Die Siegessäule

In den 90er Jahren des 20. Jahr­hunderts gelangte die Sieges­säule im Tier­gar­ten zu inter­na­tio­na­ler Berühmt­heit: Jähr­lich stand sie im Zentrum der Love Parade, zeit­weise zogen über eine Million junger Menschen an ihr vorbei. Der goldene Engel machte sich auch gut für die Fern­seh­ka­me­ras, so ist sie heute welt­be­kannt. Doch so fried­lich wie die Love Parade ist die Geschichte der Sieges­säule nicht, das zeigt auch schon ihr Name.
Tatsäch­lich erin­nert sie an gewon­nene Kriege und an einen, der zwar gewon­nen werden sollte, dann aber doch verlo­ren wurde. Aber der Reihe nach:
1873 wurde sie als erstes Natio­nal­denk­mal des noch jungen Reichs nach Plänen von Johann Hein­rich Strack errich­tet. Damals fehlte noch die obere, vierte Reihe. Die monu­men­ta­len Mosai­ken in der Säulen­halle und die Reli­efs entstan­den nach Zeich­nun­gen berühm­ter Bild­hau­er­künst­ler und Akade­mie­mit­glie­der wie Anton von Werner, Alex­an­der Caland­relli und Karl Keil. Die Säule, die vorläu­fig noch auf dem dama­li­gen Königs­platz vor dem Reichs­tags­ge­bäude stand, erin­nerte an die Siege im deutsch-däni­schen, preu­ßisch-öster­rei­chi­schen und im deutsch-fran­zö­si­schen Krieg. Dazu wurden in drei Reihen über­ein­an­der vergol­dete erbeu­tete Kano­nen­rohre ange­bracht, die auch heute noch gut zu erken­nen sind. Angeb­lich auf direkte Anord­nung Hitlers kam 65 Jahre später oben eine zusätz­li­che Reihe dazu, deren Kano­nen­rohre jedoch nicht echt sind. Die vierte Reihe sollte viel­leicht an den erneu­ten Krieg gegen Frank­reich erin­nern, den Hitler zu gewin­nen dachte. Mögli­cher­weise diente sie aber auch nur der Korrek­tur, denn die klei­nere Säule machte doch einen recht gedrun­ge­nen Eindruck.

Bis 1938 stand die Sieges­säule also auf dem Platz vor dem Reichs­tag und damit Albert Speers Plänen für das monu­men­tale Germa­nia-Projekt im Wege: Gleich dane­ben war nämlich der Bau der “Großen Halle” vorge­se­hen und so wurde sie an die geplante Sieges­s­al­lee umge­setzt — Stein für Stein abge­baut und am Großen Stern wieder neu errich­tet. Die Stand­bil­der von Bismarck, Moltke und Roon beglei­te­ten sie vom Königs­platz. Der Große Stern war zu diesem Zeit­punkt schon das Zentrum des Tier­gar­tens. Speer ließ ihn von 80 auf 200 Meter Durch­mes­ser vergrö­ßern, in die Mitte kam die neue alte Sieges­säule, nun mit 69 statt der vorher 61 Metern Höhe. Der quadra­ti­sche Sockel wurde um einige Meter verbrei­tert.

