“Ich war einer von den Bösen”

Zu den Jahres­ta­gen werden immer viele Geschich­ten aus der Zeit der soge­nann­ten Wende in der DDR erzählt, vom Mauer­fall, mal aus östli­cher, mal aus west­li­cher Sicht. Die Ereig­nisse vom 9. Novem­ber 1989 sind bekannt. Oft schon verges­sen ist aber ist der 7. Okto­ber, Repu­blik­ge­burts­tag, an dem die Parole “Keine Gewalt” kein Gehör fand. In Berlin feierte sich die Führung von Staat und Partei, während nur wenige hundert Meter weiter Bürger demons­trier­ten. Sie wuss­ten von den Prügel­or­gien der Volks­po­li­zei in Leip­zig fünf Tage zuvor. Trotz­dem gingen sie auf die Straße. Viele von ihnen wurden von Poli­zis­ten miss­han­delt, es gab zahl­rei­che Verletzte. Einer der betei­lig­ten Volks­po­li­zis­ten erzählt, mehr als 25 Jahre danach:

Mein Name ist Manfred K., 1989 war ich bei der DVP1, Kaser­nierte Poli­zei in Blan­ken­burg. Damals habe ich in Pankow gewohnt, Flora­straße, fast an der Grenze. In den Tagen vor dem 40. Repu­blik­ge­burts­tag wurden wir täglich darauf vorbe­rei­tet, dass es im Umfeld zu Störun­gen kommen wird. Nicht nur als Möglich­keit, sondern als gesi­cherte Tatsa­che. Staats­feinde und Provo­ka­teure aus dem Westen woll­ten die Feiern torpe­die­ren und berei­te­ten Stra­ßen­schlach­ten vor. Uns wurde gesagt, dass ein Einsatz von Schuss­waf­fen durch die Provo­ka­teure geplant sei.
Die Aufrüh­rer hätten Kontakt zu Neona­zis und Auto­no­men in West-Berlin und von denen Tech­ni­ken des Stra­ßen­kamp­fes gelernt. Sie würden sich als harm­lose Bürger darstel­len, in Wirk­lich­keit aber die Konfron­ta­tion suchen. Dazu wurden uns Film­auf­nah­men vom Dresd­ner Haupt­bahn­hof gezeigt, auf denen Bürger die VP angrif­fen.
Man kann schon sagen, dass wir regel­recht aufge­heizt wurden.

Nach dem Aufsit­zen, auf dem Weg nach Mitte, ging es weiter. Ein Kame­rad fragte, wieso wir denn nicht alle Waffen bekom­men würden, wenn die Lage so gefähr­lich sei. Tatsäch­lich waren einige von uns unbe­waff­net. Eine Antwort gab es aber nicht. Ich vermu­tete, dass dieje­ni­gen keine Waffen bekom­men hatten, die im Verdacht stan­den, unzu­ver­läs­sig zu sein. Das Miss­trauen gab es sogar schon inner­halb der Volks­po­li­zei.
Wir waren dann den ganzen Tag in der Innen­stadt. Erst Karl-Marx-Allee, dann am Platz der Akade­mie2. Es gab immer mal kurze Aufre­gung wegen einzel­ner Protes­tie­rer, aber das regel­ten die Männer vom MfS, wir unter­stüt­zen bloß. Rich­tig los ging es erst am Abend. Während der Feier im Repu­blik­pa­last stan­den wir vor dem Palast­ho­tel. Hunderte Demons­tran­ten zogen an uns vorbei, in beide Rich­tun­gen. Plötz­lich muss­ten wir aufsit­zen und wurden zum Rosa-Luxem­burg-Platz gefah­ren. Dort waren die Stra­ßen voller Menschen und die Stim­mung war schon aggres­siv.

Irgend­wann hörten wir, dass es im Prenz­lauer Berg Krawalle von Auto­no­men gäbe. Wir wurden zum Sene­fel­der­platz verlegt und kurz darauf ging es los. Ganze Grup­pen zogen an uns vorbei, skan­dier­ten Paro­len und bedroh­ten uns. So empfan­den wir das damals jeden­falls. Helme und Schil­der wurden ausge­ge­ben, kurz darauf trafen die Räum­wa­gen ein. Sie hatten große Gitter montiert, so dass man mit ihnen leicht eine Straße räumen konnte, wenn mehrere neben­ein­an­der fuhren. Eigent­lich waren sie zum Absper­ren gedacht, aber in dieser Nacht funk­tio­nier­ten wir sie eben um.

Da wir schon so lange im  Einsatz waren, hatten die meis­ten jetzt die Schnauze voll. Wir waren müde, hatten kaum was geges­sen, konn­ten nicht aufs Klo. Die Stim­mung war abso­lut mies. Als es dann ernst wurde, waren wir froh darüber. Endlich konn­ten wir unse­ren Frust raus­las­sen und Ziele fanden sich genug. Mit Knüp­peln gingen wir auf jeden los, den wir erwisch­ten. Egal, ob er zu den Demons­tran­ten gehörte oder nicht. Lang­haa­rige, Intel­lek­tu­elle, Hippie, Parka­trä­ger, Punker, egal. Wer jetzt auf der Straße war, gehörte dazu. Manche von uns schlu­gen sich durch die Menge, andere konzen­trier­ten sich auf eine einzelne Person, jagten und verprü­gel­ten sie. Jeder der sich irgend­wie wehrte, wurde auf den Wagen verbracht.

Aller­dings sah ich auch viele ältere Leute, die wirk­lich nicht den Eindruck mach­ten, dass sie Aufrüh­rer wären. Aber wir waren wie blind und sahen das als beson­ders perfide Taktik der Demons­tran­ten an. Als wenn sie ihre eige­nen Eltern vorschi­cken würden. In der Schön­hau­ser Allee wurden wir massiv aus den Fens­tern beschimpft und bedroht. Es war wirk­lich kein schö­ner Einsatz.
Nach unge­fähr zwei Stun­den fuhren wir los. Wir saßen an den Seiten auf den Bänken, die Zuge­führ­ten muss­ten in der Mitte auf dem Boden sitzen. Während der Fahrt in den Blan­ken­bur­ger Pflas­ter­weg beka­men sie noch­mal viele blaue Flecke durch unsere Stie­fel ab. In der Kaserne muss­ten sie von der Lade­flä­che stei­gen. Wer es nicht schnell genug schaffte, dem wurde “gehol­fen”.

Unser Einsatz war damit been­det. An diesem Abend sind mehr als 1.700 Protes­tie­rer zuge­führt worden. Erst ein paar Tage danach erfuhr ich, dass es sehr viele Verletzte unter den Demons­tran­ten gege­ben hatte. Es waren wohl mehrere hundert. Verlet­zun­gen bei den Kolle­gen beschränk­ten sich auf Verstau­chun­gen und Prel­lun­gen. Das wenigste davon war aber direkt von Demons­tran­ten verur­sacht.

Im Nach­hin­ein fingen wir auch unter uns an zu disku­tie­ren. Wir hatten sie ja gese­hen, die soge­nann­ten Randa­lie­rer und Staats­feinde. Das waren doch keine prügeln­den Skin­heads oder Auto­nome. Es war mir dann lange sehr unan­ge­nehm, zuzu­ge­ben, dass ich am 7. Okto­ber dabei war. Weil ich wohl auf der falschen Seite stand, ich war einer von den Bösen.

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  1. Deut­sche Volks­po­li­zei []
  2. Heute Gendar­men­markt []

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