Stabkirche Hahnenklee

220 km. Norwe­gi­scher als Norwe­gen

Als ich mit Uwe, einem Ur-Berli­ner, durch Norwe­gen reiste, schrie der plötz­lich: „Det is die Kirche, die bei meiner Oma an der Wand hing.“ Das war in Heddal, Tele­mark, und die Kirche war eine Stab­kir­che, über sieben­hun­dert Jahre alt.

Uwes Oma war eine einfa­che Frau, die nie weit reisen konnte. Was hatte sie wohl so an einer 830 Kilo­me­ter entfern­ten Holz­kir­che faszi­niert, dass sie sich eine Kachel mit der Abbil­dung an die Wand hängte?

Wieder daheim, suchte Uwe in seinem Keller die geerbte Kachel und musste fest­stel­len, dass die abge­bil­dete Stab­kir­che nicht in Heddal, sondern in Hahnen­klee steht. Auch ein Ort mit H, aber mitten in Deutsch­land, im Harz.

Ich hatte in Norwe­gen viele Stab­kir­chen besucht. Sie sind uralt, aus schwarz geteer­tem oder dunkel­brau­nem Holz erbaut, verziert mit eindrucks­vol­len, etwas groben Schnit­ze­reien, innen dunkel und zugig und riechen nach Pech. Ab und zu wurde eine von irgend­wel­chen sata­nis­ti­schen Grup­pen ange­steckt, weil sie ja gut bren­nen. Da wir aussa­hen, wie man sich Sata­nis­ten vorstellt – kurz­ge­scho­re­ner Schä­del, Leder­ja­cke, Stie­fel –, wurden wir beim Besich­ti­gen immer auf Schritt und Tritt bewacht.

Wie aber kommt eine Kirche, die aussieht wie die von Heddal, nach Hahnen­klee? Und warum hängen Abbil­dun­gen davon in Berli­ner Küchen?

Die Stab­kir­che von Heddal ist die größte aller norwe­gi­schen Stab­kir­chen, und Wilhelm II. war der größte aller preu­ßi­schen Könige. So hängt das zusam­men.

Wilhelm liebte Norwe­gen und fuhr da jedes Jahr hin. In Doorn, im Bade­zim­mer von Kaise­rin Auguste Vikto­ria, kann man auf einem Gemälde bewun­dern, wie das vonstat­ten ging. Die Kaiser­li­che Jacht, die Hohen­zol­lern, war weiß. Bei diesen jähr­li­chen Nord­land­rei­sen wurde sie aus Status­grün­den von zwei riesi­gen Kriegs­schif­fen beglei­tet. Kriegs­schiffe sind immer grau wie die Nord­see; aber für die Gele­gen­heit wurden sie weiß ange­stri­chen. Und hinter­her wieder grau gemacht, man weiß ja nie.

Viele Berli­ner mach­ten im Harz Urlaub. Kein ande­res rich­ti­ges Gebirge aus Stein liegt ja so nahe. Der Harz mit seinen stei­len Bergen und dunk­len Tälern ähnelt sogar ein wenig Norwe­gen, nur die Fjorde muss man sich dazu denken.

Da haben sich die Hahnenk­leer wohl gedacht, dass es bestimmt dem Kaiser und den Berli­nern gefal­len würde, wenn sie eine echte Stab­kir­che bauen und Abbil­dun­gen davon auf Kacheln als Andenken verkau­fen.

Eine echte Stab­kir­che, aber dann selbst­ver­ständ­lich so, wie die Wikin­ger sie gerne gebaut hätten, hätten sie über die Tech­nik des moder­nen Preu­ßen verfügt. Es lohnt sich, diese Kirche genau anzu­schauen, wenn man den Zeit­geist verste­hen will, der damals auch Berlin so groß und berühmt gemacht hat. Hier riecht nichts nach Pech. Das Holz ist nicht mühse­lig mit der Hand bear­bei­tet, sondern mit hoch­ent­wi­ckel­ten Maschi­nen; darum sehen alle Verzie­run­gen genau gleich aus. Es gibt einen Kirch­turm, der stark genug ist, ein ganzes Glocken­spiel zu tragen. Es gibt eine Uhr. Und drin­nen gibt es zehn­mal so viel Sitz­plätze wie bei den rück­stän­di­gen Wikin­gern. Und Strom und Licht. „Wat wa machen, machen wa rich­tich.“ Und eine Orgel. Das war die größte tech­ni­sche Heraus­for­de­rung: eine Orgel in einem dauer­feuch­ten Fich­ten­holz­bau im eisi­gen, stür­mi­schen Gebirge. Eine erste Orgel gab es darum erst nach dem zwei­ten Welt­krieg. Die bewährte sich nicht; aber seit 1994 gibt es eine neue, ziem­lich gute. Natür­lich darf man die nicht sehen; das würde ja dann nicht ausse­hen wie in Norwe­gen, wo Stab­kir­chen wirk­lich keine Orgeln haben. Also säuseln die Pfei­fen hinter einem „echt norwe­gisch“ verzier­ten Gitter aus der indus­tri­el­len Holz­be­ar­bei­tung vor sich hin. Eine Akus­tik hat dieser Kirchen­raum nicht. Alles ist ja aus Weich­holz und hat hundert­tau­send Ecken. Ich will kein zwei­tes Orgel­kon­zert in einem schall­to­ten Raum aussit­zen müssen.

Die Stab­kir­che lag ganz nah an der Zonen­grenze. Die einge­mau­er­ten West-Berli­ner konn­ten den Harz leicht errei­chen und sich fast wie im Norwe­gen der Wikin­ger­zeit fühlen, ohne tech­ni­sche Errun­gen­schaf­ten wie Uhr, Orgel und Glocken­spiel zu entbeh­ren.

Obwohl – in Berlin fährt eine U‑Bahn in lufti­ger Höhe über die neo-mittel­al­ter­li­che Ober­baum­brü­cke. Eine U‑Bahn durch den Turm hätte dieser progres­si­ven Stab­kir­che im Harz noch gefehlt.

Für die Ost-Berli­ner war diese Stab­kir­che schwer zugäng­lich. Dafür konn­ten die sich im Osten umschauen, hinter dem entge­gen­ge­setz­ten Ende der DDR.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

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