Einen Gedenkort für Wilfried Israel!

Wilfrid Israel rettete Zehn­tau­sende jüdi­sche Kinder: Warum gibt es in Berlin keinen Gedenk­ort? Vor 125 Jahren wurde der jüdi­sche Pazi­fist und Unter­neh­mer gebo­ren. In Berlin fehlt bislang ein würdi­ger Gedenk­ort. Doch es gibt schon eine Idee.

Dem Berli­ner Unter­neh­mer Wilfrid Israel gelang es, alle 500 jüdi­schen Mitar­bei­ter seines Unter­neh­mens und deren engste Ange­hö­rige vor der NS-Rassen­po­li­tik zu retten. In seiner Heimat­stadt Berlin ist er weitest­ge­hend unbe­kannt. Höchste Zeit, ihn dem Verges­sen zu entrei­ßen!

Vor 125 Jahren, am 11. Juli 1899, wurde Wilfrid Israel in London gebo­ren. Als Spross einer Berli­ner Kauf­haus­fa­mi­lie (Kauf­haus N. Israel, Span­dauer Straße) wuchs er in behü­te­ten, jedoch nicht problem­lo­sen Verhält­nis­sen auf.
Als über­zeug­ter Pazi­fist pflegte er den Kontakt zu Albert Einstein und Maxi­mi­lian Harden. Als er den Kriegs­dienst im Ersten Welt­krieg verwei­gern wollte, verhin­der­ten seine Eltern die Einbe­ru­fung mit einem ärzt­li­chen Attest. Zum Ende dieses Kriegs herrschte auch in Berlin eine große Hungers­not, und der gerade 20-jährige Wilfrid orga­ni­sierte mit der Pädago­gin und Frie­dens­ak­ti­vis­tin Elisa­beth Rotten die Quäker­spei­sung für die Berli­ner Jugend.

Gern wäre er Künst­ler, viel­leicht Bild­hauer gewor­den, aber er musste 1921 ins Geschäft seines Vaters Bert­hold eintre­ten. Statt einer Univer­si­täts­aus­bil­dung absol­vierte er eine Lehre im Kauf­haus.
Eine Welt­reise mit den Empfeh­lungs­schrei­ben des Vaters an poten­zi­elle Geschäfts­part­ner sollte ihm geschäft­li­che Kontakte erschlie­ßen. Aller­dings inter­es­sier­ten ihn vor allem die sozia­lis­tisch-jüdi­schen Expe­ri­mente in Russ­land und Paläs­tina, die asia­ti­sche Kunst und Mahatma Gandhi.

Dennoch fügte er sich den fami­liä­ren Erwar­tun­gen. 1926 wurde er von seinem Vater Bert­hold zum Perso­nal­chef gemacht. In dieser Funk­tion führte Wilfrid Israel Perso­nal­ge­sprä­che; nun fand der junge Lift­boy genauso viel Gehör wie der lang­jäh­rige Abtei­lungs­lei­ter. Ein Betriebs­psy­cho­loge musste einge­stellt werden, um auf die Unzu­frie­den­heit lang­jäh­ri­ger Mitar­bei­ter einzu­ge­hen, die nicht verste­hen konn­ten, warum sie gegen­über den jünge­ren nicht mehr privi­le­giert werden soll­ten.

Bereits früher gab es im Unter­neh­men viel­fäl­tige soziale Einrich­tun­gen, aber nun grün­dete die Firma Israel noch eine private Handels­schule, an der die Absol­ven­ten alle Herstel­lungs­schritte der verkauf­ten Ware erlern­ten. Diese ganz­heit­li­che Ausbil­dung in Webe­rei, Stoff­druck, Schnei­de­rei und zum Kauf­mann war einzig­ar­tig in Deutsch­land.

Zugleich blieb Wilfrid Israel Pazi­fist und Kunst­mä­zen. Mit groß­zü­gi­gen Spen­den unter­stützte er sowohl das Anti-Kriegs-Museum seines Freun­des Ernst Fried­rich als auch das polnisch-russi­sche Reise­thea­ter Habima. Erste­res zeigte vor allem das Elend des Kriegs. Aus Letz­te­rem wurde – wer konnte das ahnen? – später das israe­li­sche Natio­nal­thea­ter Habi­mah.

“Visa-Nothilfe” unter strengs­ter Geheim­hal­tung

Zum Beginn der 1930er-Jahre wurden die anti­se­mi­ti­schen Anfein­dun­gen immer bedroh­li­cher. 1933 grün­dete Wilfrid Israel jüdi­sche Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen und arbei­tete auch für selbige. Mithilfe des engli­schen Geheim­dienst­of­fi­ziers Frank Foley besorgte er Visa für die Ausreise jüdi­scher Berli­ner. Das Kauf­haus hatte etwa 2.000 Mitar­bei­ter, davon 500 jüdi­sche. Bis auf eine Verkäu­fe­rin, die mit einem “Arier” verhei­ra­tet war (dem ein Exil in Schwe­den lieber gewe­sen wäre), konnte er so allen jüdi­schen Mitar­bei­tern helfen. Im Übri­gen beka­men sie alle für den Neustart in England auch zwei Jahres­ge­häl­ter.

