Der Teufelsberg

Der Teufels­berg macht seinem Namen alle Ehre, denn zu seiner Entste­hung trug vor allem der NS-Wahn zur Beherr­schung Euro­pas bei. Dabei macht er heute einen eher beschau­li­chen Eindruck, doch dieser Eindruck täuscht. Der soge­nannte Berg — immer­hin eine der höchs­ten Erhe­bun­gen Berlins — hat in drei­er­lei Hinsicht eine mili­tä­ri­sche Vergan­gen­heit. Aber begin­nen wir mit der Zeit davor:
Bis weit ins 20. Jahr­hun­dert hinein gab es hier keinen Berg, sondern nur den nörd­li­chen Teil des Grune­walds mit dem Teufels­see. Dieser war damals schon ein belieb­tes Ausflugs­ziel der Berli­ner, was sich bis heute nicht geän­dert hat. Woher der See seinen Namen hat, ist unge­klärt. Eine Vari­ante ist, weil er im abend­li­chen Dämmer­licht so dunkel wirkt, auch die umste­hen­den Bäume nehmen dann eine fast schwarze Farbe an. Tags­über stapeln sich hier die Fami­lien und Nackt­ba­der am klei­nen Strand, abends tref­fen sich die Jugend­li­chen zum kiffen und knut­schen. Und wenn die Poli­zei nicht stört, wird auch mal ein Lager­feuer gemacht.

Die Wehr­tech­ni­sche Fakul­tät

Schon im noch jungen NS-Staat konnte jeder den Charak­ter der neuen Macht­ha­ber sehen, gerade das Mili­tä­ri­sche wurde von den Nazis stets heraus­ge­ho­ben. Bereits 1933 wurde direkt an der Tech­ni­schen Hoch­schule (heute TU) die Wehr­tech­ni­sche Fakul­tät gegrün­det, der offi­zi­elle Name war “Fakul­tät für Tech­no­lo­gie”. Sie sollte die Aufga­ben der 1918 zwangs­ge­schlos­se­nen Mili­tär­tech­ni­schen Akade­mie über­neh­men und den mili­tä­ri­schen Nach­wuchs mili­tä­risch-tech­nisch ausbil­den. Die Räume an der Char­lot­ten­bur­ger Fran­k­lin­straße reich­ten jedoch nicht aus, so dass mitten im Wald eine neue Anlage geplant wurde, in der die mili­tä­ri­sche Elite des 3. Reichs ausge­bil­det werden sollte. Für diese Anlage war den neuen Macht­ha­bern nichts zu schade, so gab es einen großen Archi­tek­tur­wett­be­werb und letzt­end­lich fiel die Entschei­dung auf einen Entwurf, der die damals unge­heure Summe von 80 Millio­nen Reichs­mark kosten würde.
Am 27. Novem­ber 1937 marschier­ten nicht nur Tausende von SA‑, SS- und HJ-Ange­hö­rige zur Grund­stein­le­gung auf, auch Adolf Hitler kam persön­lich. Er bezeich­nete die geplante Anlage als ersten Schritt zur Neuge­stal­tung Berlins als Haupt­stadt “Germa­nia”. In seiner Rede sagte er: “Aus dieser heili­gen Über­zeu­gung lege ich nun den Grund­stein zur Wech­tech­ni­schen Fakul­tät der Tech­ni­schen Hoch­schule in Berlin als dem ersten Bauwerk, das im Voll­zug dieser Pläne entsteht.” In dieser Fakul­tät sollte die “deut­sche Elite” nicht nur mili­tär­theo­re­tisch ausge­bil­det werden, sondern sich im nahe gele­ge­nen Olym­pia­sta­dion auch körper­lich betä­ti­gen.
Direkt neben der Fakul­tät waren für die Zukunft noch weitere Einrich­tun­gen geplant. Der Bau der “Hoch­schul­stadt” mit den Wohn­ge­bäu­den für Studen­ten war bereits in der Planung, später soll­ten sogar die Charité, der Bota­ni­sche Garten und der Berli­ner Zoo hier­her umzie­hen.
Doch nur der Rohbau der Fakul­tät wurde fertig­ge­stellt. Keine zwei Jahre nach Baube­ginn begann der Welt­krieg, Mate­rial wurde knapp, für kriegs­un­wich­tige Baupro­jekte wurde im Februar 1940 ein Baustopp verfügt. Zu diesem Zeit­punkt war die Fakul­tät sowie ein Teil der Wohn­häu­ser bereits im Rohbau fertig­ge­stellt. Weiter­ge­baut wurde hier nie wieder. Während der alli­ier­ten Luft­an­griffe trafen auch einige Bomben die Anlage und so fiel der Bau der wich­tigs­ten Kriegs­aus­bil­dungs­stätte ausge­rech­net dem Krieg zum Opfer. Welche einen Ironie.

