brach das Unwet­ter los. Als die Donner herauf­zo­gen, war es als roll­ten schwere Wagen durch alle Säle und Korri­dore. Einzelne Wind­stöße fuhren gegen das Schloß und die entsetz­ten Frauen hörten jetzt, wie nah und fern und oben und unten ein gespens­ti­sches Klap­pern von Fens­tern und Türen begann. An hundert Stel­len zugleich wollte der Böse herein. Das Blit­zen wurde immer hefti­ger und Herrin und Diene­rin flohen aus ihren Zimmern in den langen schma­len Korri­dor hinaus, der auf den Schloß­hof nieder­blickt. Der Flügel gegen­über stand wie in Nacht. Aber plötz­lich war es, als fiel ein Feuer vom Himmel, und der Schloß­hof stand wie in Flam­men und die Diene­rin schrie laut auf: »Dort sitzt sie!«… Es war ihr, als habe sie die alte Reichs­grä­fin gese­hen, im Roll­stuhl, unter der Balkon­tür und in die Flam­men des Hofes star­rend.

Dieser Nach­mit­tag entschied.

Die Gäste verlie­ßen Schloß Kossen­blatt und alles war wieder wie zuvor. Spin­nen und Amei­sen began­nen ihre stille Wirt­schaft, und niemand anders sprach ein als der Wind im Kamin.

Aber aus der Geschichte unse­rer Tage haben wir noch einmal um andert­halb Jahr­hun­derte zurück­zu­ge­hen in die Tage des letz­ten Grafen Barfus und in aller Kürze jener drit­ten Epoche Schloß Kossen­blatts zu geden­ken: der Zeit Fried­rich Wilhelms I.

Heute wirkt der Ort sauber und ordent­lich, es gibt eine gute Straße, Wegwei­ser und Infor­ma­ti­ons­ta­feln, die auf die Geschichte hinwei­sen, sowie einen großen, völlig leeren Park­platz vor dem Gast­hof mit seiner einla­dend offen­ste­hen­den Tür.

Als wir anka­men, war es ein Uhr mittags, und wir hatten nach der langen Anfahrt Hunger. Aber beim Blick auf die Spei­se­karte und den leeren Park­platz kamen Zwei­fel. „Matjes­he­ringe in Sahne­sauce.“ – „Frischer Salat in Sahne­sauce“ und noch viel mehr leicht­ver­derb­li­che Spei­sen mit Saucen auf Sahne- oder Mayon­nai­se­ba­sis. Es war an dem Tag heiß, 32 Grad im Schat­ten, und trotz der offe­nen Tür hatte hier wohl seit Tagen kein Mensch mehr geges­sen. Ich stellte mir die großen Eimer mit Sahne­soße und Mayon­naise vor, wie der Gastro­nom sie im Groß­han­del bekommt, und mir verging der Appe­tit.

Da kam ein Ehepaar auf Fahr­rä­dern an, wohl Studi­en­räte auf den Spuren der Geschichte. Der Mann setzte sich auf eine Bank. Seine Frau sagte: „Ich schau mal“ und ging mutig in den Gast­hof. Sie kam bald wieder und schüt­telte entschie­den den Kopf. „Auch kein Eis?“, fragte der Mann. „Nein!“

Im Ort gab es keinen Bäcker und keinen Super­markt, also besuch­ten wir hung­rig die Spree­insel mit dem Schloss darauf. Dazu muss man die Guts­an­lage durch­que­ren, die noch genauso dasteht wie zu Barfus‘ Zeiten. Wir wurden aus einem Fens­ter unwirsch ange­schaut, als ob wir hier uner­wünscht wären.

Im Inter­net hatten wir gele­sen, dass das Schloss seit Ende der DDR Sitz einer Firma wäre, die biblio­phile Bücher auf Mikro­film setzt. Auf Mikro­film! Im 21. Jahr­hun­dert. Zum Glück wusste ich aus meiner Zeit als studen­ti­sche Hilfs­kraft am Rechen­zen­trum, was ein Mikro­film ist. Jeden­falls sollte man laut Inter­net die Insel betre­ten und das Schloss von außen besich­ti­gen können. Auch würde es die Firma viel­leicht gestat­ten, einen Blick ins Trep­pen­haus zu werfen.

Leider war aber die Brücke zur Schloss­in­sel mit einem unüber­wind­li­chen Zaun und Tor aus DDR-Zeiten versperrt. Dane­ben gab es ein Törchen mit Klin­gel­knopf und einem Schloss mit Tasta­tur. Die Tasten waren korro­diert, und das Drücken des Klin­gel­knop­fes bewirkte gar nichts.

