Der Europaplatz vor dem Hauptbahnhof ist heute einer der belebtesten Orte Moabits. Auch schon in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wuselten dort täglich viele tausend Menschen durcheinander. Zwischendurch aber lag dieser Ort fast 30 Jahre lang still und einsam am Rande der halben Stadt.
Der Lehrter Bahnhof
An der Stelle, an der heute einer der größten Bahnhöfe Europas steht, befand sich einst der Lehrter Bahnhof. Auch er war ein mächtiges Gebäude, das seine Vorderfront zur Spree hin hatte, zum Washingtonplatz. Seinen Namen trug er, weil hier die Züge der Lehrter Bahn nach Niedersachsen verkehrten. Der Lehrter Bahnhof war ab 1868 einer von acht Berliner Kopfbahnhöfen, die im 19. Jahrhundert gebaut wurden und immer außerhalb der Stadtmauer endeten. Er wurde als Ersatz für den nahen Hamburger Bahnhof errichtet, der 1846 gebaut worden war, aber aufgrund der rasant wachsenden Stadt schnell zu klein wurde.
Zur Spree hin gab der Lehrter Bahnhof mit einer hohen Fassade im Stil der italienischen Renaissance an, integriert war ein verglaster Bogen, der Licht in die 188 Meter lange Bahnhofshalle ließ. Der Haupteingang befand sich an der östlichen Seite zum Humboldthafen hin.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Lehrter Bahnhof zwar beschädigt, konnte aber seinen Betrieb nach wenigen Monaten Unterbrechung wieder aufnehmen. 1951 wurde er dann für den Reiseverkehr geschlossen, nachdem die DDR die Außengrenzen nach West-Berlin geschlossen hatte. Zwischen 1957 und 1959 ist der alte Fernbahnhof abgerissen worden.
Der Lehrter Stadtbahnhof
Quer zum Lehrter Bahnhof existierte ab 1882 auch der Stadtbahnhof, der am nördlichen Ende an der Invalidenstraße quer über die Fernbahngleise des Lehrter Bahnhofs errichtet wurde. Die S‑Bahn fuhr damals auf der neu gebauten Stadtbahntrasse zwischen Charlottenburg und Friedrichshain eben auch durch Moabit und erhielt so einen Anschluss an den Lehrter Fernbahnhof.
Nach Gründung der DDR war die Station ein Grenzbahnhof. Zwar fuhren die Züge noch ungehindert weiter Richtung Osten, allerdings gab es spezielle Lautsprecherdurchsagen: Fahrgäste, die lieber nicht in die Hände von ostdeutschen Polizisten oder Geheimdienstler geraten wollten, sollten den Zug verlassen.
Die Verbindung bestand selbst nach dem Mauerbau weiter. Am Lehrter Bahnhof wechselten die Zugführer, die dann noch eine Station bis zum Bahnhof Friedrichstraße weiterfuhren. Dort endete die Strecke und die Züge fuhren wieder zurück nach West-Berlin. Der Bahnhof Friedrichstraße war während dieser Zeit eine Grenzübergangsstelle. Der Bahnsteig Richtung Westen war von Rest des Bahnhofs baulich abgeriegelt, DDR-Bürger konnten ihn nicht erreichen.
Zu Mauerzeiten wurde der Lehrter Stadtbahnhof durch seine Grenzlage kaum noch genutzt. Zur Invalidenstraße hin existierte aber noch eine Halle der damaligen Bundespost. Sie diente als Paketbahnhof.
Mit dem Baubeginn für den neuen Hauptbahnhof wurde der Lehrter Stadtbahnhof nach und nach abgerissen.
Der Hauptbahnhof
Die oberen Gleise des 2006 eröffneten Hauptbahnhofs verlaufen einige Meter weiter südlich von der alten Stadtbahntrasse. So konnte der Bahnhof zeitweise noch parallel zum laufenden Bahnbetrieb errichtet werden. Anfangs war die Deutsche Bahn noch auf die Forderungen von BürgerInnen und Vereinen eingegangen, den Bahnhof zumindest zusätzlich noch „Lehrter Bahnhof“ zu nennen. Doch irgendwann wurde dieser Zusatz heimlich gestrichen. Heute ist der alte Name fast in Vergessenheit geraten.
Mittlerweile ist der aus viel Stahl und Glas bestehende Hauptbahnhof ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, der jeden Monat von rund 10 Millionen Menschen genutzt wird. Das war nach seiner Eröffnung noch anders. Er stand allein im Brachland und war nur mit der Fern- und S‑Bahn erreichbar. Wie in Berlin üblich verzögerte sich die Anbindung an andere Verkehrsmittel. So erreichte die Straßenbahn nicht wie geplant im Jahr 2002 den Europaplatz, sondern erst 2014. Und der U‑Bahn-Anschluss zur Linie U5 ist erst 2020 fertiggestellt worden. Zuvor gab es seit 2009 nur eine kurze Strecke zum Brandenburger Tor.
Der Hauptbahnhof ist ein Kreuzungsbahnhof. Mit der Nord-Süd-Verbindung im Untergrund, den Regional‑, S- und U‑Bahnen gibt es 14 Gleise. Dazu 54 Rolltreppen und 16 Aufzüge. Rundherum wurde er mittlerweile durch Neubauten eingerahmt. Während die weite Fläche zur Spree hin gerne für Demonstrationen oder kleine Märkte genutzt wird, ist der Ausgang Richtung Europaplatz / Invalidenstraße zu jeder Zeit von Fußgängergewusel bestimmt. Hier fahren die Straßenbahnen und Busse ab, hier geht es auch in die Wohnviertel der Lehrter Straße und der Zille-Siedlung. Nur sehr langsam kommt der Hauptbahnhof in Moabit an. Das liegt auch daran, dass es nur wenige Wohnhäuser in der unmittelbaren Umgebung gibt.
Schreibe den ersten Kommentar