Hotel Bogota

Es war ein beson­de­res Hotel, in der Char­lot­ten­bur­ger Schlü­ter­straße, nur wenige Meter vom Kurfürs­ten­damm entfernt. Irgend­wie aus der Zeit gefal­len, denn vieles in dem geschichts­träch­ti­gen Haus war noch wie vor einem Jahr­hun­dert. Nicht umsonst hatte es viele Stamm­gäste, manche von ihnen wohn­ten hier seit Jahr­zehn­ten. Sie lieb­ten den morbi­den Charme der Räume, die teil­weise noch keine eigene Toilette haben, nicht auf Hoch­glanz poliert waren und in denen man Einzel­zim­mer schon ab 40 Euro bekam. Doch Ende 2013 musste das Hotel aufgrund von vielen Miet­schul­den schlie­ßen.
Dabei hat dieses Haus eine lange Geschichte. Unzäh­lige Künst­ler aller Genres waren Jahr­zehnte lang mit ihm verbun­den.

Begon­nen hat es vor über hundert Jahren. Gerade wurde Char­lot­ten­burg zur feinen Stadt außer­halb Berlins, die Grund­stücks­preise stie­gen, nur die Reichs­ten konn­ten es sich leis­ten, hier zu bauen. Es begann die Zeit des neuen Westens und 1912 entstand auch das Wohn­haus Schlü­ter­straße 45.  Es gehörte Robert Leibrand, später auch Oskar Skal­ler, Apothe­ker und Prothe­sen­her­stel­ler. Er machte mit seinen Waren rund um den Ersten Welt­krieg natür­lich ein super Geschäft, “Prothe­sen-Skal­ler” war damals stadt­be­kannt. Schon er nutzte seine großen Räume im Erdge­schoss für kleine Kultur-Veran­stal­tun­gen und für Ausstel­lun­gen — eine Tradi­tion, die sich bis zum Ende gehal­ten hat.
Groß­zü­gig war auch der Rest des Hauses gebaut, nicht mehr als zwei Wohnun­gen pro Etage, zwischen 200 und 500 Quadrat­me­ter groß. Promi­nente und noch unbe­kannte Künst­ler lebten dort oder traten auf, wie der junge Benny Good­man, der seine Jazz­kar­riere noch vor sich hatte. Auch Botschaf­ter, Mode­schöp­fer, der Jazzer Jack Hylton sowie Foto­gra­fen lebten in dem Gebäude.

1934 bezog die Mode­fo­to­gra­fin Else Ernes­tine Neulän­der, die unter dem Namen Yva berühmt war, die gesamte vierte Etage, in der sie wohnte und auch ihr Atelier einrich­tete. Zu der Zeit bildete sie den 16-jähri­gen Lehr­ling Helmut Neustäd­ter aus, der zwei Jahre später vor den Nazis in die USA flüch­tete. Dort machte er als Helmut Newton Karriere. Viele Jahre später bezeich­nete er diese zwei Jahre bei Yva als die glück­lichste Zeit seines Lebens.

Yva selber hatte weni­ger Glück. Sie erhielt als Jüdin von der Reichs­kul­tur­kam­mer schon 1933 ein Berufs­ver­bot, setzte sich aber noch mehrere Jahre darüber hinweg. Nicht­jü­di­sche Kollege konn­ten ihr Aufträge zuschus­tern, doch Mitte der 1930er Jahre musste sie die Räume in der Schlü­ter­straße aufge­ben. 1942 wurde sie zusam­men mit ihrem Ehemann depor­tiert und in Sobi­bor ermor­det. Vor dem Hotel Bogota erin­nert heute ein Stol­per­stein an sie, außer­dem seit 2011 die Fußgän­ger­pas­sage Yva-Bogen zwischen Kant- und Harden­berg­straße, direkt neben den Glei­sen der Stadt­bahn. Im Hotel hingen in der vier­ten Etage einige ihrer Fotos, dort wo sich einst ihr Atelier befand.

Das Haus Schlü­ter­straße 45 wurde als jüdi­scher Besitz enteig­net, 1942 über­nahm es die Film­kam­mer der Reichs­kul­tur­kam­mer. Geschäfts­füh­rer der Film­kam­mer und ab 1944 Reichs­film­in­ten­dant war Hans Hinkel, der schon ab 1935 für die “Entju­dung des deut­schen Kultur­le­bens” betraut war. Er machte das Haus zu einem der wich­tigs­ten Orte der Propa­ganda-Kultur der Nazis, Minis­ter Joseph Goeb­bels ging hier ein und aus. Im späte­ren Früh­stücks­raum des Hotels befand sich der Vorführ­saal der Kammer, hier wurden Goeb­bels und manch­mal Adolf Hitler neue Produk­tio­nen vorge­führt, mit Heinz Rühmann, Hein­rich George, Grethe Weiser.
Der Keller des Hauses wurde zum Lager für Raub­gut, das jüdi­schen Künst­lern gestoh­len worden war. Bilder von Lieber­mann und ande­ren verbo­te­nen Malern lande­ten auch in den Büros, die so mit der Kunst angeb­li­cher “Unter­men­schen” geschmückt wurden. Welch eine Perver­sion.