Ein unge­lieb­ter Ort mit einem verwil­der­ten Park und undeut­li­chen Eigen­tü­mern. Irgend­wie war das zu Fonta­nes Zeiten auch schon so:

Im Jahre 1735 kam König Fried­rich Wilhelm I. auf einer Jagd von Königs-Wuster­hau­sen aus in die Kossen­blat­ter Gegend, sah das schöne Schloß und forderte den Besit­zer auf, ihm seine Besit­zung zu verkau­fen. Als dieser Antrag abge­lehnt wurde, wurden nichts­des­to­we­ni­ger alle Mittel in Bewe­gung gesetzt, sich des ganzen Güter­kom­ple­xes zu versi­chern. Es fand sich auch bald ein Weg, da er sich durch­aus finden sollte. Der Verlauf war folgen­der. Graf Barfus hatte dem Unter­händ­ler des Königs gegen­über von 180000 Talern gespro­chen, nur um loszu­kom­men, in der festen Voraus­sicht, daß diese hohe Summe nie bewil­ligt werden würde, worin er auch recht behielt. Viel­mehr begnügte sich der König damit, dem Grafen wissen zu lassen, daß der Preis seiner Güter, nach­dem er über­haupt einmal auf den Verkauf dersel­ben einge­gan­gen sei, nicht länger einsei­tig durch ihn selbst bestimmt werden könne. Es geböte sich jetzt eine Taxie­rung. Hier­nach kam denn auch im Januar 1736 ein Kauf zustande, ohne daß die belehn­ten Agna­ten befragt worden wären. Der König bewil­ligte 125000 Taler, schlug Kossen­blatt zur Herr­schaft Königs-Wuster­hau­sen und über­wies es, gleich nach der Über­gabe, seinem zwei­ten Sohne, dem Prin­zen August Wilhelm. Ob dieser je dort resi­diert hat, ist zwei­fel­haft. Der Prinz bevor­zugte das in Nähe seiner Garni­son Span­dau gele­gene Schloß Orani­en­burg und begnügte sich damit, seinen Namens­zug A. W. an dem großen Front­bal­kon des ehema­li­gen Barfu­sen-Schlos­ses anbrin­gen zu lassen.

Prinz August Wilhelm verschmähte Kossen­blatt, aber der König selbst scheint während seiner letz­ten Lebens­jahre viele Wochen und Monate daselbst zuge­bracht zu haben. Wenn der Ausdruck gestat­tet ist: er saß hier seine Gicht ab und Kossen­blatt wurde der Haupt­schau­platz jener Kunst­übun­gen, deren Resul­tate die bekannte Inschrift tragen: in tormen­tis pinxit.

Nach diesen histo­ri­schen Vorbe­mer­kun­gen schi­cken wir uns zu einem Besu­che des Schlos­ses selber an.

Es wirkt im Näher­kom­men nicht ungüns­tig und erst die Rück­seite des Baues zeigt uns seine Schwä­chen: zu lange Flügel und einen zu schma­len Schloß­hof. Eben diese Rück­seite hat auch den Blick auf die Spree und eine kümmer­li­che dahin­ter­ge­le­gene Bauan­lage, die den Namen »Lust­gar­ten« führt. In diesem wurde der König in seinem Roll­stuhl auf und ab gefah­ren und die zuge­schrägte Doppel­rampe, die sich bis diesen Tag in Hufei­sen­form an den Schloß­flü­gel legt, zeigt am deut­lichs­ten, mit welcher Sorg­lich­keit all und jedes einge­rich­tet war, um die schlechte Laune des von Gicht und Wasser­sucht geplag­ten Königs nicht noch schlech­ter zu machen.

Das alles konn­ten wir hinter dem Zaun nur erah­nen. Schließ­lich fanden wir eine gemeind­li­che Infor­ma­ti­ons­wand hinter Glas. Dort stand ganz offen­her­zig, dass die im Schloss unter­ge­brachte Firma insol­vent sei und man durch das Törchen um das Ziffern­schloss herum grei­fen solle. Hinten sei eine Klinke, und man könne auf die Insel, um das Schloss zu umschrei­ten. Wenn man aber eine Führung durch das Innere wünsche, solle man eine bestimmte Tele­fon­num­mer anru­fen. Für „Trau­un­gen und alle ande­ren Ange­le­gen­hei­ten“ dage­gen solle man das Bürger­meis­ter­amt im Nach­bar­ort Tauche anru­fen.

