Jung und schwul in den 70ern

Schwule in Berlin, das ist heute nichts beson­de­res mehr. Wir hatten einen offen homo­se­xu­ell leben­den Bürger­meis­ter, jedes Jahr Hundert­tau­sende geschminkt und gestylt auf dem Chris­to­pher-Street-Day, Regen­bo­gen­fahne vor dem Rathaus — all das ist normal und regt nur noch poli­ti­sche oder reli­giö­sen Funda­men­ta­lis­ten auf, und ein paar Unbe­lehr­bare. Doch noch vor nicht allzu langer Zeit war das ganz anders, da war Schwul­sein dasselbe wie “abar­tig” oder “krimi­nell” und wurde entspre­chend behan­delt.
Mein erster bewuss­ter Kontakt mit einem schwu­len Mann war Anfang der 70er Jahre. Im Kreuz­ber­ger Prin­zen­bad drückte sich einer in den Ecken herum, den die ande­ren Jungs Camillo nann­ten. Ich fand ihn inter­es­sant und absto­ßend zugleich, obwohl ich ihn nie näher kennen­lernte. Das Myste­rium Camillo war span­nend, wahr­schein­lich war ich noch zu jung, um ein ande­res Inter­esse zu entwi­ckeln. Das änderte sich ein paar Jahre später.
Mit 14 Jahren hatte ich einen Schul­freund, Ralf, mit dem ich jeden Nach­mit­tag verbrachte. Irgend­wann merkte ich, dass er mir nicht nur als guter Freund gefiel, sondern dass er auch meine gerade aufkei­mende Sexua­li­tät anregte. Wieder spielte das Prin­zen­bad eine wich­tige Rolle, hier konnte ich ihn beim Umzie­hen auch mal nackt sehen. Den Anblick nahm ich danach mit nach Hause ins Bett. Es war aber unvor­stell­bar, ihn irgend­wie anzu­ma­chen und zu zeigen, wie attrak­tiv ich ihn fand. Zumal er auch als erster in der Klasse  eine Freun­din hatte, die er später sogar heira­tete.

Natür­lich war mir früh klar, dass meine Gefühle nicht “normal” waren und dass ich sie lieber geheim hielt. Einmal nur habe ich es anders gemacht, als ich einem Mitschü­ler beim Duschen zu lange ange­schaut habe und prompt eine Erek­tion bekam. Noch am selben Tag wusste es die ganze Klasse und ich war das Gespött aller Mitschü­ler. Da aber auch andere Jungs in diesem Alter schnell einen Stän­der bekom­men, war der Vorfall bald wieder verges­sen, ich aber hatte meine Lektion gelernt.

Ich musste einen Weg finden, um meine neue Sexua­li­tät irgend­wie ausle­ben zu können. Es war ja bekannt, dass sich in Schwimm­bä­dern und auf öffent­li­chen Toilet­ten Männer rumtrei­ben, die Sex mit ande­ren suchen. Doch auch das ging dane­ben, entwe­der fand ich nieman­den oder er wollte mich nicht. Die Erlö­sung kam dann ganz zufäl­lig. Bei der Party eines Schul­freunds sprach mich ein Junge an, den ganzen Abend hingen wir zusam­men. Ich war so naiv, dass ich all seine Bemer­kun­gen und “zufäl­li­gen” Berüh­run­gen nicht rich­tig deutete. Erst als wir nachts alleine waren und er sich nackt auszog, begriff ich es endlich. Für mich war die Nacht eine Sensa­tion, aber Ingo gab sich danach total cool und desin­ter­es­siert, ich war völlig verwirrt. Während ich mich schon auf die große Liebe freute, verschwand er wieder aus meinem Leben. Das war zwar frus­trie­rend, aber ande­rer­seits war ich mir jetzt sicher, dass ich schwul bin.

Der nächste Mann war dann einer meiner Lehrer, in mancher­lei Hinsicht. Ich bin ihm bis heute dank­bar für viele Dinge, die er mir fürs Leben beigebracht hat. Natür­lich wusste ich, dass der Sex mit ihm verbo­ten war, aber in seiner Wohn­ge­mein­schaft lernte ich auch, dass man manch­mal Dinge einfach tun muss, wenn man es rich­tig findet, auch wenn sie nicht erlaubt sind.

Erst gegen Ende der 70er Jahre sah man auf der Straße manch­mal Schwule, die sich betont auffäl­lig gaben, tuntig oder ganz in Leder oder mit extrem kurzen und engen Hosen. Für mich war das sehr aufre­gend, zumal ich beschlos­sen hatte, meine Homo­se­xua­li­tät nicht mehr zu verste­cken. Ande­rer­seits wollte ich nicht in Rosa oder Leder rumlau­fen, ich wusste aber nicht, ob man sich als “rich­ti­ger Schwu­ler” nicht doch entspre­chend stylen muss. Es war mir nicht bewusst, dass fast alle Schwu­len ganz normal aussa­hen, also wählte ich die Mini­mal­lö­sung: Ich lackierte mir einen Finger­na­gel und trug ab sofort einen Ohrring.
Schon nach weni­gen Tagen wurde ich deswe­gen von zwei jungen Männern verprü­gelt, das kam dann in den folgen­den Jahren und Jahr­zehn­ten immer wieder mal vor. Aber es schreckte mich nicht ab, sondern weckte den Trotz­kopf in mir. Ab sofort wollte ich dazu stehen wie ich bin und was ich eh nicht ändern konnte. Wenn die ande­ren ein Problem damit haben, soll­ten sie es doch mit sich selbst ausma­chen und ihre Verklemmt­heit nicht an mir abre­agie­ren. Das war natür­lich ein weit­rei­chen­der Entschluss und hat mir immer wieder mal Ärger einge­bracht, von blauen Augen bis zu ausge­schla­ge­nen Zähnen. Aber das war es wert, besser als mich auf ewig zu verste­cken. Zu oft habe ich seit­dem Klemm­schwes­tern kennen­ge­lernt, also Schwule, die ihre Sexua­li­tät verleug­nen, die teil­weise sogar zur Tarnung eine Frau gehei­ra­tet haben, um bloß nicht in Verdacht zu gera­ten. So wollte ich niemals werden. Ich habe meine Entschei­dung nie bereut und gegen die Schlä­ger habe ich Kampf­sport­un­ter­richt genom­men und einige Male erfolg­reich ange­wandt.

Spätes­tens Anfang der 1980er wurde es dann auch leich­ter. Mit der Haus­be­set­zer­be­we­gung entstand eine breite alter­na­tive Szene, in der Homo­se­xua­li­tät akzep­tiert war. Damals habe ich gelernt: Ein selbst­ver­ständ­li­ches und offen­si­ves Umge­hen mit der eige­nen Iden­ti­tät ist der beste Schutz gegen Diskri­mi­nie­rung.

ANDI 80

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