Als Junge im Gaykino

Ich war 14 oder 15 Jahre alt, als ich merkte, dass mich Jungs mehr inter­es­sie­ren als Mädchen. So um das Jahr 1977 herum, war es für einen jungen Schwu­len nicht leicht, Kontakte zu finden. Also stro­merte ich herum. Ich hatte gehört, dass es rund um den Stutt­gar­ter Platz Sexki­nos gibt, in die man einfach rein gehen könnte. Dort wurden natür­lich Pornos mit Frauen gezeigt, aber ich speku­lierte darauf, dass darin auch nackte Männer zu sehen sein würden. In der Kant­straße kam ich an einem blick­dich­ten Laden vorbei, der anschei­nend für schwule Männer war. Man konnte von außen rein schauen, gleich hinter dem Eingang waren Kabi­nen­tü­ren zu sehen. In diesem Moment ging eine auf, ein Mann kam heraus und direkt auf mich zu. Ich trat zur Seite, er grinste mich an und ging weiter. Seine Kabi­nen­tür blieb offen stehen.

Jetzt hätte ich einfach rein gehen könn­ten, aber dafür reichte mein Mut noch nicht. Zumal es mir pein­lich war, dass Passan­ten genau sehen konn­ten, dass ich durch den Faden­vor­hang in den Laden schaute. Auf keinen Fall soll­ten sie mich auch noch beim Betre­ten des Laden sehen. Also ging ich ein paar Meter Rich­tung Krumme Straße, drehte dann wieder um. Ich war aufge­regt, ängst­lich, gleich­zei­tig aber faszi­niert. Was würde mich da drin erwar­ten? Meine Fanta­sie ging mit mir durch. Gäbe es hinter den Türen Grup­pen von nack­ten Männern, die es mitein­an­der trei­ben? Dürfte ich einfach nur zuschauen oder müsste ich mitma­chen? Dafür fühlte ich mich nicht bereit. Oder sitzen dort etwa fins­tere Typen, die nur auf einen Frisch­ling wie mich warte­ten und mich dann verge­wal­ti­gen? Aber viel­leicht ist da auch mein Traum­prinz drin, der wunder­schön aussieht, mich zärt­lich umarmt, mich küsst und lang­sam auszieht? Ich würde es nie erfah­ren, wenn ich es nicht versu­che.

Von außen konnte ich sehen, dass in der Kabine noch ein Fern­se­her lief, offen­bar hatte der Mann zu viel Geld einge­wor­fen und war fertig, bevor der Film vorbei war. Mein Herz klopfte wie verrückt, aber die Neugier siegte. Nun war ich schon bis zu diesem Punkt gekom­men, jetzt wollte ich es auch wissen.
Vorsich­tig betrat ich den Laden. Eine Kontrolle gab es nicht, dabei war ich noch längst nicht voll­jäh­rig. Um mich herum war es halb­dun­kel, aus mehre­ren Kabi­nen hörte ich Geräu­sche, Stöh­nen vor allem, aus den Filmen, die dort liefen. Weiter hinten sah ich sowas wie einen Kino­raum, aber so weit rein traute ich mich nicht.

Schnell ging ich in die offene Kabine und schloss die Tür hinter mir. Da lief auf dem Schwarz-weiß-Moni­tor der erste schwule Porno, den ich je sah. Ansons­ten war es recht dunkel und es roch merk­wür­dig. Anstatt mich erst­mal in der Kabine umzu­schauen, sah ich nur auf den Bild­schirm und wurde sofort erregt. So bemerkte ich nicht, wie durch ein Loch aus der Neben­ka­bine eine Hand kam, die mich an der Hose berührte und versuchte, meinen Reiß­ver­schluss zu öffnen. Ich bekam den Schreck meines Lebens, ging sofort einen Schritt nach hinten und starrte auf das Loch. Die Hand verschwand, statt­des­sen erschien nun das Gesicht eines älte­ren Mannes. Er legte dann zwei Finger in das Loch, mir war damals nicht klar, was diese Geste zu bedeu­ten hatte. Der Schreck aber hatte meine Erre­gung auf Null runter gedreht. Ich schloss die Tür auf und machte, dass ich raus kam.

Erst unter­wegs merkte ich, dass ich die Erfah­rung, von einem ande­ren so berührt zu werden, gar nicht so schlecht fand. Ich nahm mir vor, demnächst wieder dort hinzu­ge­hen und dann den nächs­ten Schritt zu machen. So kam es auch. Aller­dings fand ich kurz danach meinen ersten Freund und der Laden in der Kant­straße war für mich Geschichte. Irgend­wann war er dann geschlos­sen, heute ist darin ein ganz norma­les Geschäft.

Ähnli­che Arti­kel:
Sex in the City
Hete­ros im Gay-Kino

print

Zufallstreffer

Spaziergänge

Seelengebinde

Der Anti­fa­schis­mus der Gedenk­ta­feln, der Staats- und Büro­kra­tie­an­ti­fa­schis­mus ist nun out. Der Staats­ap­pa­rat nimmt uns das Erin­nern nicht mehr ab. Das Volk vergisst vor sich hin. Jetzt zählen beinah nur noch die priva­ten Anknüp­fun­gen für […]

Weblog

“Von”

Wenn ich mich recht erin­nere, wurde doch Ende 1918 die Monar­chie in Deutsch­land abge­schafft. Oder? Wenn man sich jedoch auf dem Zeit­schrif­ten­markt umschaut, hat man den Eindruck, noch immer in einem von Adli­gen regier­ten Land […]

Berlin

Gözleme Straße

Im Januar dieses Jahres erschien im Stadt­p­lan­dienst von Google plötz­lich der Eintrag “Adolf-Hitler-Platz”. Einst hieß der Theo­­dor-Heuss-Platz in Char­lot­ten­burg wirk­lich mal so, aber das war lange vor Google-Zeiten. Wie es zu dem Eintrag kam, konnte […]

6 Kommentare

  1. Schön geschil­dert; die ersten Schüch­ter­nen Erfah­run­gen und die sich stei­gernde aufwal­lende Lust eines JUNGEN; der in das Leben als schwu­ler Mann eintritt.

  2. Unge­fähr auf diese Art und Weise mit Besu­chen in Porno­ki­nos für Männer,jedoch schon etwas älter mit 18 Jahren habe ich auch meine ersten Schritte unter­nom­men, meine innigs­ten in mich tragen­den Wünsche real in Erfah­rung zu brin­gen.
    Sehr anschau­lich gefühls­be­tont die Storie geschrie­ben !.

  3. meinen ersten Berüh­rungs-Kontakt mit einem frem­den Mann hatte ich im fast glei­chen Alter in einer “Klappe”. Das waren damals recht­eckige gemau­erte Häuser oder welche aus Blech, nur mit einem Eingangs­sichtschutz und Piss­rinne rundum ausge­stat­tet. Die “Prall­wand” ca. 1,6 m hoch schwarz geteert, darüber hell gestri­chen. In keinen dieser Pissoirs funk­tio­nierte je das Licht. Die einzi­gen Licht­strah­len kamen durch ein Fens­ter­loch oder einen Spalt des für Lüftung sorgen­den abge­setzt höhe­ren Daches. Unbe­grün­dete Verbote und Heim­lich­kei­ten wecken bei eine geilen Jüng­ling beson­de­res Inter­esse an den aufge­kom­me­nen Trie­ben. 2oder 3 weite­ren Erleb­nis-Schil­de­run­gen wären eigen­stän­dige Geschich­ten.

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*