Das mit der Klinke funk­tio­nierte nicht, denn das Törchen war mit einer Kette und einem Vorhän­ge­schloss gesi­chert. Die Tele­fon­num­mer für Führun­gen durchs Innere war laut Ansage „keinem Teil­neh­mer zuge­wie­sen“.

Wir einig­ten uns darauf, dass dies typi­scher­weise unter „alle ande­ren Ange­le­gen­hei­ten“ falle und einen Anruf beim Bürger­meis­ter recht­fer­tige. Dessen Sekre­tä­rin hörte sich an, dass die Nummer des Mannes für Schloss­be­sich­ti­gun­gen wohl nicht stimme, und sagte: „Der ist tot.“

Bran­den­burg! Ort und Gast­hof menschen­leer, Firma pleite, Schloss­füh­rer verstor­ben.

Aber die Sekre­tä­rin gab uns den Tipp, dass der Mann, der auf Wunsch Führun­gen durch die Kirche durch­führt, inzwi­schen auch den Schlüs­sel vom Schloss habe.

Der aber war fast taub, sodass seine Frau das Tele­fon aufnahm. Ja, er würde auf Wunsch auch das Schloss aufschlie­ßen, habe aber heute nur eine knappe Stunde Zeit. Wenn wir ihn mit dem Auto An der Zoll­brü­cke, also im dama­li­gen Sach­sen, abho­len könn­ten, würde er uns schnell mal aufschlie­ßen.

Der freund­li­che Herr hat uns dann viel wirk­lich Inter­es­san­tes erklärt, auch wenn man schreien musste, um ihm eine Frage zu stel­len. Er kannte die ganze Geschichte, war als junger Mann Statist in einem Film über die Möbel­ver­bren­nung im Schloss­hof, war in DDR-Zeiten aktiv in der Kirchen­ge­meinde und nach der Wende sogar einmal Bürger­meis­ter oder so etwas.

Leider habe ich seine Visi­ten­karte verlo­ren. Ich hätte ihn gerne für dieses Buch noch einmal gespro­chen. Vor einem Jahr schrieb ich sowohl an die Kirchen­ge­meinde als an den Bürger­meis­ter mit der Bitte um seinen Namen und seine Haus­num­mer An der Zoll­brü­cke. Eine Antwort habe ich nie erhal­ten. Viel­leicht sind die dort jetzt alle tot!

Sein ganzer Stolz war der Trau­saal, den die Gemeinde nach der Wende im ersten Stock­werk einge­rich­tet hatte: Boden aus Kunst­mar­mor; rote Samt­vor­hänge, gehal­ten von glän­zen­dem Messing; rot bezo­gene Alumi­ni­um­stühle, Messing-eloxiert; dane­ben moderne Toilet­ten und ein Umklei­de­raum für die Braut. Das alles passte nicht recht zum Schloss, aber man kann sich vorstel­len, dass so ein Trau­saal in dieser trost­lo­sen Gegend wirk­lich beliebt war. Ich wagte nicht zu fragen, wie viel Prozent der hier geschlos­se­nen Ehen heute noch hiel­ten.

Wir erfuh­ren noch, wie damals dieser Film gemacht wurde: Auf dem Sport­platz wurde bren­nen­der Sperr­müll gefilmt, im Schloss­hof die Gräfin Dönhoff im Roll­stuhl mit Lakaien, und die beiden Filme wurden über­ein­an­der­ko­piert.

Und wir erfuh­ren, dass eine Frau aus dem Ort, die alle für eine lini­en­treue Kommu­nis­tin hiel­ten und deshalb verach­te­ten, die ganze Zeit das Schild A.W. in ihrem Kohlen­kel­ler versteckt hatte in Erwar­tung besse­rer Zeiten. So kann man sich in Menschen täuschen. Das Schild war nun beim Restau­ra­tor. Viel­leicht hängt es inzwi­schen wieder.

Bei all dem hatte ich Fontane im Kopf:

Wir haben jetzt das Schloß umschrit­ten und treten ein. Der Eindruck, den es in seinem Innern macht, ist der des Statt­li­chen, aber zugleich der höchs­ten Trüb­se­lig­keit. Es ist ein impo­san­tes Nichts, eine würde­volle Leere, – die Dimen­sio­nen eines Schlos­ses und die Nüch­tern­heit einer Kaserne. Aber erst in den Zimmern der Beletage erreicht die Trüb­se­lig­keit ihren höchs­ten Grad. Hecht­grau gestri­chene Türen tragen aller­hand Inschrif­ten in gelber Ölfarbe, und den Korri­dor des linken Flügels hinun­ter­schrei­tend, lesen wir nach der Analo­gie von Kaser­nen­stube Nr. 3 oder 4: »Ihro Hoheit Kron­prin­zes­sin«, »Ihre Hohei­ten Prin­zes­sin Ulrike und Amalie«, »Ihre König­li­chen Hohei­ten Prinz Hein­rich und Ferdi­nand«, »Ober­hof­meis­te­rin«, »Fräu­leins-Kammer« usw. Dazwi­schen immer »Garde­ro­be­zim­mer«, aber, sooft wir öffnen, alles in dieselbe weiße Tünche getaucht.

