Schwarz-roter KalendA

Ach wir hatten viele Herren
Hatten Tiger und Hyänen
Hatten Adler, hatten Schweine
Doch wir nährten den und jenen
Ob sie besser waren oder schlimmer:
Ach, der Stiefel glich dem Stiefel immer
Und uns trat er
Ihr versteht: Ich meine
Dass wir keine andern Herren brauchen.
Sondern keine!

Dieses Gedicht des alten Meis­ters Brecht auf der Rück­seite bildet den Abschluss eines Taschen­ka­len­ders, der einmal Pflicht­lek­türe war in der anar­chis­ti­schen Szene, erst West-Berlins und der alten Bundes­re­pu­blik, später auch im wieder­ver­ei­nig­ten Groß­deutsch­land. Er steckte in etli­chen Arsch­ta­schen und beglei­tete die Akti­vis­tin­nen und Akti­vis­ten durch den revo­lu­tio­nä­ren oder frus­trie­ren­den Alltag. Er war in vieler­lei Hinsicht eine Hilfe.

Zum einen war es eben ein Kalen­der, in den man seine Termine rein­schrei­ben konnte. „Aber nicht die konspi­ra­ti­ven!“ war mal in einer Ausgabe zu lesen. Dazwi­schen unend­lich viele winzige Comics von Seyfried, ©TOM und vielen ande­ren Künst­lern aus der linken und links­ra­di­ka­len Gesell­schaft, Zitate von revo­lu­tio­nä­ren Klas­si­kern, aus Punk­lie­dern oder aktu­el­len Demo-Paro­len. Dazu zahl­rei­che histo­ri­sche Daten.

Vor allem lieferte der Schwarz-rote KalendA, zusam­men­ge­bas­telt und heraus­ge­ge­ben von Ralf Land­mes­ser, viele Kontakt­adres­sen: Anar­chis­ti­sche und andere links­ra­di­kale Initia­ti­ven, Archive, Zeitun­gen, Info­lä­den, Betriebe, Anti-AKW‑, Antifa‑, Gewerk­schafts- und Umwelt­grup­pen. Der Kalen­der von 1996 listet Hunderte von Adres­sen auf. Da das Inter­net damals erst noch im Entste­hen war, gab es kaum solch umfang­rei­che Samm­lun­gen.

Wie auch in allen Jahren davor stan­den auch im 96er Kalen­der inhalt­li­che Arti­kel, Schwer­punkt dieser Ausgabe war die Geschichte des Anar­chis­mus in Tsche­chien und der Slowa­kei. Grup­pen wie die Schwar­zen Radler, das Büro für anar­chis­ti­sche Diskus­sion oder die Initia­tive Freie Heide wurden vorge­stellt, es gab einen Wegwei­ser durch den anar­chis­ti­schen Blät­ter­wald. Hier alles aufzu­lis­ten wäre viel zu viel.

Der „offi­zi­elle“ Name des Kalen­ders war „Schwarz-roter Kain-KalendA“, wobei das hintere A möglichst im Kreis stand. Der Name nimmt Bezug auf den Kain-Kalen­der, den der anar­chis­ti­sche Schrift­stel­ler Erich Mühsam für 1912 und 1913 heraus­ge­ge­ben hatte.

Der Schwarz-rote erschien von 1983 bis 2000 und wenn man sich heute mehrere von ihnen anschaut, bekommt man eine Über­sicht darüber, was es damals vor 20 bis 30 Jahren für poli­ti­sche Kämpfe gab, wie viel­fäl­tig und breit der linke Wider­stand orga­ni­siert war. Man merkt, dass heute vieles davon fehlt, weil es immer weni­ger Radi­kale gibt, also dieje­ni­gen, die an die Wurzel gehen wollen. So wie sie fehlt auch der Kalen­der. Sicher ist heute vieles ins Inter­net abge­wan­dert, das natür­lich viel aktu­el­ler sein kann. Trotz­dem drückte der Schwarz-rote KalendA auch ein Lebens­ge­fühl aus.

print

Zufallstreffer

Berlin

Mehr Mut zum Hochhaus

Früher mit ihren Miets­ka­ser­nen verpönt, erfreuen sich Grün­der­zeit­vier­tel heute großer Beliebt­heit. Was kann Berlin daraus für den moder­nen Städ­te­bau lernen? Städte haben in Deutsch­land keinen guten Ruf. In Mittel­al­ter und begin­nen­der Neuzeit machte Stadt­luft noch […]

Weblog

Der Gefangene

Ich hab’s mein Lebtag nicht gelernt, mich frem­dem Zwang zu fügen. Jetzt haben sie mich einka­sernt, von Heim und Weib und Werk entfernt. Doch ob sie mich erschlü­gen: Sich fügen heißt lügen! Ich soll? Ich […]

Orte

Mittelalter-Kulisse

Versteckt in einem Gewer­be­ge­biet steht in Babels­berg eine komplette mittel­al­ter­li­che Straße in London – als Kulisse. Anders als die “Berli­ner Straße”, in der zahl­rei­che Kino­filme des Studios Babels­berg gedreht wurden, kennt kaum jemand dieses Kulis­sen­dorf. […]

1 Kommentar

  1. Dieser KALENDA ist voll­kom­pa­ti­bel zu 2024. Und wir haben noch einen Stapel davon.

    Das α‑Tier RABE ist unser Vogel des Jahres 2024

    Der ziert, wie oben sicht­bar, den bombi­gen Schwarz­ro­ten KALENDA des Jahres 1996, der voll­kom­pa­ti­bel zu 2024 ist.

    Erschre­ckend aktu­el­ler Inhalt, grunz­geile Grafik, mit Anhang von Retro-A-Aders­sen (da könnt ihr nach­se­hen, wer den länge­ren Atem hatte / hat.
    Wasser­wer­fer­fes­ter Einband und Faden­bin­dung garan­tie­ren ganz­jäh­ri­gen Stra­pa­zier­ge­brauch, nicht nur für Klima-Kleber*innen.

    Drin­nen Arti­kel, Gedichte, Selbst­dar­stel­lun­gen und die Geschichte des Tsche­chisch-Slova­ki­schen Anar­chis­mus bis 1996.
    Inhalt zu finden hier http://www.schwarzrotbuch.de/kalenda/kalindex.htm

    Für 10 EUroh Spen­den­vor­schlag zu Grunzs­ten des nun 35jährigen A‑LADEN BERLIN, kriegt ihr das @ntique Teil per Post frei Haus, samt gratis-Sticker.

    Über­wei­sungs­be­leg: Betreff “SpendA KALENDA 96–23” mit Post­adresse schi­cken an A‑Laden[ätz]free.de

    Konto: FDDA (Freunds der direk­ten Aktion – Abkür­zung reicht)
    DE93 1001 0010 0489 7671 07
    Post­bank (leider noch)

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*