Der Trüm­mer­berg entsteht

Große Teile der Stadt waren bei Ende des Krie­ges zerstört. In allen Bezir­ken began­nen die Aufräum­ar­bei­ten und die berühmt gewor­de­nen “Trüm­mer­frauen” nahmen ihre Arbeit auf: Über­all sortier­ten sie die Ziegel der zerstör­ten Häuser: Ganze und halbe Steine wurden gerei­nigt und für die Wieder­ver­wen­dung gesam­melt, klei­nere Stücke kamen in die Loren. Diese fuhren auf provi­so­ri­schen Schie­nen zu den über­all in der Stadt entste­hen­den Trüm­mer­ber­gen. Die berühm­tes­tens davon waren im Fried­richs­hain und in Steglitz, hier wuchs der “Insu­la­ner” auf den Zeug­nis­sen des Großen­wahns und der Trauer.
Auch das Gelände der nie fertig gestell­ten Fakul­tät wurde für einen Trüm­mer­berg auser­ko­ren, hier entstand der größte von allen: über 50 Prozent aller Ziegel­reste und Beton­trüm­mer des zerstör­ten Berlins lande­ten im Grune­wald, bis zu 800 LKWs am Tag quäl­ten sich auf den immer höher wach­sen­den Berg. Als die Aufschüt­tung nach 20 Jahren abge­schlos­sen war, lagen in dem neuen Berg, der aus dem klei­ne­ren im Norden und dem größe­ren im Süden besteht, 26 Millio­nen Kubik­me­ter Trüm­mer­schutt. Die Steine wie vieler Häuser lagern hier? Wie viele Menschen haben in diesen Häusern gelebt, haben darin die Bomben­nächte erlebt und schließ­lich ihr Zuhause oder sogar ihr Leben verlo­ren? Dieser Berg ist ange­füllt mit Geschichte und Schick­sa­len, die nie erzählt werden.
Schon Anfang der 50er Jahre begann man mit der teil­wei­sen Anpflan­zung der “Berg­hänge”. Mit dem Abschluss der Aufschüt­tung und der Auffors­tung war der südli­che Teil mit 180.000 Bäumen bepflanzt. Der nörd­li­che Berg mit seiner Ebene als Gipfel wuchs mit Wiese zu. Aber bis heute schauen die Beton­trüm­mer und Ziegel­split­ter an vielen Stel­len aus dem Gras heraus.

Lauschen im Grünen

Nach geplan­ter Fakul­tät und Kriegs­schutt-Lager begann die dritte kriegs­be­dingte Nutzung des Areals, dies­mal betraf es den Kalten Krieg. Briti­sche Spezia­lis­ten fuhren ab 1960 auf den höhe­ren der beiden Gipfel und rich­te­ten dort ihre auf Last­wa­gen montier­ten Abhör­an­la­gen Rich­tung Osten aus. Sie hatten nämlich schnell gemerkt, dass der Teufels­berg mit seinen 110 Metern Höhe eine ideale Gele­gen­heit zum Mithö­ren des sowje­ti­schen Funk­ver­kehrs in der DDR bot. Als mit dem Mauer­bau die Arbeit von West-Agen­ten in der DDR extrem erschwert wurde, bekam die Funk­über­wa­chung eine wesent­lich größere Bedeu­tung. Deshalb errich­tete der US-Geheim­dienst Natio­nal Secu­rity Agency (NSA) eine statio­näre Abhör­an­lage, die auch vom briti­schen Geheim­dienst genutzt wurde. In den Folge­jah­ren entwi­ckelte sich die “Field Station Berlin” zur wich­tigs­ten Lausch­sta­tion der Welt. Immer sensi­blere Geräte konn­ten schließ­lich den gesam­ten Funk- und Tele­fon­ver­kehr bis nach Moskau abhö­ren, was einen großen stra­te­gi­schen Vorteil für die Geheim­dienst­ler und Mili­tär bedeu­tete. Wich­tige Vorkomm­nisse wie der Einmarsch der Sowjet­ar­mee in der CSSR oder Afgha­ni­stan wurden schon vorher von hier aus erkannt. Bis zu tausend Spezia­lis­ten waren in Hoch­zei­ten auf dem Teufels­berg beschäf­tigt, sie waren von der Außen­welt mit einer drei­fa­chen Sperre abge­schot­tet die meis­ten durf­ten während ihres Aufent­halts in Berlin das Gelände nicht verlas­sen. Dafür kamen viele von ihnen später in hohe mili­tä­ri­sche Ränge, mehrere spätere Geheim­dienst­ge­ne­räle began­nen ihre Karriere im “Großen Ohr”, wie die Anlage auch genannt wurde. Die mehr­fach schall­iso­lier­ten Gebäude mit den Auswer­tungs­räu­men hatten keine Fens­ter zur Außen­seite. Die modernste Tech­nik die welt­weit verfüg­bar war kam hier zum Einsatz, z.B. wurden die ersten E‑Mails zwischen der Field Station und dem US-Haupt­quar­tier in Dahlem verschickt.
Der Turm und die beiden Kuppeln waren mit Stoff­bah­nen gegen den Einblick von außen geschützt. Mit der Ausrich­tung der großen Para­bol-Anten­nen hätten feind­li­che Geheim­dienste sonst schnell erkannt, welche Berei­che gerade von hier aus über­wacht wurden. Und tatsäch­lich haben ostdeut­sche und sowje­ti­sche Spione jahre­lang versucht, Infor­ma­tio­nen über das Innere dieser Abhör­an­lage zu erhal­ten. Tragisch endete der Versuch eines sowje­ti­schen MIG-Jets, der am 6. April 1966 während der Über­wa­chung aus der Luft abstürzte und sich mit beiden Pilo­ten in den Grund der Havel bohrte. Mehr Erfolg hatte der Türke Hüseyin Yildi­rim: Durch seine Arbeit in der Auto­werk­statt der US-Kaserne “Andrews Barracks” in Lich­ter­felde kam er 1985 in Kontakt mit dem US-Unter­of­fi­zier James Hall, der in der Field Station arbei­tete und — wie sich bald heraus­stellte — an streng geheime Doku­mente heran kam. Yildi­rim arbei­tete jedoch für die ostdeut­sche Staats­si­cher­heit und die bezahlte gut, denn Hall lieferte weit­aus mehr Mate­rial, als man von einem einfa­chen Abhör­spe­zia­lis­ten erwar­ten könnte. Darun­ter Entschlüs­se­lung­codes des NATO-Funk­ver­kehrs und vor allem die Studie “Canopy Wing”, in der die Chan­cen eines atoma­ren Erst­schlags der NATO gegen den Ostblock analy­siert wird. Als Hall und Yildi­rim 1988 aufflo­gen und verhaf­tet wurden, erkann­ten die US-Behör­den den geheim­dienst­li­chen Super-GAU.