Das Gebäude wurde im Krieg nicht zerstört und am Ende des Faschis­mus blie­ben auch alle Unter­la­gen der Reichs­kul­tur­kam­mer erhal­ten. So konnte später gut konstru­iert werden, wie und durch wen Künst­ler diskri­mi­niert und vernich­tet worden sind.
Nach der Befrei­ung nutzte die russi­sche Armee das Haus, um das Kultur­le­ben in Berlin zu orga­ni­sie­ren. Im Juni 1945 gab es dort eine erste Ausstel­lung von Künst­lern wie Max Beck­mann, Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Ludwig Kirch­ner. Am 6. Juni 1945 fand hier die Grün­dung der “Kammer der Kunst­schaf­fen­den” statt, am 8. August die des “Kultur­bunds zur demo­kra­ti­schen Erneue­rung Deutsch­lands”, durch Johan­nes R. Becher, der später Kultur­mi­nis­ter der DDR wurde. Nun verkehr­ten nicht mehr die Vorzei­ge­künst­ler der Nazis in dem Haus, sondern Anti­fa­schis­ten wie der Regis­seur Wolf­gang Lang­hoff, die Dich­ter Anna Seghers oder Willi Bredel.

Noch während der Kultur­bund in dem Haus saß, der bald in die Sowje­ti­sche Besat­zungs­zone umzie­hen sollte, rich­te­ten die briti­schen Alli­ier­ten die Spruch­kam­mer zur Entna­zi­fi­zie­rung der Kultur­schaf­fen­den ein. Jetzt kamen Rühmann, Furtwäng­ler oder George nicht mehr so leicht beschwingt in das Haus, statt­des­sen muss­ten sie sich hier ihrer Funk­tion während der Nazi­zeit recht­fer­ti­gen. Die Anhö­run­gen und Urteile fanden im frühe­ren Vorführ­raum statt. Dort wurde auch die Klas­si­fi­zie­rung der Künst­ler vorge­nom­men, von der sowohl die Erlaub­nis zum Arbei­ten abhing, als auch die Menge der Lebens­mit­tel­ra­tio­nen. Bekannte Kompo­nis­ten, Schau­spie­ler, Musi­ker, Schrift­stel­ler beka­men mehr als unbe­kann­tere. Unter ihnen war auch Axel Sprin­ger, der dort seine erste Lizenz zum Zeitungs­druck erhielt.

In den 1950er Jahren erwarb der Deut­sche Gewerk­schafts­bund das Haus und verkaufte es 1964 weiter. Nun entstan­den hier vier Hotels, Bogota, Rhei­ni­scher Hof, Pension Jahn und unten die Tanz­bar Modern Style. Der eins­tige Vorführ­raum wurde zu einem Restau­rant, später zum Casino. Nach dem Krieg wurden rund um den Kudamm viele kleine Etagen-Hotels und Pensio­nen einge­rich­tet, noch heute gibt es in der Gegend einige Über­bleib­sel aus dieser Zeit.
Hans Rewald, vor den Nazis nach Kolum­bien geflo­hen, eröff­nete 1964 das Hotel Bogota in der vier­ten Etage. Von seinem Exil hatte er einige Einrich­tungs­ge­gen­stände mitge­bracht, die er für die Ausstat­tung nutzte. Nach und nach kaufte er den Rest des Hauses dazu, sodass sein Hotel schließ­lich das gesamte Gebäude belegte. 1976 verkaufte er es.
Mit seiner alten Einrich­tung, alten Türen und Fens­tern, dem alten Fahr­stuhl, hat im Hotel Bogota die alte Zeit ein biss­chen über­lebt. Bis 2013 fand hier Kultur statt, vor allem Ausstel­lun­gen und am Wochen­ende wurde Tango getanzt.
Heute ist es ein Büro- und Geschäfts­haus, wie Hunderte in der Gegend. Die Geschichte ist eben vergan­gen.

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1 Kommentar

  1. Ende der 90er Jahre war ich öftrers in dem Hotel zu Gast, es war eine einma­lige Atmo­sphäre in dem Hotel, wie eine Zeit­reise!

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