Da etwa 20 bis 30 Prozent der Mitar­bei­ter in einer Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Betriebs­zelle orga­ni­siert waren, musste die “Visa-Nothilfe” unter strengs­ter Geheim­hal­tung statt­fin­den. Natür­lich erzähl­ten die Betrof­fe­nen aber Freun­den und Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen davon. So erreich­ten Wilfrid Israel stän­dig Anfra­gen zu Visa, aber er musste sich der abso­lu­ten Verschwie­gen­heit sicher sein, um helfen zu können.
Geheim­nisse gab es auch in seinem Privat­le­ben. Sein Onkel Hermann hatte sich 1905, als Wilfrid fünf Jahre alt war, das Leben genom­men, um einer Erpres­sung wegen des Para­gra­fen 175 zu entkom­men. Niemand in der Fami­lie sprach darüber. Befreun­det mit Chris­to­pher Isher­wood (einem briti­schen Schrift­stel­ler, der von 1929 bis 1933 in Berlin lebte und das homo­se­xu­elle Leben dort schil­derte) war auch Wilfrid auf Diskre­tion bedacht. Für den Schrift­stel­ler war diese Haltung unver­ständ­lich. So fand Wilfrid Israel als etwas blasier­ter Lebe­mann Eingang in dessen Roman “Good­bye to Berlin” in der Rolle des Kauf­haus­be­sit­zers Bern­hard Land­auer. In Anleh­nung an dieses Buch entstand übri­gens der Film “Caba­ret” mit Liza Minelli und Joel Grey aus dem Jahr 1972.

Im Verlauf des Jahres 1938 musste Israel sein Kauf­haus an ein “arisches” Unter­neh­men veräu­ßern. Er verkaufte an die Emil Köster AG, ein Unter­neh­men im Besitz einer ameri­ka­ni­schen Holding, hinter der sich Jakob Michael, ein 1931 bereits nach Amerika ausge­wan­der­ter jüdi­scher Berli­ner, verbarg, was den deut­schen Stel­len nicht bekannt war.

Wilfrid Israel siedelte endgül­tig, kurz vor dem Über­fall der Deut­schen Wehr­macht auf Polen, im Sommer 1939 nach London um. Bereits aus Berlin hatte er den briti­schen Geheim­dienst mit Infor­ma­tio­nen über die Situa­tion der Juden in Deutsch­land versorgt und auf die Aufnahme von Zehn­tau­sen­den Flücht­lin­gen gedrängt, war aber auf Ableh­nung gesto­ßen.

Bera­ter der briti­schen Regie­rung

Von London aus arbei­tete Wilfrid nun als Bera­ter briti­scher Regie­rungs­stel­len und war das unsicht­bare Binde­glied zu jüdi­schen Orga­ni­sa­tio­nen. Sein ganzes Stre­ben galt nun der Rettung deut­scher Juden, und als dies nicht glückte, traf er mit den Quäkern und briti­schen Juden Vorbe­rei­tun­gen für die Verschi­ckung jüdi­scher Kinder zu engli­schen Pfle­ge­el­tern. So war er an der Rettung Zehn­tau­sen­der jüdi­scher Kinder nach England maßgeb­lich betei­ligt.

1943 erhielt er von der Jewish Agency in London den Auftrag, sich von Lissa­bon aus um die Situa­tion der in Portu­gal und Spanien gestran­de­ten Juden zu kümmern. Er konnte 750 Visa vertei­len, deren neue Besit­zer im Februar 1944 endlich mit dem Damp­fer “Nyassa” Haifa erreich­ten.

Auf dem Rück­flug von Lissa­bon Rich­tung England saß Wilfrid Israel im Flie­ger einer briti­schen Flug­ge­sell­schaft. Der Flug endete am 1. Juni 1943 tödlich über der atlan­ti­schen Bucht Biskaya, die Maschine wurde abge­schos­sen von Jägern der Deut­schen Luft­waffe. Zu den Passa­gie­ren gehörte auch der engli­sche Schau­spie­ler Leslie Howard, der neben vielen Anti-Nazi-Filmen auch eine der Haupt­rol­len in “Vom Winde verweht” spielte.

Seine umfang­rei­che Ostasia­ti­sche Kunst­samm­lung vermachte Wilfrid Israel dem klei­nen Kibbuz Haso­rea. Seine Fami­lie suchte nach dem Krieg den Chef­kas­sie­rer des Kauf­hau­ses N. Israel, um den zurück­ge­blie­be­nen (“arischen”) Mitar­bei­tern die Betriebs­ren­ten über­wei­sen zu können. Das Kauf­haus der Fami­lie Israel war bereits 1943 voll­stän­dig den Bomben zum Opfer gefal­len.

In Berlin erin­nert skan­da­lö­ser Weise kaum etwas an Wilfrid Israel. Wäre es nicht wunder­bar, wenn man seine Biogra­fie (wer möchte sie verle­gen?) auf einer Bank auf einem (noch zu finden­den) Wilfrid-Israel-Platz lesen könnte? Wie wäre es zum Beispiel mit dem Marx-Engels-Forum, direkt gegen­über seinem Kauf­haus? Auf einer Gedenk­ta­fel könnte man seinen Freund Albert Einstein zitie­ren: “Noch nie in meinem Leben bin ich mit einem so edlen, so star­ken oder selbst­lo­sen Wesen wie Wilfrid Israel in Berüh­rung gekom­men.”

Michael Thomas Röblitz

Collage: Ophir Baer / CC BY-SA 4.0

[ Dieser Text erschien zuerst in der Berli­ner Zeitung und steht unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 ]

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