Aber neben­bei gab es noch eine andere Reali­tät auf dem Teufels­berg: Unmit­tel­bar an den Absper­run­gen der Field Station wurde in den 60er Jahren eine 380 Meter lange Skipiste mit eige­ner Seil­bahn einge­rich­tet. Zwar musste der Betrieb der Seil­bahn 1972 wieder einge­stellt werden, da ihre Nutzung die Funk­an­lage störte, aber die Piste wurde noch viele Jahre weiter betrie­ben. Anläss­lich der 750-Jahr-Feier Berlins veran­stal­tete die Stadt sogar ein Welt­cup-Skiren­nen auf dem Teufels­berg. Die Sprung­schanze ist mitt­ler­weile verfal­len und nach eini­gen schwe­ren Unfäl­len sowie mehre­ren Toten wurde auch die Piste still­ge­legt. Heute dient sie nur noch dazu, den Blick über den Grune­wald und Pots­dam nach Südenwes­ten frei zu halten.
Der nörd­li­che Gipfel des Teufels­berg wird vor allem von Drachen­flie­gern genutzt, die sich hier mit ihren Gerä­ten vom west­li­chen Anhang stür­zen und mit eini­gem Glück nicht in den Bäumen, sondern am Boden landen. Fami­lien lassen ihre klei­ne­ren Drachen auf der großen Ebene stei­gen, wo fast immer genug Wind weht.
Die Abhör­sta­tion dage­gen steht seit 1992 leer, der große Anten­nen­mast wurde 1995 abge­baut. In den Folge­jah­ren gab es mehr­mals Inter­es­sen­ten, die hier ein Hotel­kom­plex oder eine Wohn­an­lage errich­ten woll­ten, andere treten für eine Wieder­auf­fors­tung des Areals, wieder andere für die Einrich­tung eines Muse­ums ein. Bisher stehen die Gebäude der ehema­li­gen Field Station leer und rotten vor sich hin. Viel­leicht holt sich ja auch die Natur das Gelände zurück, es wäre sicher nicht die schlech­teste Vari­ante.

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1 Kommentar

  1. “Und tatsäch­lich haben ostdeut­sche und sowje­ti­sche Spione jahre­lang versucht, Infor­ma­tio­nen über das Innere dieser Abhör­an­lage zu erhal­ten. Tragisch endete der Versuch eines sowje­ti­schen MIG-Jets, der am 6. April 1966 während der Über­wa­chung aus der Luft abstürzte und sich mit beiden Pilo­ten in den Grund der Havel bohrte.”

    Tatsäch­lich handelte es sich um einen sowje­ti­schen Abfang­jä­ger des Typs YAK 28P. Die Maschine befand sich auf einem Über­füh­rungs­flug. 2019 gingen dazu noch­mal einige Arti­kel it Archiv­ma­te­ria­lien durch die Presse. Nach­dem die Maschine tech­ni­sche Probleme bekom­men hatte, gaben die beiden Pilo­ten (Pilot und Navi­ga­tor) ihr Bestes, die Maschine nicht über bewohn­tem Gebiet runter­ge­hen zu lassen. Anschlie­ßend wurde das Wrack von briti­schen Bergungs­kräf­ten gründ­lichst unter­sucht. Kame­ras oder sons­tige Aufklä­rungs­mit­tel / Senso­ren fanden sie nicht. Nur ein für Jäger übli­ches Luf-Luft-Radar, welches für Eloka aller­dings völlig unge­eig­net ist.

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