Die Türen wollte ich sehen. Aber ich sah nur schwere Stahl­tü­ren, über­all in den Seiten­flü­geln. Wer dieses Schloss jemals restau­rie­ren würde, müsste zuerst drei Dutzend DDR-Stahl­tü­ren entsor­gen. Auf meine geschriene Frage erfuhr ich: „Ach, wuss­ten Sie das nicht? Hier war das Mikro­film-Archiv der Stasi.“

So wurde alles schlag­ar­tig klar: Die Staats­si­cher­heit fand dieses verlas­sene Schloss auf einer Insel in einem abge­le­ge­nen Ort ideal für ihr gehei­mes Archiv. Die Spree entsorgte zuver­läs­sig Entwick­ler und Fixier­bad. Nach der Wende hat wahr­schein­lich einer der ehema­li­gen Mitar­bei­ter das Ganze für eine Mark von der Treu­hand erstan­den, inklu­sive Kame­ras, Foto­la­bor und allem, was dazu gehört. Leider hatte er sich klar gemacht, dass heut­zu­tage wirk­lich niemand mehr an Mikro­film­tech­nik inter­es­siert ist, und der ganze Schwin­del ging pleite.

Darum war von dem, was Fontane sonst noch beschreibt, nichts mehr zu sehen bis auf einige Foto­gra­fien der Gemälde des Königs:

Wir kehren nun aus dem ersten Stock in das Erdge­schoß zurück. Hier wohnte der König und mancher­lei erin­nert noch an seine Neigun­gen und seine Tätig­keit. In dem großen Eckzim­mer des linken Flügels sind die Wände bis zu beträcht­li­cher Höhe mit klei­nen hollän­di­schen Kacheln beklei­det: glasierte Täfel­chen mit blauen Figu­ren darauf. Dies war ersicht­lich das Staats- und Empfangs­zim­mer, denn über dem Kamin hängt ein Porträt Ludwigs XIV. in weit nach­schlep­pen­dem Herme­lin. Die Farben des Bildes sind halb abge­fal­len, aber auch der haften­ge­blie­bene Rest ist immer noch das einzige, was in dem ganzen weiten Schloß an Kunst erin­nert und an Genius mahnt.

In demsel­ben Staats- und Empfangs­zim­mer befin­det sich noch ein Dutzend ande­rer Porträts: die in tormen­tis gemal­ten Bilder des Königs selbst. Das Mildeste, was man von ihnen sagen kann, ist: sie verleug­nen die Stunde ihres Ursprungs nicht. Frei­lich haben auch sie ihre Vereh­rer gefun­den. Einige unbe­dingte Fried­rich-Wilhelm-Bewun­de­rer haben die ganze Frage auf das Gebiet der Ener­gie gespielt und von diesem Stand­punkt aus mit einem gewis­sen Rechte gesagt: »So malte ein Mann, der nicht malen konnte. Und so malte er unter Schmer­zen und – jeden Tag ein Bild.«

Vor diesem Räson­ne­ment verneigt sich die Kritik.

Alle diese Bilder des Königs rühren aus den Jahren 1736, 1737 und 1738 her. Es sind sämt­lich Porträts (Brust­stü­cke) und zwar einund­vier­zig an der Zahl, von denen sich zwei­und­drei­ßig in den Zimmern, neun aber im Korri­dor befan­den. Alle in Rahmen von gebeiz­tem Eichen­holz. So häßlich die Bilder sind und so unfä­hig, ein künst­le­ri­sches Wohl­ge­fal­len zu wecken, so wecken sie doch immer­hin ein gewis­ses künst­le­ri­sches Inter­esse. Der Hang zum Charak­te­ris­ti­schen ist unver­kenn­bar. In dem einen Zimmer hängen z.B. zwei seiner Juden­köpfe neben­ein­an­der. Man sieht deut­lich, daß ihm der erste Kopf nicht jüdisch genug erschie­nen war und daß er sich zum zwei­ten Male an die Arbeit machte, um den natio­na­len Typus entschie­de­ner heraus­zu­ar­bei­ten. Einmal ist ihm sogar ein hübscher Kopf geglückt: die Frau seines ersten Kammer­die­ners. Hübsch cum grano salis.

