Sex in the City

Manche Parks in Berlin haben zwei Leben. Das eine spielt sich tags­über ab, wenn die Leute auf dem Rasen liegen, die Kinder auf den Spiel­plät­zen toben und die Rent­ner auf den Bänken sitzen. Wenn es dämmert, kommen kurz die Hunde­be­sit­zer mit ihren Kläf­fern.
Sowie es aber dunkel wird, beginnt das Leben Nummer zwei. Einzelne Männer, selten auch mal Pärchen, spazie­ren über die Wege im Inne­ren des Parks. Wer sie längere Zeit beob­ach­tet, kann in ihren Wegen ein Muster erken­nen, manche haben eine Stre­cke, die sie immer wieder ablau­fen. Dann blei­ben sie an bestimm­ten Stel­len stehen, auch mal für eine Vier­tel­stunde, alles sieht sehr gechillt und entspannt aus.

Dabei sind diese Spazier­gän­ger meis­tens sehr wach: Sie checken jeden, der an ihnen vorbei kommt, mustern ihn von oben bis unten. Wenn er ihnen gefällt, bleibt der Blick im Gesicht des ande­ren hängen. Denn der hat den Check genauso gemacht und sein Gesichts­aus­druck signa­li­siert, ob Inter­esse vorhan­den ist.
Dieses Inter­esse bezieht sich auf Sex. Ein Lächeln, ein kurzes Gespräch, manch­mal auch gleich die beiden Worten: “Haste Lust?”
Natür­lich haben sie Lust, deshalb sind sie hier, auch wenn sie nach außen sehr unbe­tei­ligt tun. Manch­mal stel­len sie sich eng anein­an­der, berüh­ren den ande­ren an der Hose, massie­ren ein biss­chen seine Beule. Spätes­tens dann geht es ein paar Meter weiter ins Gebüsch. Dort werden die Hosen aufge­macht und beide tun, wozu sie Lust haben.

Manch­mal kommen andere dazu, zum Zuschauen. Meis­tens wird das akzep­tiert, und wenn nicht, gibts eine entspre­chende Bemer­kung. Es kommt auch vor, dass sich andere betei­li­gen wollen, und dann sieht man mal drei, vier, fünf Männer beim halb­öf­fent­li­chen Sex.
Wenn man fertig ist, sagt man sich meis­tens nur ein kurzes “Tschüss” und geht dann befrie­digt seiner Wege. Die Ordent­li­chen entsor­gen ihre benutz­ten Taschen­tü­cher und even­tu­ell benutzte Kondome im nächs­ten Papier­korb. Viele lassen sie leider auch einfach liegen.
Selten steht man danach noch ein paar Minu­ten zusam­men und redet ein biss­chen, noch selte­ner werden mal Tele­fon­num­mern getauscht. Fast immer bleibt es anonym.

Die nächt­li­chen Besu­che im Park sind für manche Männer die einzige Gele­gen­heit, um Sex zu haben. Nicht jeder steht auf die anony­men Kontakte, aber sie sind besser als nichts. Andere finden diese Form gerade span­nend, einfach weil man immer auf andere Typen von Menschen trifft.
Dabei ist so mancher von denen, die da durch die Nacht crui­sen, nicht mal schwul. Einige wollen nur mal was ande­res auspro­bie­ren, sind viel­leicht bise­xu­ell. Und sicher wartet so manches Mal zuhause die Ehefrau. Der Mann von heute macht beim Ziga­ret­ten­ho­len noch eine Schlen­ker durch den Park…

Leider gibt es auch manche, vor allem ältere Männer, für die diese Begeg­nun­gen im Park sogar die einzi­gen mensch­li­chen Kontakte zu ande­ren Schwu­len sind. Denen geht es weni­ger um Sex, sie können stun­den­lang rumste­hen und sich unter­hal­ten. Dage­gen kann es ande­ren mit dem Sex gar nicht schnell genug gehen. Sie kommen mit dem Fahr­rad an, schlei­chen in kurzer Sport­hose um die Warten­den herum. Manch ein Exem­plar setzt sich auch mal nackt auf eine Bank und lässt sich von ande­ren verwöh­nen. Knapp beklei­dete oder nackte Männer finden meist schnell einen Sexpart­ner.

