Späte Rache

Was macht eigent­lich… Verena Becker? Im Moment sitzt sie in einer Zelle der Bundes­an­walt­schaft in Karls­ruhe, jener Stadt, in der auch der Grund für ihre erneute Fest­nahme liegt. 32 Jahre nach dem Mord an Bundes­an­walt Sieg­fried Buback, nur drei Kilo­me­ter entfernt, wurde ihr dort heute Abend der Haft­be­fehl für dieses Atten­tat ausge­spro­chen. Laut Poli­zei liegen neue Anhalts­punkte dafür vor, dass Becker in irgend­ei­ner Weise an der Aktion betei­ligt war. Damit bekommt ihr Leben eine drama­ti­sche Wendung, es ist nicht die erste.

Verena Becker steht für tausende junge Menschen, die in den 60er und 70er Jahren für eine gerech­tere Gesell­schaft auf die Straße gegan­gen sind. Als am 2. Juni 1967 Benno Ohnes­org bei einer Demons­tra­tion in Char­lot­ten­burg erschos­sen wurde, war sie gerade mal 14 Jahre alt, offen­bar hat sie das Erleb­nis stark geprägt. Sie schließt sich mili­tan­ten Linken an, und grün­det mit ihnen zusam­men im Januar 1972 die Bewe­gung 2. Juni. Einen Monat später folgt die erste Aktion, ein Bomben­an­schlag auf den Deutsch-briti­schen Yacht­club in Kladow, bei der ein Ange­stell­ter ums Leben kommt. Wegen dieses Anschlags erhält Verena Becker 1974 sechs Jahre Jugend­haft. Ein Jahr später wird sie zusam­men mit ande­ren Mitglie­dern frei­ge­presst und in den Jemen ausge­flo­gen. Als sie im Mai 1977 in Singen wieder verhaf­tet wird, kommt es zu einer Schie­ße­rei, bei ihr wird die Waffe gefun­den, mit der einen Monat zuvor Sieg­fried Buback ermor­det wurde. Mitt­ler­weile hat sie sich also der RAF ange­schlos­sen. Noch im selben Jahr bekommt sie eine lebens­lange Haft­strafe.

Nach etwa fünf Jahren, 1982, hat Verena Becker anschei­nend erkannt, dass sie auf einem Irrweg ist. Sie nimmt Kontakt zu ihrem bisher größ­ten Feind auf, dem Verfas­sungs­schutz. Dort soll sie auch zu dem Anschlag auf Buback ausge­sagt haben, aller­dings ohne eine eigene Tatbe­tei­li­gung zuzu­ge­ben. Als sie 1989 durch den Bundes­prä­si­den­ten Richard von Weiz­sä­cker begna­digt wird, nimmt kaum jemand Notiz davon. Seit­dem lebte sie in Zehlen­dorf unter ande­rem Namen als Heil­prak­ti­ke­rin, von ihren Ex-Genos­sen als Verrä­te­rin gemie­den.

Das Leben von Verena Becker verlief sehr tragisch, immer­hin wurde sie schon im Alter vom 19 Jahren zur Mittä­te­rin bei einem Mord. Zu dieser Zeit haben viele junge Linke nach einem Weg gesucht, den von den 68er Studen­ten begon­ne­nen Wider­stand gegen die bundes­deut­sche Poli­tik weiter­zu­ent­wi­ckeln. Viele sind dabei einen Weg gegan­gen, der vorher­seh­bar eine Sack­gasse wird. Welche Krite­rien dabei eine Rolle spiel­ten — Naivi­tät, Selbst­über­schät­zung, Grup­pen­zwang — ist heute nicht mehr nach­voll­zieh­bar. Erklär­bar aber ist, dass sich damals viele mit dem Wider­stand beschäf­tigt haben und auch aktiv geleis­tet haben (siehe Inter­view vom Till Meyer und Bommi Baumann). Schüsse auf Demons­tran­ten in Deutsch­land, der Krieg der USA in Viet­nam, das war Anfang der 70er die Reali­tät. Wer dage­gen aufbe­gehrte, wurde von großen Teilen der bundes­deut­schen Bevöl­ke­rung abge­lehnt (“Rübe ab!”). In dieser Situa­tion ist eine Radi­ka­li­sie­rung erklär­bar.

Der mili­tante Kampf von 2. Juni und RAF war ein Fehler und hat zu Dutzen­den Toten geführt. Die Linke wurde an ihm gespal­ten, er hat nur dem Staat etwas gebracht, der ihn nutzte, um den Über­wa­chungs­ap­pa­rat auszu­bauen. Dass Verena Becker damals vor über 30 Jahren diesen Weg einge­schla­gen hat, war natür­lich falsch. Mit ihrem Kontakt zum Verfas­sungs­schutz hat sie schon vor vor 27 Jahren gezeigt, dass sie das selbst so sieht. Welchen Grund gibt es also, sie heute wieder ins Gefäng­nis zu stecken und ihr wegen des Atten­tats von 1982 einen Prozess zu machen? Die Bundes­re­pu­blik sollte die blei­ernde Zeit ruhen lassen. Schon damals hatte man den Eindruck, dass Rache oft vor Recht geht und man hatte sich gewünscht, dass alte Nazi-Verbre­cher mit der glei­chen Entschlos­sen­heit verfolgt worden wären. Verena Becker hat zwölf Jahre im Gefäng­nis geses­sen und danach ihren Platz in der Gesell­schaft gefun­den. Dort sollte man sie auch belas­sen.

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Zufallstreffer

3 Kommentare

  1. Selt­sa­mer­weise wurden bei der Haus­durch­su­chung belas­ten­des Mate­rial gefun­den, selbst durch die Tele­fon­ab­hör­mass­nahme hat Sie sich belas­tet. Alles sehr , sehr merk­wür­dig! Ob wir das alles glau­ben soll­ten?

  2. Ja, darüber bin auch gestol­pert. Wieso sollte jemand, zudem noch unter Über­wa­chung, 32 Jahre altes, sich selbst belas­ten­des Mate­rial aufhe­ben?

  3. @Klaus:
    Im Spie­gel dieser Woche steht, dass sie am Tele­fon verkün­det hat, ihre Erin­ne­run­gen aufzu­schrei­ben, und die Cops dann einfach ein Weil­chen gewar­tet haben, bis sie diese einsam­meln können. Also hat sie es nicht aufge­ho­ben, sondern eher neu ange­legt — wenn es denn so war.

    @Aro:
    Ich denke zwar, dass es seine Rich­tig­keit hat, dass Mord nicht verjährt — aber ich teile deine Meinung! Sie hat eine lange Strafe abge­ses­sen und so lang­sam mal das Recht auf Norma­li­tät.
    Und bevor Kriti­ker laut werden: Ja, ich würde das auch sagen, wenn Verena Becker einer rechts­ra­di­ka­len Verei­ni­gung ange­hört hätte!

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