Auch nach dem 2. Welt­krieg kam die Sieges­säule nicht zur Ruhe. 1945 sollte sie gesprengt werden, wie alle kriegs­ver­herr­li­chen­den deut­schen Denk­mä­ler. Doch als die Fran­zo­sen im Konk­roll­rat der Abriss bean­trag­ten, lehn­ten Briten und Ameri­ka­ner ab, die Sowjets enthiel­ten sich. Die formal­ju­ris­ti­sche Begrün­dung: Bei der Sieges­säule handelte es sich um ein Bauwerk, das vor dem 1. August 1918 errich­tet worden sei. Dieses Datum, der Beginn des 1. Welt­kriegs, war der Stich­tag, der über Erhalt oder Spren­gung solcher Denk­mä­ler entschied. Dass die Fran­zo­sen die Säule gerne zerstört sähen, ist verständ­lich: Immer­hin waren sie die Verlie­rer der preu­ßisch-deut­schen Eini­gungs­kriege des 19. Jahr­hun­derts. Und das Bauwerk, mit denen die Deut­schen ihren Sieg doku­men­tier­ten, war die Sieges­säule, mit ihren Reli­efs, Mosai­ken und dem golde­nen Sieges­en­gel.
Dabei sprach sich sogar der Magis­trat für einen Abriss aus, jedoch vergeb­lich. Ledig­lich die Bron­ze­ta­feln, die an die Kriege gegen die Frank­reich und Däne­mark erin­ner­ten, wurden nach Paris und Kopen­ha­gen abtrans­por­tiert. Erst zum 750. Stadt­ge­burts­tag im Jahr 1987 kamen sie wieder zurück.
1951 begann der West-Berli­ner Senat mit der Wieder­auf­fors­tung des Tier­gar­tens auch die Instand­set­zung der Sieges­säule. 2010 folgte eine Grund­sa­nie­rung, bei der auch die Kano­nen sowie der Engel neu vergol­det wurden.

Heute ist die Säule einer der belieb­tes­ten Aussichts­türme der Stadt und der einzige, dessen Platt­form man nur zu Fuß errei­chen kann. Seit vielen Jahren hat sie eine weitere Funk­tion: Sie ist Namens­ge­be­rin eines kosten­lo­sen schwu­len Stadt­ma­ga­zins, dessen Klien­tel ganz nahe seine sexu­elle Befrie­di­gung sucht. Nur wenige Meter südwest­lich des Großen Stern ist das größte Gay Crui­sing Area der Stadt. Und somit hat sie ihren Makel des Krie­ge­ri­schen wohl endgül­tig abge­legt.

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Vorsicht, Terrorist!

Mitt­ler­weile habe ich den Eindruck, als wären wir alles Terro­ris­ten. Zumin­dest poten­zi­elle. Aber doch eigent­lich schon welche. Da ich wöchent­lich mindes­tens einmal einen Fahr­gast­auf­trag zum Bundes­in­nen­mi­nis­te­rium habe, sollte ich viel­leicht bei nächs­ten Mal gleich eine […]

4 Kommentare

  1. Ich wähle ja oft die Straße des 17.Juni (das ist wieder eine andere Geschichte der Geschichte) als Weg aus Mitte zum Flug­ha­fen Tegel. Oft werde ich von Berlin-Besu­chern auf die “Goldelse” ange­spro­chen. Und ich muss zuge­ben, dass es da ein paar Wissens­lü­cken bei mir gibt. Viel­leicht verständ­lich , wenn ich mir Deine Zusam­men­fas­sung jetzt durch­lese. Sebst wenn ich das Ganze jetzt im Ober­stüb­chen komplett abspei­chern würde, bis ich das alles erzählt hätte, viel­leicht noch in Englisch, wäre der Flie­ger zu dem ich meine Fahr­gäste brin­gen soll wahr­schein­lich schon weg.
    Trotz­dem erst­mal danke, ich werde versu­chen, mir wenigs­tens die Eckda­ten zu merken.

  2. So viel ist das gar nicht. Vor allem wenn ich fran­zö­si­sche, däni­sche oder öster­rei­chi­sche Fahr­gäste habe und mit ihnen dort vorbei­fahre, weise ist gerne auf die Kano­nen hin und dass sie sie nicht mehr wieder­krie­gen. Auch wen der Hinter­grund ernst ist, heitert das die Stim­mung meist auf.

  3. schö­ner Arti­kel!
    Schlimm, dass für so ein Mons­trum Geld ausge­ge­ben wird.
    Und bei all der Geschichts­ver­klit­te­rung (eines meiner Lieb­lings­bei­spiele ist ja die so genannte “Kron­prin­zen­brü­cke”) fände ich es gut, wenn die oberste, von den Faschis­ten ergänzte Ebene wieder abge­tra­gen wird und das Teil insge­samt dort wieder verschwin­det… Auch eine Gedenk­ta­fel, mögli­cher­weise mit einer Entschul­di­gung für die verbre­che­ri­schen Kriege der Deut­schen wäre schön!

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