Die Klien­tel in den betref­fen­den Parks unter­schei­det sich nicht wesent­lich, aller­dings gibt es an manchen Orten eher junge Schwule, woan­ders über­wie­gen die Leder­kerle, aber das ist jeweils nur ein Teil der Crui­ser, die dort herum­hüp­fen.
Neben den etwa zehn Parks, in denen man fündig werden kann, gibt es immer wieder andere Orte, manch­mal nur für wenige Jahre. Das alte Kaser­nen­ge­lände der Sowjets war ein solcher Ort, ein ehema­li­ges Kran­ken­haus-Gelände oder eine eins­tige Fabrik. Derzeit sind die meis­ten von denen im östli­chen Teil der Stadt.
Es kann sehr span­nend sein, zwischen oder auch in den alten Gebäu­den herum­zu­lau­fen, in den längst verlas­se­nen Räumen auf Gleich­ge­sinnte zu stoßen oder ande­ren zuzu­schauen, wenn man darauf steht. Das gilt auch für den Grune­wald, wo es eben­falls ein Crui­sing-Area gibt, mit Auto­bahn­an­schluss. Dort trifft man in warmen Sommer­näch­ten auch mal ein paar Dutzend Männer.

Bei all der Faszi­na­tion, die diese Form von anony­mem Sex auf manche ausübt — sie ist natür­lich nicht unge­fähr­lich. Es gibt immer wieder mal Über­griffe von Macker­grup­pen, die ihre Homo­pho­bie austo­ben, indem sie einzelne Crui­ser über­fal­len und zusam­men­schla­gen. Aller­dings sind nicht alle Schwule wehr­los, die dort nachts durch die Büsche strei­fen. So manches Mal schon trugen die Angrei­fer ein blaues Auge davon, weil sie dach­ten, “Schwuch­teln klat­schen” wäre unge­fähr­lich. So ist es aber nicht immer, denn wer bewusst in dunkle Parks geht, hat oft etwas dabei, um sich notfalls wehren zu können. Und man ist ja dort auch nicht allein.
Viele Jahre waren auch Poli­zei­raz­zien ein Problem. Manch­mal stürm­ten sie im Groß­auf­ge­bot den Tier­gar­ten, umstell­ten die betref­fen­den Orte und nahmen alle Männer fest, die sie dort antra­fen. Diese Zeiten sind mitt­ler­weile aber vorbei.

Auch wenn die Hinter­las­sen­schaf­ten der Nacht manch­mal ein Problem darstel­len, sehe ich die Crui­sin­g­parks in Berlin durch­aus posi­tiv. Sie geben Menschen die Gele­gen­heit zum Sex und manch­mal zu sozia­len Kontak­ten, die sie im Alltag nicht finden. Da es sich nachts abspielt, werden andere Besu­cher davon auch nicht gestört.
Ein auf Frauen orien­tier­ter Freund von mir hat kürz­lich aller­dings bedau­ert, dass es sowas nicht auch für Hete­ros gibt. Da bleibt dann wohl nur noch die Möglich­keit, sich umzu­ori­en­tie­ren.

 

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2 Kommentare

  1. In einschlä­gi­gen Kontakt­fo­ren sind auch Möglich­kei­ten für Hetros ange­ge­ben. Treff­punkte. Wenn auch dort sicher auch mehr Männer­las­tig. Aber es gibt sie.

  2. Naja, die Parks sind jeweils Mode,ich spre­che jetzt nicht vom Rosen­gar­ten. Aber Tier­gar­ten, egal, ob klein oder gross, ist mitt­ler­weile lebens­ge­fähr­lich. Ausser viel­leicht die Klappe am Schloss.

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