Horchen und kucken

Als junger West­ler war ich natür­lich irgend­wann auch mal neugie­rig, wie das Leben auf der ande­ren Seite der Mauer so aussah. Über die Musik bekam ich Kontakt nach Ost-Berlin, zu ande­ren Jugend­li­chen und zu Künst­lern. In den 80er Jahren durfte ich dann auch ohne Zwangs­um­tausch ganz offi­zi­ell auf “Geschäfts­reise” in die DDR, besuchte Musi­ker und Konzerte von Rostock bis Karl-Marx-Stadt [heute Chem­nitz].
Poli­tisch war ich in Bezug auf die DDR sehr naiv. Ich fand in Ost-Berlin Freunde, mit denen ich durch die Gegend zog, Parties feierte und nachts am Strand des Müggel­sees Sex hatte. Zwar war ich “bei mir im Westen” poli­tisch aktiv, mit Haus­be­set­zun­gen und in der auto­no­men Szene. Aber in Bezug auf die DDR war ich erschre­ckend naiv. Ich konnte es gar nicht verste­hen, dass die Grenz­ler meine Musik­cas­set­ten mit Liedern von Wolf Bier­mann nicht so toll fanden, dabei war er doch auch aus der DDR…
Für meine Freunde brachte ich vor allem Schall­plat­ten von Udo Linden­berg mit. Nach­dem sie mir aber an der Grenze auch die abge­nom­men haben, wurde ich konspi­ra­ti­ver. Ich besorgte mir Klas­sik-Plat­ten, die waren unver­däch­tig, und löste von denen die Label ab. Die kamen über die Aufkle­ber der Linden­berg-Plat­ten und auch das Cover wurde ausge­tauscht.

Ursprüng­lich ging ich über den Grenz­über­gang Fried­rich­straße, weil ich das Durch­ein­an­der der Gänge so span­nend fand. Doch eines Tages wurde ich wieder mal in einen extra Raum geführt. Ich musste alles abge­ben, mich nackt auszie­hen und in allen Körper­öff­nun­gen unter­su­chen lassen. Dann ging es zum Verhör, wen ich denn tref­fen wollte und warum, wer meine Schall­plat­ten bekom­men sollte usw. Ich antwor­tete wahr­heits­ge­mäß, fühlte mich etwas schul­dig, aber nicht wirk­lich krimi­nell. Zum Schluss wurde mir eröff­net, dass man die Schall­plat­ten konfis­ziert hat, ich aber einrei­sen dürfte. Ich hatte ja in West-Berlin schon öfter Ärger mit der Poli­zei gehabt, Verhöre und auch Schläge waren mir nicht ganz unbe­kannt. An diesem Tag erfuhr ich aber das erste Mal, wie es ist, wenn man nach der Frei­las­sung auch noch verfolgt wird — und zwar so offen, dass ich es merken musste. Mein Freund Ralf in Lich­ten­berg hatte ein Tele­fon und so konnte ich ihm die Lage erklä­ren. Wir trafen uns am Alex­an­der­platz und er nahm mich dort demons­tra­tiv in den Arm und küsste mich. Dann setz­ten wir uns an den Brun­nen der Völker­freund­schaft und zähl­ten ganz offen all die Kame­ras, die von den umlie­gen­den Gebäu­den den Platz beob­ach­te­ten. Das war schon auffäl­lig genug und als wir dann herum­lie­fen, konn­ten wir sehen, wie die steu­er­ba­ren Kame­ras uns folg­ten und andere uns ins Visier nahmen. Ralf fragte mich, ob ich den Roman “1984” kenne und dass der auch in der DDR spie­len könnte. Nach dem Besuch habe ich ihn gele­sen.

Seit­dem reiste ich nur noch über die Ober­baum­brü­cke ein. Die lag nicht nur näher an meinem Wohn­haus, sondern die Grenz­über­gangs­stelle war auch viel klei­ner als am Bahn­hof Fried­rich­straße. Die Kontrol­len dort kamen mir anfangs tatsäch­lich weni­ger scharf vor, doch auch dort gab es natür­lich die Stasi-Leute.
Es war wie immer: Von der Kreuz­ber­ger Seite aus ging ich neben dem nied­ri­gen Wach­turm durch die Gitter­tür und über­querte die Spree. Am Ende, kurz vor der Mühlen­straße, stand ein zwei­stö­cki­ges Gebäude, über die gesamte Breite der Brücke. Ein tiefes Durch­at­men, dann betrat ich den Vorraum. Ausweis­kon­trolle wie immer, dann wollte ich weiter nach hinten zum Zoll. Statt­des­sen aber stell­ten sich mir zwei Herren in Uniform in den Weg. Sie führ­ten mich in ein klei­nes Zimmer, und nach der gewohn­ten Durch­su­chung von Taschen und Körper bekam ich plötz­lich andere Klei­dung gereicht. Meine Klamot­ten kämen zur genaue­ren Kontrolle etwas später.

