Große Stadt ganz klein

Berli­ner möch­ten in allem die Größ­ten sein. Jeets ooch ne Nummer klee­ner? Aber sicher. Eine Tour an Orte, an denen Berlin klein ist.

Die Menschen haben schon immer gerne damit geprahlt, wer den größ­ten hat: den größ­ten Fisch beispiels­weise, den größ­ten Grab­hü­gel oder den größ­ten Palast. Solche Sachen. Aber ganz beson­ders in unse­rer Zeit herrscht der Drang zum Super­la­tiv: Immer höher, schnel­ler, weiter, so das Motto. Norma­li­tät dage­gen ist lang­wei­lig. Das gilt beson­ders für Berlin: Hier muss nicht nur alles neu, sondern auch groß sein. Wir haben einige Orte der Stadt besucht, an denen Berlin klein ist.

EiergasseBegin­nen wir doch mit der kürzes­ten Straße der Stadt. Der Eier­gasse in Mitte. Sie befin­det sich im Niko­lai­vier­tel und ist eng, schmal und, na ja: irgend­wie ziem­lich kurz. 16 Meter, um genau zu sein. Nur zwei Häuser haben hier Platz. Als Besu­cher fällt man auf. “Suchen Sie was?”, fragt Sabine Kalln­bach, die hier seit vier Jahren den Eier­la­den betreibt. Sie befinde sich damit in einer alten Tradi­tion der Straße, die in der Schreib­weise Eyer­gasse eine der ältes­ten Stra­ßen der Stadt sei, wie sie betont. Während auf dem Molken­markt gleich um die Ecke früher Milch ver­kauft wurde, hätten hier eben die Eier­händ­ler gestan­den und ihre Waren verkauft. Deshalb Eier­gasse. Ist doch klar. Sie selber biete an Ostern und Weih­nach­ten mehr als 12.000 Eier an, erzählt sie stolz. Aber Halt! Das ist schon wieder ein Super­la­tiv der Sorte, die wir meiden woll­ten. Schnell weiter.

Das nächste Ziel: das kleinste Thea­ter der Stadt. Das Berli­ner Ensem­ble, die Schau­bühne und das Deut­sche Thea­ter lassen wir links liegen. Statt­dessen haben wir uns bei Regine Mahler ange­mel­det. Sie ist, seit mehr als 25 Jahren, Inten­dan­tin, Regis­seu­rin, Schau­spie­le­rin und Drama­tur­gin in Perso­nal­union. “Und Putz­frau auch noch”, wie die 60-Jährige mit der lustig roten Brille anfügt. Das hört sich nach viel Arbeit an, wird aber über­schau­bar, wenn man erfährt, dass sich ihr Thea­ter im Wohn­zim­mer ihrer priva­ten Wohnung in West­end befin­det. 16 Sitz­plätze gibt es. Es ist ein Papier­thea­ter, wie man es früher, im 19. Jahr­hun­dert, gerne an langen Winter­aben­den heraus­ge­holt hat. Sie hat ein tolles Programm. Die öffent­li­chen Vorstel­lun­gen sind regel­mä­ßig ausver­kauft.

Unser nächs­tes Ziel: das kleinste Haus der Stadt. Das schmalste Haus, soll­ten wir besser sagen, schließ­lich suchen wir nach keiner Hunde­hütte. Es steht an der Runge­straße in der Nähe vom Köll­ni­schen Park. Ist einge­schossig. Und, was für eine Enttäu­schung, sieht ganz schön trau­rig aus. Nicht, weil es nur 3,50 Meter breit ist, sondern weil es offen­sicht­lich schon vor vielen Jahren verlas­sen wurde. “Hallo? Was machen Sie denn da?” Auf einmal steht ein Poli­zist hinter uns. Oh Gott, haben wir etwas falsch gemacht? Nein, Günter Neumann ist nur der Sicher­heits­be­amte der Türki­schen Botschaft gleich nebenan. Und er inter­es­siert sich, ge­nauso wie wir, für die klei­nen Dinge des Lebens. Das schmalste Haus hat er im Laufe seiner Dienst­jahre fest ins Herz geschlos­sen.

Direkt im Anschluss fahren wir zur Park­bahn in die Wuhl­heide, der kleins­ten Eisen­bahn der Stadt. Aber die ist für Kinder. Das zählt nicht. Also weiter zur kleins­ten Fähre Berlins. Wie die wohl ausse­hen mag, fragen wir uns, als wir auf dem Weg nach Müggel­heim sind. Denn von dort aus fährt sie nach Rahns­dorf und wieder zurück. “Fähr­mann, hol über”, heißt es hier schon seit den zwan­zi­ger Jahren. Auch wenn Ronald Kebel­mann noch nicht so lange dabei ist, führt der gelernte Maschi­nist für Wärme­kraft­werke die einzige hand­be­trie­bene Fähre Berlins. Fährt die 36 Meter breite und 2,50 Meter tiefe Müggel­spree hin und her. Was ihn aufregt, das sind die vielen Motor­boot­fah­rer, die noch schnell an der klei­nen Fähre vorbei­fahren wollen und das Boot durch die Wellen heftig ins Schau­keln verset­zen. “Die beden­ken gar nicht, dass sie uns in Gefahr brin­gen”, meint der Müggel­hei­mer Fähr­mann giftig. Denn Fähren haben Vorfahrt. Immer. “Auch wenn sie noch so klein sind!” Doch das wissen dieje­ni­gen wohl nicht, die immer nach dem Größ­ten schie­len.

Alex­an­der Remler in: GATE

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1 Kommentar

  1. Nur in einem Punkt möchte ich wider­spre­chen. Die “einzige hand­be­trie­bene Fähre Berlins” ist es nicht, denn auch die Fähre nach Lind­wer­der (Unterhavel)wird hand­be­trie­ben. Nicht immer manch­mal schiebt oder zieht auch das Perso­nen­schiff die Fähre zur Insel, aber sich wird auch oft nur an dem Seil mit Muskel­kraft hinüber­ge­zo­gen.

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