Tempodrom

Das Tempo­drom ist ein Stück Berli­ner Geschichte. Kultur­ge­schichte, Szenege­schichte, West-Berli­ner Geschichte. 20 Jahre lang entwi­ckelte es sich, meist weitab von den finan­zi­el­len Fleisch­töp­fen der Hoch­kul­tur, doch immer auch als Aushän­ge­schild des Berli­ner Senats, erst west- dann gesamt­deutsch.
Dabei hatte Irene Moes­sin­ger im Mai 1980 sicher nicht beab­sich­tigt, in die höhe­ren Sphä­ren der Berli­ner Kultur­po­li­tik aufzu­stei­gen, eher das Gegen­teil war ange­sagt. Denn sie gehörte damals zu alter­na­ti­ven Szene, die sich gerade in der Blüte befand. Wort­wört­lich im Schat­ten der Mauer am Pots­da­mer Platz stellte sie mit ihren Freun­den ein ehema­li­ges Zirkus­zelt auf, 3.000 Perso­nen fanden hier Platz, in einem klei­ne­ren Zelt noch­mal 500. Dafür hatte sie ihre Erbschaft geop­fert. Mit dem Zelt erfüllte sie sich einen Traum: Ein eige­ner Veran­stal­tungs­ort für Konzerte, Thea­ter, Tanz­ver­an­stal­tun­gen, Partys, Festi­vals. Und hier fand in der Folge­zeit tatsäch­lich ein Regen­bo­gen von Veran­stal­tun­gen statt. Poli­ti­sche Diskus­sio­nen und klas­si­sche Konzerte wech­sel­ten mit Tango-Aben­den und inter­na­tio­na­len Thea­ter­grup­pen.

Vor allem die Rock- und Pop-Konzerte mach­ten das Tempo­drom berühmt. Ob Gianna Nanini oder die Polit­ro­cker Ton Steine Scher­ben, Wolf Bier­mann, die Toten Hosen oder die Künst­ler der damals noch Neuen Deut­schen Welle, bis 1983 zeigte sich die gute Nase, die Irene Moes­sin­ger mit dem Tempo­drom hatte.

Nach vier Jahren musste das Zelt erst­mals seinen Stand­ort am Pots­da­mer Platz verlas­sen, es wech­selte in den Tier­gar­ten, auf einen Teil des Park­plat­zes der dama­li­gen Kongress­halle, heute Haus der Kultu­ren der Welt. Im selben Jahr 1984 erfüllte sich die Kultur­zir­kus-Direk­to­rin einen weite­ren Wunsch: Sie ging mit dem Tempo­drom auf Tour­nee.
Dann began­nen die Vorstel­lun­gen am neuen Stand­ort, viele Konzerte und Gay-Events folg­ten, bis der Fall der Mauer Ende 1989 und dessen Auswir­kun­gen das Ende für den Stand­ort Tier­gar­ten bedeu­tete: Die Bundes­re­gie­rung wollte nach Berlin umzie­hen, das Tempo­drom stand plötz­lich dem neuen Kanz­ler­amt im Wege, ein neuer Umzug würde nötig.

In dieser Situa­tion fiel die Entschei­dung für einen endgül­ti­ges Stand­ort, dies­mal nicht mehr mit Zelt und Zirkus­wa­gen, sondern in einem rich­ti­gen Haus. Aus den eige­nen Einnah­men war das nicht zu finan­zie­ren, so gaben auch der Senat und die Bundes­re­gie­rung Gelder dazu, zudem konnte Jeder einen Stein den neuen Tempo­droms finan­zie­ren, das immer­hin 50 Millio­nen Mark (25 Mio Euro) kostete.
Doch bis es soweit war, folgte ein weite­rer Umzug, in ein Ausweich­quar­tier nahe des Ostbahn­hofs in Fried­richs­hain. Seit dem 1. Dezem­ber 2001 aber befin­det sich das “Neue Tempo­drom” am Anhal­ter Bahn­hof in Kreuz­berg. Der Neubau lehnt sich optisch an einen Zelt­bau an, diese beson­dere Archi­tek­tur schlug sich natür­lich auch in den Kosten nieder. Ein “tanzen­des Zelt” nannte es der Sänger Klaus Hoff­mann, der dem Tempo­drom wie viele andere schon von Anfang an verbun­den ist.
Für Irene Moes­sin­ger endete der Traum aller­dings als Deba­kel. Das neue Projekt war zu groß, es folgte die Insol­venz und noch Jahre danach Gerichts­ver­fah­ren. Heute hat sie nichts mehr mit dem Tempo­drom zu tun.

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