Türme in Großbeeren

Vom Befreien und Bauen

In und um Groß­bee­ren dage­gen sind aller­lei ehrgei­zige Baupro­jekte fertig gewor­den. Der Ort ist nur klein, aber sein Bahn­hof ist vom Zentrum durch ein riesi­ges Geschlinge auto­bahn­ähn­li­cher Bundes­stra­ßen getrennt. Bevor Sie sich in den Kopf setzen, Groß­bee­ren mit dem Zug zu besu­chen, schauen Sie sich das Verkehrs­bau­werk unbe­dingt auf einem Satel­li­ten­bild an und stel­len Sie sich vor, wie Sie es über­que­ren müss­ten! Dann lassen Sie von diesem Wahn­sinns­plan ab.

Von Pots­dam aus führte seit preu­ßi­schen Zeiten eine schnur­ge­rade Groß­bee­ren­straße durch Güter­felde nach Groß­bee­ren. Dann kam die Wende, und als Zeichen der Befrei­ung wurde diese Straße wie viele andere im Osten gut ausge­baut und ordent­lich asphal­tiert. Sie erin­nern sich: Soli­da­ri­täts­zu­schlag, blühende Land­schaf­ten und so.

Dann aber zog Bonn nach Berlin um, und eine vom Eiser­nen Vorgang befreite Bundes­haupt­stadt braucht nicht nur einen visio­när geplan­ten Groß­flug­ha­fen, sondern auch ein eben­sol­ches Auto­bahn­netz. Nicht kleckern, sondern klot­zen! So wurden auch Pots­dam und Groß­bee­ren durch eine Auto­bahn verbun­den. Jeden­falls durch eine Land­straße, die aussieht wie eine Auto­bahn, Kreu­zungs­bau­werke und Ausfahr­ten hat hat wie eine Auto­bahn und benutzt wird wie eine Auto­bahn. Dass sie nicht so heißen darf, hat mit dem Umwelt­schutz zu tun. Die alte, rund­erneu­erte Groß­bee­ren­straße ist dadurch mehr­fach unter­bro­chen, und man muss weit­läu­fige, verwir­rende Umwege in alle Himmels­rich­tun­gen fahren, sowohl, wenn man mit dem Auto auf diese neue Schnell­straße gelan­gen will, als auch, wenn man sie mit dem Fahr­rad meiden will.

Wenn man sich dann endlich Groß­bee­ren nähert, führt die neu ausge­baute alte Straße kilo­me­ter­weit ganz dicht neben der noch neuer ausge­bau­ten neuen her: Stra­ßen­bau im fernen Osten und Stra­ßen­bau in Haupt­stadt­nähe zum direk­ten Vergleich unmit­tel­bar neben­ein­an­der.

In Berlin aber gibt es zwei Groß­bee­ren­stra­ßen. Die eine führt ordent­lich Rich­tung Groß­bee­ren, bis auch sie sich im dorti­gen Auto­bahn­ge­schlinge verstrickt. Die andere führt zum Kreuz­berg und erin­nert an eine Schlacht.

Der Kreuz­berg war schon seit der Eiszeit da – im Gegen­satz zu Berlins vielen Trüm­mer­ber­gen, die erst nach dem zwei­ten Welt­krieg entstan­den – und hat Berlins einzi­gen Wasser­fall. Der sieht voll­kom­men natür­lich aus, solange man sich nicht fragt, wo das Wasser herkommt.

Der Kreuz­berg steht im Vikto­ria­park, und der liegt in Kreuz­berg, und daran ist Napo­leon schuld. Der wurde nämlich nach schwe­rer Zeit endlich aus Preu­ßen verscheucht, und eine entschei­dende Schlacht fand in Groß­bee­ren statt. Zur Erin­ne­rung daran durfte Schin­kel ein großes, neugo­ti­sches Denk­mal auf den Berg setzen, das die soge­nann­ten Befrei­ungs­kriege erklärt. Es besteht aus dem damals hoch­mo­der­nen Mate­rial Guss­ei­sen und muss immer ordent­lich ange­stri­chen werden, damit es nicht rostet. Oben drauf befin­det sich ein Kreuz, und bald nannte man den Berg Kreuz­berg. Als die Stadt wuchs, nannte man dann den ganzen umge­ben­den Stadt­teil so, nur nicht den Park. Der Wasser­fall kam später hinzu, um das Denk­mal noch besser wirken zu lassen. Das meiste, was man nachts vom Kreuz­berg aus sehen kann, kam übri­gens auch später hinzu, um die Aussicht noch besser wirken zu lassen.

Für den Ort Groß­bee­ren selbst aber schuf Schin­kel einen Obelis­ken mit einer guss­ei­ser­nen Spitze, die an das Denk­mal auf dem Kreuz­berg erin­nert.

Was dann kam, erin­nert mich an die typi­sche Entwick­lung staat­li­cher EDV-Groß­pro­jekte, wie ich sie beruf­lich kennen­ler­nen musste. Bei den hiesi­gen Verkehrs­bau­wer­ken dürfte es auch ähnlich zuge­gan­gen sein.

Die Kirche in Groß­bee­ren war schon vor langer Zeit zerstört, und die paar Groß­bee­re­ner muss­ten immer zur Kirche nach Klein­bee­ren. Der Preu­ßi­sche König wollte nun drei Dinge zugleich tun: sich bei den Groß­bee­re­nern bedan­ken, ihnen wieder eine Kirche geben, damit sie schön fromm blie­ben, und zeigen, wie modern man damals war. Also sollte der Mode­ar­chi­tekt Schin­kel die Kirche entwer­fen, was er auch tat. Der Entwurf sah schön modern aus, weil neugo­tisch, wies stilis­tisch schon voraus auf den Kölner Dom, hatte aber eine ganz andere Form. Wer baut denn heute noch kirchen­för­mige Kirchen, wird er sich gefragt haben.