Außer den Bildern des Königs, die neuer­dings, wenn ich nicht irre, nach Königs-Wuster­hau­sen hinüber­ge­schafft worden sind, bewahrt Schloß Kossen­blatt auch die Staf­fe­lei, worauf die Bilder gemalt wurden. Dane­ben einen Eichen­tisch und um den Tisch herum eine Anzahl schwe­rer Holz­stühle nach Art unse­rer jetzi­gen Garten­ses­sel. Alles solid und primi­tiv.

Wir durch­schrit­ten endlich auch den Rest des Erdge­schos­ses und fanden seine Räume, wie wir die des ersten Stockes gefun­den hatten: groß, öde, weiß. Dazu hohe Fens­ter und hohe Kamine. Sie hatten bloß ein charak­te­ris­ti­sches Zeichen und dieses Zeichen mehrte nur unser Grauen. In jedem Zimmer lag ein toter Vogel, in manchem zwei, auch drei. In Sturm­näch­ten hatten sie Schutz gesucht in den Rauch­fän­gen, und immer tiefer nach unten stei­gend, waren sie zuletzt wie in eine Vogel­falle hinein gera­ten.

Und hier verge­bens einen Ausweg suchend, hin und her flat­ternd in dem weiten Gefäng­nis, waren sie verhun­gert.

Die Gemälde selbst hängen heute tatsäch­lich in Königs Wuster­hau­sen.

Wie es denn nun hier weiter­ge­hen würde, schrie ich. Wir erfuh­ren, dass weder die Gemeinde Kossen­blatt noch die Stif­tung Preu­ßi­sche Schlös­ser und Gärten Geld hat, um wieder etwas aus dem Schloss zu machen, aber dass gerade mit einem Kauf­in­ter­es­sen­ten verhan­delt werde. Man hoffe, dass der neue Eigen­tü­mer wenigs­tens den Zugang zur Insel gestat­ten werde und an Sams­ta­gen die Benut­zung des doch wirk­lich sehr gelieb­ten Trau­saa­les.

Der neue Eigen­tü­mer – das werde wohl ein Unter­neh­men, das Ärzte aus Rumä­nien und Bulga­rien, die sich in Deutsch­land nieder­las­sen woll­ten, auf das deut­sche Medi­zin­recht vorbe­rei­tet. Kossen­blatt als Ausbil­dungs­stätte für die Erwei­te­rung der Euro­päi­schen Union. Rumä­nien und Bulga­rien – da ist man schon fast wieder hinten weit in der Türkei.

Auch heute noch würden hier also Fäden aus ganz Europa zusam­men­lau­fen! Doch in der Zeitung konnte man lesen, dass der neue Eigen­tü­mer den Kauf bereut und Wege sucht, den Vertrag wieder zu lösen. Das Wege­recht über die alte Guts­an­lage zur Schloss­brü­cke ist unge­klärt. Hier miss­lingt schon wieder etwas.

Auf dem Rück­weg fanden wir nach langem Suchen, halb verhun­gert, auf einem Last­wa­gen­stell­platz eine Imbiss­bude, in der uns mit viel Liebe Bulet­ten mit Zwie­beln gebra­ten wurden. Und wieder dach­ten wir an Fontane:

Spät am Abend mahlte sich unser Fuhr­werk wieder durch den Sand zurück. Es war kühl gewor­den und der Ster­nen­him­mel gab auch dieser Öde einen poeti­schen Schim­mer. Ich sah hinauf und freute mich des Glan­zes. Aber in die heitern Bilder, die ich wach­zu­ru­fen trach­tete, drängte sich immer wieder das Bild von Schloß Kossen­blatt hinein. Die weißen Wände starr­ten mich an, ich hörte das gespens­ti­sche Türen­klap­pen und in dem letz­ten Zimmer des linken Flügels flog ein Vögel­chen hin und her und stieß mit dem Kopfe an die Schei­ben. Sein Zirpen klang wie Hilfe­ruf.

Und inmit­ten dieses Hilfe­rufs wech­selte das Bild und das Schloß stand in Flam­men, und unsicht­bare Hände trugen es ab und warfen es in das Feuer.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

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Es gab Zeiten, da waren Poli­zis­ten für mich einfach nur Bullen. Ich habe sie aus tiefs­ter Über­zeu­gung und tausend Grün­den gehasst, und nicht alle davon waren unbe­grün­det. Manche gelten bis heute, aller­dings ist mein Verhält­nis […]

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