Dies­mal gab es ein Verhör, das wesent­lich aggres­si­ver war als alles, was ich bis dahin an der Grenze erlebt hatte. Man warf mir vor, in der DDR krimi­nelle Hand­lun­gen vorge­nom­men zu haben, staats­ge­fähr­dende Hetze und Schmug­gel. Natür­lich war ich völlig aufge­löst und ängst­lich, die Verneh­mer schrien mich an, droh­ten mit Gefäng­nis und dass im Westen niemand etwas davon erfah­ren würde.
Sie woll­ten unbe­dingt Namen und Kontakte erfah­ren, die ich in der DDR hatte. Vorher hatte ich mir nie etwas dabei gedacht und meine Freunde wuss­ten auch ganz genau, dass ihre Behör­den von unse­ren Kontak­ten wissen. In dem Verhör wurden sie nun aber auch als Staats­feinde hinge­stellt und ich spürte eine Verant­wor­tung für sie. Trotz der Drohun­gen fühlte ich als West­bür­ger eine gewisse Sicher­heit, ich nahm tatsäch­lich an, dass sie mich gar nicht für längere Zeit einsper­ren könn­ten. Deshalb mauerte ich und zählte nur noch die Leute auf, bei denen ich wusste, dass sie von dem Kontakt wissen.

Mitten in der Verneh­mung musste ich dann in einen winzi­gen, etwa einen Quadrat­me­ter klei­nen Raum, der kein Fens­ter hatte, nur einen Stuhl. Hier saß ich gefühlte zwei bis drei Stun­den ohne jeden Kontakt. Dann wurde ich noch­mal den Verneh­mern vorge­führt, die mich frag­ten, ob ich noch eine Aussage zu machen hätte. Gleich­zei­tig warfen sie mir meine Klei­dung zu und ich musste mich vor ihren Augen umzie­hen, während ich rumstot­terte, dass ich nichts weiter zu sagen habe. Sie fass­ten mich an beide Arme und brach­ten mich zu der Tür, an der ich Stun­den zuvor das Gebäude betre­ten hatte. Dort wurde mir mitge­teilt, dass ich als “uner­wünschte Person” nicht mehr in die DDR einrei­sen dürfte.

Als ich über die Brücke zurück nach Kreuz­berg lief, war ich nicht nur total frus­tiert, sondern auch froh, der so bedroh­li­chen Situa­tion endlich entgan­gen zu sein. Vor allem aber machte ich mir Sorgen. Meine Freunde konn­ten ja nicht einfach über diese Brücke gehen und ich war mir sicher, dass sie eben­falls Ärger bekom­men haben.
Erst viel später erfuhr ich über indi­rekte Kontakte, dass sie Ralf tatsäch­lich zum Verhör geholt hatten. Aber danach passierte nichts mehr, außer dass er im Betrieb noch mehr­mals auf seine “verbo­te­nen Kontakte” ange­spro­chen wurde. Wahr­heits­ge­mäß konnte er aber antwor­ten, dass er mich seit­dem nicht mehr getrof­fen hat.

In den folgen­den Mona­ten versuchte ich immer wieder, ein Visum zu bekom­men. Alle paar Wochen stellte ich beim “Büro für Besuch­s­an­ge­le­gen­hei­ten” am Water­loou­fer einen Antrag, doch fast immer wurde er abge­lehnt. Nur einmal erhielt ich ein Visum, dabei wollte ich nur test­weise einrei­sen, ohne Ralf oder jemand ande­res zu besu­chen. Doch am Grenz­kon­troll­punkt wurde ich wieder zurück­ge­wie­sen, die Ertei­lung des Visums war wohl ein Fehler oder eine Schi­kane. Erst im Herbst 1989, zwei Monate vor dem Mauer­fall, erhielt ich ohne Probleme ein Visum und wurde auch nach Ost-Berlin durch­ge­las­sen. Zwar gab es eine scharfe Kontrolle, mehr aber nicht. Es war, als wäre vorher nie etwas gesche­hen.

print

Zufallstreffer

Schreibe den ersten Kommentar

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*