Der Rechen­kam­mer war der Plan viel zu teuer. Da die Baukos­ten unge­fähr vom Volu­men des Objek­tes abhän­gen, rech­ne­ten die Beam­ten einfach mit Hilfe der drit­ten Wurzel aus, um wieviel klei­ner man den Bau machen könnte, damit er im Kosten­rah­men bliebe. Schin­kel war wütend und schimpfte, dass er sich nicht für Garten­häus­chen­ar­chi­tek­tur hergebe. Jetzt schal­tete sich der König ein und drohte Schin­kel, einen Archi­tek­ten zu beauf­tra­gen, der ohne Murren für wenig Geld eine kirchen­för­mige Kirche bauen könnte.

Schin­kel wollte den Auftrag und machte einen neuen Entwurf, der so halb wie sein vori­ger Entwurf aussah, so halb wie eine konven­tio­nelle Kirche. Immer­hin hielt er sich an die uralte Regel, dass der Altar im Osten und demzu­folge der Eingang im Westen zu liegen hat. Es gibt schlim­mere Archi­tek­ten.

Und dann geschah, was bei Projek­ten geschieht, bei denen mehrere Inter­es­sen­ver­tre­ter mitmi­schen. Der Bürger­meis­ter bestand darauf, dass der Haupt­ein­gang im Süden läge, Rich­tung Orts­zen­trum. Der König bestand darauf, dass der Kirch­turm in einer Linie mit dem Obelis­ken, den es ja schon gab, stehen sollte. Der Pfar­rer wollte eine große Sakris­tei. Also kam der Turm in den Norden, nicht gegen­über vom Chor, und unten rein die Sakris­tei. Von außen gese­hen steht der Turm falsch, und wenn man den Eingang sucht, findet man ihn weder unter dem Turm, wie gewohnt, noch im Westen, wie gewohnt.

Für die Gemeinde hat das den Vorteil, dass man den Kopf nicht nach hinten drehen muss, wenn man wissen will, wer da wieder zu spät kommt, sondern nur nach rechts.

Durch Pfusch am Bau wurde das Dach nie rich­tig dicht, und die Orgel schim­melte vor sich hin. Es folgte eine Reihe von Repa­ra­tur­ver­su­chen und Umbau­ten. Weil die Kirche inzwi­schen zu klein war, nahm man dem Pfar­rer die Sakris­tei, brach eine Wand heraus und stellte unter der Orgel auch noch Bänke auf. Wer dort sitzt, schaut auf die Tür, nicht auf den Altar, und sieht sofort, wer zu spät kommt. Und wer zu spät kommt, sieht nicht, dass sich ein paar Köpfe drehen, sondern dass ihn alle anstar­ren.

Weil man aber schon mal am Umbauen war, vergrö­ßerte man die Chor­fens­ter hinter dem Altar erheb­lich und bildete dort die preu­ßi­schen Tugen­den ab. Das war natür­lich in der Zeit von Kaiser Wilhelm II., der inzwi­schen das Kreuz­ber­ger Denk­mal auf einen hohen Sockel hatte hieven lassen, damit man es besser sehen konnte. Oben ist man seit­her dem Mond noch näher.

Die neuen Fens­ter in Groß­bee­ren waren so groß und hell, dass man den Pfar­rer nur als Schat­ten­riss erken­nen konnte, was meines Erach­tens nicht viel ausmachte, weil er ja doch einen schwar­zen Talar trug; aber die Gemeinde litt offen­bar darun­ter.

Nach dem ersten Welt­krieg, als man zum sound­so­viel­ten Male repa­rierte und reno­vierte und der Jugend­stil schon wieder aus der Mode kam, entwarf man ganz im Geiste Schin­kels einen neo-neo-goti­schen Hoch­al­tar, der die lästi­gen Fens­ter weit­ge­hend verdeckte und zugleich zwei weitere Probleme löste: Im Besitz der Gemeinde befand sich ein mittel­al­ter­li­ches Gemälde aus der aller­ers­ten Kirche, und der Altar wurde um dieses Bild herum entwor­fen, um ihm wieder einen Ehren­platz zu geben. Man war sehr stolz darauf. Links und rechts vom Hoch­al­tar hängen Vorhänge, und der Raum dahin­ter wird als Sakris­tei genutzt. Als wir die Kirche besich­ti­gen durf­ten, machte die Aufpas­se­rin uns gern einen Vorhang auf, damit wir die Fens­ter bewun­dern konn­ten. Auf meine Frage, wie denn eigent­lich die ursprüng­li­chen Fens­ter von Schin­kel ausge­se­hen hätten, worüber das Heft­chen leider keinen Aufschluss gebe, sagte sie mit säch­si­schem Akzent: „Ich weeß das nicht. Ich orbeide hier erst drei Johre.“

Leider wurde das mittel­al­ter­li­che Bild gestoh­len. Ein Gemein­de­mit­glied malte es nach. Das Resul­tat ist pinsel­tech­nisch und farb­lich völlig dane­ben; aber weil der Maler sich in DDR-Zeiten für die Kirche und gegen das Regime einge­setzt hatte, ist ein Ersatz undenk­bar.

Der Obelisk aber war irgend­wann baufäl­lig. An seiner Stelle steht nur noch seine guss­ei­serne Spitze zwischen den Gräbern. Dafür steht im Orts­mit­tel­punkt nun ein genau hundert Jahre nach der Schlacht, also unter Wilhelm II., errich­te­ter Erin­ne­rungs­turm mit Museum und Aussicht. Er ist nicht auf Kirche und Obelisk bezo­gen und meis­tens geschlos­sen.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

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